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Eskalation der Gewalt: Israel bombardiert Gaza

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Als Reaktion auf die Tötung ihres Militärchefs Ahmad al-Jaabari durch einen israelischen Kampfjet am Mittwochmorgen, hat der militärische Flügel der Hamas bis Donnerstagnachmittag nach israelischen Angaben mehr als 100 Raketen auf den Süden Israels abgefeuert. Dabei wurden in dem Dorf Kirjat Malahi drei Israelis getötet, vier weitere Personen wurden verletzt. Im Süden des Gazastreifens wurden drei Palästinenser bei israelischen Angriffen getötet.

Eine seit Wochen anhaltende Konfrontation zwischen der palästinensischen Hamas im Gazastreifen und Israel war erst einen Tag vor Beginn der israelischen Offensive durch einen Waffenstillstand beruhigt worden. Israelische Kampfjets, Panzer und Kriegsschiffe feuerten am Mittwochmorgen mehr als 50 Raketen auf den palästinensischen Küstenstreifen. Bei einem gezielten Raketenangriff auf das Fahrzeug von Ahmad Al-Jaabari mitten auf einer belebten Straße in Gaza Stadt wurden nach Krankenhausangaben neben Al-Jaabari mindestens 13 weitere Personen getötet, darunter zwei Mädchen unter fünf Jahren. Mehr als 100 Menschen wurden verletzt. Nach israelischen Angaben seien zusätzlich Lager und Startrampen für Raketen sowie zwei Trainingscamps des militärischen Flügels der Hamas zerstört worden.

Der UN-Sicherheitsrat war noch am Mittwochabend auf Antrag von Ägypten, Marokko und den Palästinensern zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengetreten, die eine klare Verurteilung Israels für den Angriff forderten. Der palästinensische UN-Botschafter Rijad Mansur prangerte den Tod von Frauen und Kinder bei den israelischen Angriffen an. "Die internationale Gemeinschaft muss handeln, um Israels illegaler Politik und seinen Handlungen gegen das palästinensische Volk ein Ende zu setzen", sagte er. Der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde (West Bank) Mahmoud Abbas forderte eine Dringlichkeitssitzung der Arabischen Liga.

Der israelische UN-Botschafter Ron Prosor sagte, Israel habe "eine strategische Bedrohung für israelische Bürger entfernt". Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte am Mittwoch gedroht, Israel sei bereit, den Einsatz auszuweiten und eine Bodenoffensive gegen den Gazastreifen zu starten. Verteidigungsminister Ehud Barak sagte, der Einsatz solle Abschreckungswirkung haben.

Die UN-Botschafterin der USA, Susan Rice, betonte das Recht Israels auf „Selbstverteidigung“ gegen die Angriffe aus dem Gazastreifen. In diesem Jahr seien bereits 768 Raketen von Gaza aus abgefeuert worden, zählte sie auf. US-Präsident Barack Obama sicherte Israel seine Unterstützung zu, forderte Netanyahu aber auf, ziviles Leben zu schonen.

Zu einer Verurteilung Israels kam es im UN-Sicherheitsrat erwartungsgemäß nicht. Der indische UN-Botschafter und Ratspräsident Hardeep Singh Puri fasste die Sitzung mit den Worten zusammen, alle Stellungnahmen hätten dieselbe Aussage gehabt: „Dass die Gewalt aufhören muss, dass es eine Deeskalation geben muss."

UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon telefonierte mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu und mit dem ägyptischen Präsidenten Mohamed Mursi. Ägypten, das als einer von zwei arabischen Staaten (Ägypten, Jordanien) mit Israel einen Friedensvertrag unterzeichnet hat, zog aus Protest seinen Botschafter aus Israel ab. Der ägyptische Außenminister Kamel Amr forderte Washington auf, Israels Aggression gegen die Palästinenser zu stoppen. Der israelische Botschafter in Kairo bereitete sich auf seine Abreise vor. Am Donnerstag wurde sowohl im Gazastreifen als auch im Süden Israels der Ausnahmezustand ausgerufen.

Der 1960 in Gaza Stadt geborene Ahmad al-Jaabari hatte bereits mehrere israelische Mordversuche überlebt. Sein ältester Sohn Muhammad, ein weiterer Sohn und drei Verwandte waren 2004 bei einem Hubschrauberangriff auf das Haus von Al-Jaabari getötet worden. Er gilt als Verantwortlicher der Entführung des israelischen Soldaten Gilad Shalit 2006. Al-Jaabari gehörte früher der Fatah an und verbrachte 13 Jahre in israelischen Gefängnissen. Dort schloss er sich der Muslim Bruderschaft an, später der neu gegründeten Hamas. Al Jaabari baute die Al-Kassam Brigaden der Hamas auf, für deren etwa 10.000 Kämpfer er verantwortlich war.

Die Hamas kündigte Vergeltung an, der Mord an Al-Jaabari habe (für Israel) „die Tore zur Hölle“ geöffnet, hieß es in einer Stellungnahme der Al-Kassam Brigaden, die die Entsendung von Selbstmordattentätern nach Israel ankündigte. „Die Besatzungsmacht“ habe „alle roten Linien überschritten, das verstehe man als „Kriegserklärung“.

Die israelische Organisation Gush Shalom (Frieden Jetzt) mobilisierte ihre Anhänger zu Demonstrationen gegen den Krieg in Gaza in Tel Aviv und Haifa. Der ehemalige Knessetabgeordnete und Friedensaktivist Uri Avnery warf der Regierung Netanyahu vor, auf „das Vergessen“ der Bevölkerung zu setzen. Man habe aber nicht vergessen, dass die israelische Armee „erst vor vier Jahren Krieg gegen den Gazastreifen führte und 1300 Zivilisten in drei Wochen tötete.“ Nur einen Tag vor dem Angriff habe ein Waffenstillstand mit der Hamas zu Ruhe im Süden Israels geführt.

Sabine Farrouh vom Vorstand der Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung von Atomkrieg (IPPNW) erklärte sich mit allen Friedensdemonstrationen in Gaza und Israel gegen einen Krieg solidarisch. Die Bundesregierung müsse „alle Waffenlieferungen in die Region“ einstellen, forderte Farrouh. Eine „von Waffen starrende Sicherheit ist letztendlich keine“.

Regional wurde die israelische Angriffswelle auf Gaza verurteilt. Die syrische Regierung sprach von einem „barbarischen und verwerflichen Verbrechen der israelischen Armee“ und forderte die „freien Völker der Welt“ und die arabischen Staaten auf, die Palästinenser zu unterstützen. Die internationale Gemeinschaft müsse mehr Druck auf Israel ausüben, seine Angriffe auf die Palästinenser einzustellen.

Karin Leukefeld

referiert auf dem 19. Friedenspolitischen Ratschlag am 1./2. Dezember 2012 in Kassel zum Thema:
Was habt ihr dem arabischen Frühling in Libyen und Syrien angetan!?
Hier geht es zum Programm des Kongresses




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