Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Mit dem Bewusstsein der Brüderlichkeit"

IHH - ein islamischer Verein hilft Gaza

Von Martin Lejeune *

Der Leiter der islamischen Hilfsorganisation IHH, die den Schiffskonvoi für Gaza organisierte, hat schwere Vorwürfe gegen die israelischen Soldaten erhoben. Die IHH dürfte inzwischen jedem Türken ein Begriff sein.

Die »Insani, Hak ve Hürriyetler Vakfi« (IHH), zu deutsch »Stiftung Mensch, Recht und Freiheiten«, wurde »mit dem Bewusstsein für Brüderlichkeit und Solidarität gegründet, um allen bedürftigen und unterdrückten Menschen auf der ganzen Welt die notwendige humanitäre Hilfe zukommen zu lassen«, heißt es auf der Internetseite der Stiftung. Das Ziel der humanitären Einrichtung sei es, den Unterdrückten »ein Leben in Würde zu verschaffen, um auf der Welt Gerechtigkeit herzustellen, Güte und Wohltat zu stiften und das Schlechte zu verhindern«.

IHH ist eine religiöse Organisation, so wie in Deutschland beispielsweise »Brot für die Welt« oder »Pax Christi«. Claudia Haydt, Pressesprecherin des Hilfsprojektes »Free Gaza«, das von der israelischen Armee angegriffen wurde und an dem auch »Pax Christi« beteiligt ist, sagte gegenüber ND: »'Pax Christi' arbeitet seit Jahren problemlos mit IHH zusammen.« IHH liefert humanitäre Hilfe in 120 Länder und ist Mitglied der »Union der Nichtregierungsorganisationen der islamischen Welt«, dem »Humanitären Forum«, dem »Türkischen Stiftungsverband ehrenamtlicher Helfer« und konsultatives Mitglied des UNO-Wirtschafts- und Sozialrates. Die Mittel erhält der private Verein aus Spenden. Hierfür unterhält IHH Bankkonten in der ganzen Welt. Die weltweit von Muslimen gesammelten Gelder werden dann vom türkischen Hauptsitz der Organisation an die Hilfsprojekte verteilt. Das ist vor allem Nothilfe, wie zuletzt für arakanische Flüchtlinge in Kutupalog, einem Gebiet in Bangladesh, wo in den vergangenen Monaten 104 Flüchtlinge vor Hunger starben. Oder Soforthilfe für die Opfer des großen Erdbebens in Chile, bei dem Ende Februar Tausende von Menschen ihre Häuser verloren.

Laut einem ZDF-Bericht wurde IHH 1995 während des Bosnien-Krieges gegründet, um - auch mit Spenden aus Deutschland - Waffen für muslimische Milizen zu kaufen. Bernhard Lichte, ZDF-Redakteur und Autor eines Beitrages, der Mittwoch abend im ZDF-Auslandsjournal lief, beruft sich auf staatsanwaltliche Ermittlungen, die sich 1996 gegen das deutsche IHH-Hauptquartier in Freiburg richteten. Dort sitzt die IHH im Islamischen Zentrum der Stadt.

Ein Sprecher des Zentrums bestritt gegenüber ND, dass mit dort gesammelten Spenden Waffen für Bosnien gekauft wurden. Dem römisch-katholischen Theologen Thomas Lemmen zufolge, der bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zu islamischen Organisationen publiziert, ist IHH mit der großen Moscheegemeinde Milli Görüs verbunden, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Ein Milli-Görüs-Sprecher bestritt auch dies gegenüber ND.

In dem erwähnten ZDF-Beitrag wird sogar behauptet, die IHH überweise der Hamas immer wieder Geld. Dies bestreitet Ümer Faruk Korkmaz, Vorstandsmitglied der IHH in Istanbul. Das ZDF beruft sich auf Reuven Erlich, Dozent eines privaten Instituts in Herzliya, Israel, der sagt, dass die IHH als verlängerter Arm der »Terrororganisation Hamas« in Israel verboten sei.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Juni 2010

Dokumentiert:

Presseerklärung der IHH, Insani Yardim Vakfi

Der Angriff auf die Gaza-Flottille

Nachdem in den letzten Tagen eine Menge Menschen eine Menge Verschwörungstheoretisches über die türkische Menschenrechtsorganisation IHH gehört haben, und sich - präpariert durch unsere Medien - viele Menschen anscheinend nicht vorstellen können, wie TürkInnen/MuslimInnen und Philantropie zusammenpassen, sondern die IHH nacheinander mit AKP, al-Qaida und den Taliban assoziiierten, kommt die Organisation im Folgenden selbst zu Wort. Wie die Nachrichtenagentur Maan News Agency meldet, ist auch eines der Mitglieder von IHH namens Cevdet Klçlar unter den Toten.

Unsere Route: Palästina; unsere Ladung: humanitäre Hilfe

Wir geben diese Erklärung ab, um jegliche Desinformation über die Flotte zu korrigieren, die am 26. Mai 2010, beladen mit humanitärer Hilfe, nach Gaza aufbrach. Wir unternehmen diese Anstrengung um das Volk von Israel und die Öffentlichkeit mit akkuraten Fakten zu versorgen.

Zuerst und vor allem: diese Schiffe hatten weder gegen Israel noch gegen ein anderes Land ihre Segel gesetzt. Sie setzten Segel für die Menschen von Gaza, die im fortgeschrittenen Zustand von Hunger und Mangel aufgrund eines sehr harten Embargos alleine gelassen wurden. IHH, die "Foundation for Human Rights and Freedoms and Humanitarian Relief" ist Mitglied sowohl des Free Gaza Movements, das die Flottille für Gaza organisiert hat, als auch beratendes Mitglied der "Social and Economic Councils" der Vereinten Nationen. IHH ist eine Organisation, die es sich seit 15 Jahren zur Aufgabe gemacht hat, beraubten und schikanierten Menschen ohne Ansehen von Hautfarbe, Kaste, Glauben, Religion, Rasse, Region oder Geographie zu helfen. Unsere Organisation wurde für ihre höchst erfolgreichen Bemühungen auf der ganzen Welt von vielen repräsentativen Organisationen und Einheiten ausgezeichnet. Ein Beispiel ist die "Parlamentarisch Ehrenmedaille" der Großen Nationalversammlung der Türkei.

IHH ist eine Organisation, die von West- bis Ost-Afrika, von Bosnien bis Palästina, von Vietnam bis zu den USA, von Afghanistan bis Haiti, von Griechenland bis Georgien, in einhundertzwanzig Länder humanitäre Hilfe geliefert und Hilfsaktionen durchgeführt hat.

Israel wurde dafür, daß es die Hilfsaktion in internationalen Gewässern illegal gestoppt hat und dessen amateurhaftes Vorgehen zum Tod und schweren Verletzungen unter den Menschenrechtsaktivisten führte, von der internationalen Gemeinschaft verurteilt worden. Gerade strengt sich Israel an, die öffentliche Meinung durch massenhafte Desinformationstaktiken zu beeinflussen. Als ob die kaltblütige Ermordung unserer Mitarbeiter nicht genug wäre, wurden nach dem belastenden Zwischenfall alle unsere Websites angegriffen so daß der aktuelle Informationsfluss behindert wurde.

Die Weltöffentlichkeit kann wahre Information über unsere Internetseiten bekommen, zum Beispiel: http://www.ihh.org.tr/filistin/en/ und http://www.gazaflotilla.org/

Unsere Organisation repräsentiert das Mitgefühl, daß das türkische Volk für das Volk von Gaza hat. Unser Volk war im Lauf der Geschichte immer gegen solches Unrecht: wir nahmen die Menschen auf, die, nachdem sie vom mörderischen Prozess der Inquisition erfasst wurden, gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen. Vor fünfhundert Jahren rettete unser Volk die sephardischen Juden vor der Ausrottung. Und auch, wie unsere Konsulate in Europa ein Zufluchtsort für Naziopfer wurde, ist nur ein Teil unserer Erinnerung. Somit sind unsere Aktionen das Resultat unserer Tradition, auf der Seite der Verfolgten zu stehen.

Israels Öffentlichkeit sollte klar zur Kenntnis nehmen, daß unsere Aktionen mit keiner politischen oder offiziellen palästinensischen Gruppe in Zusammenhang stehen. Dies ist keine politische sondern eine humanitäre Anstrengung. Diejenigen, die das anders sehen, sind diejenigen, die versuchen,aus diesem Zwischenfall persönliches Kapital zu schlagen. Es ist für uns nicht akzeptabel, daß - wer auch immer - versucht, aus dieser rein humanitären Angelegenheit einen innen- oder aussenpolitischen Gewinn zu ziehen.

Quelle des Originalbeitrags (englisch): www.lifeline4gaza.org




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