Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Hilfe für Gaza verboten

Von Rüdiger Göbel *

Die Bundesregierung sieht in Hilfslieferungen für die Palästinenser im Gazastreifen eine Unterstützung der Hamas und ahndet diese. So verbot Innenminister Thomas de Maizière (CDU) am Montag (12. Juli) überraschend den in Frankfurt am Main ansässigen Verein »Internationale Humanitäre Hilfsorganisation«, kurz: IHH. Nach dem Coup wurde die in zahlreichen Ländern mit Projekten aktive IHH in den Medien gestern unisono als »Hamas-Spendenverein« tituliert. »Unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe unterstützt die IHH seit einem langen Zeitraum und in beträchtlichem finanziellen Umfang im Gazastreifen ansässige sogenannte Sozialvereine, die der Hamas zuzuordnen sind«, behauptete der Innenminister. Dadurch werde der Einfluß der islamischen palästinensischen Organisation weiter gesteigert. Zum anderen werde das Gesamtbudget der Hamas entlastet, so daß ihr mehr Mittel für terroristische Aktivitäten zur Verfügung stünden. Damit, so de Maizières Logik, leiste die IHH dem Terror Vorschub und richte sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung nach Artikel9, Absatz 2, des Grundgesetzes.

Das »geradezu zynische Verhalten der IHH« komme schon in der Vereinsbezeichnung »Internationale Humanitäre Hilfsorganisation« zum Ausdruck, sagte de Maizière weiter. So werde die Hilfsbereitschaft gutgläubiger Spender mißbraucht, um mit dem für vermeintlich gute Zwecke gespendeten Geld im Ergebnis eine terroristische Organisation zu unterstützen. Gruppierungen aber, die sich unmittelbar oder mittelbar von deutschem Boden aus gegen das Existenzrecht Israels richteten, haben laut Innenminister ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit verwirkt.

Die Einschätzung zur IHH kommt einigermaßen überraschend. Der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen) wollte im vergangenen Monat von der Bundesregierung wissen: »Von welchen Institutionen und Staaten wird die Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V. (IHH) als mit terroristischen oder islamistischen Organisationen in Verbindung stehend eingestuft (...)?« (Drucksache 17/2223). Ole Schröder (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium, erklärte daraufhin wörtlich: »Der Bundesregierung sind keine Institutionen und Staaten bekannt, die die Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V. in der in der Frage benannten Weise bewerten.« Über mögliche Erkenntnisse der Nachrichtendienste des Bundes könne er aus Geheimhaltungsinteressen nichts sagen.

Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Wolfgang ­Gehrcke, kritisierte das IHH-Verbot als »falsch« und nicht akzeptabel. Innenminister de Maizière habe seine Verbotsentscheidung damit begründet, daß die IHH Sozialvereinen im Gazastreifen Geld zur Verfügung stelle, die mit der Hamas verbunden seien. »Diese Begründung ist absurd«, so Gehrcke. »Jedes Medikament, das in den Gazastreifen geliefert wird, jedes Lebensmittel würde in dieser Logik die Hamas entlasten und ihr Geld für Waffenkäufe belassen. So gesehen müßte man die Bevölkerung sterben oder verhungern lassen, um die Hamas nicht zu unterstützen. Das ist menschenunwürdig. Dadurch kann auch die falsche Politik der Hamas nicht überwunden werden. Organisationen, die humanitäre und soziale Hilfe für die Palästinenserinnen und Palästinenser leisten, bedürfen der Unterstützung der Regierung, nicht ihres Verbots.«

Der jetzt verbotene Verein hat übrigens nichts mit der Free-Gaza-Flotte zu tun, die Ende Mai von der türkischen Stiftung IHH (Insani Hak ve Hürriyetler Vakf) organisiert worden war. Beim Sturmangriff der israelischen Marine waren am 31. Mai neun Aktivisten getötet worden. Nicht alle Agenturen vermochten die beiden IHH gestern auseinanderzuhalten - vielleicht auch das Ministerium in Berlin nicht?

* Aus: junge Welt, 13. Juli 2010


Auszug aus:
Innenminister verbietet Spendensammelverein für Gaza

IHH soll 6,6 Millionen Euro an die Hamas überwiesen haben

Von Michael Fischer, dpa **


(...) Die deutsche IHH ist nicht zu verwechseln mit einem türkischen Verein mit der gleichen Abkürzung, der im Mai die von der israelischen Armee gewaltsam gestoppten Hilfstransporte in den Gaza- Streifen mitorganisiert hatte. Beide Vereine haben aber den gleichen Ursprung. Die IHH wurde 1992 in Freiburg gegründet, spaltete sich fünf Jahre später aber in eine deutsche und eine türkische Organisation. Beide haben nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes enge Verbindungen zu »Milli Görüs«.

Die Hälfte der Gaza-Spenden der IHH kamen nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes direkt von »Milli Görüs«. 3,35 Millionen Euro sammelte die IGMG im Rahmen einer »Opfertierkampagne« in ihren mehr als 300 Moscheen und Kulturvereinen in Deutschland.

Trotzdem kann man die Massenorganisation nach Angaben aus Sicherheitskreisen nicht als Ganzes zur Verantwortung ziehen, weil die IHH nur von 10 bis 15 Funktionären gesteuert wurde. De Maizière erklärte, die IHH habe die Hilfsbereitschaft gutgläubiger Spender missbraucht, um mit dem für vermeintlich gute Zwecke gespendeten Geld im Ergebnis eine terroristische Organisation zu unterstützen. »Das geradezu zynische Verhalten der IHH kommt schon in der Vereinsbezeichnung 'Internationale Humanitäre Hilfsorganisation' zum Ausdruck.«

Das Innenministerium hat in den vergangenen Jahren mehrere islamistische Vereine verboten, darunter auch zwei wegen Spenden an die Hamas: »Al-Aqsa« und deren Nachfolgeorganisation »Yatim-Kinderhilfe«.

Der zuständige Innenminister in Bund oder Land kann Vereine verbieten, »deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten«. Ausländervereine können darüber hinaus verboten werden, wenn sie beispielsweise ausländische Terrororganisationen unterstützen.

** Auszug aus: Neues Deutschland, 13. Juli 2010

Dokumentiert

"Schändlich und rechtswidrig"

Das Verbot der in Frankfurt am Main ansässigen »Internationalen Humanitären Hilfsorganisation e.V.« (IHH) durch den Bundesinnenminister ist »schändlich und rechtswidrig«, sagte der Vorsitzende der IHH e.V., Mustafa Yoldas, in einer ersten Erklärung am Montag abend (12. Juli). Er teilte zugleich mit, daß rechtliche Schritte gegen die Verbotsverfügung unverzüglich eingeleitet werden. Im Folgenden dokumentieren wir die Presseerklärung des Vereins in der von der "jungen Welt" mitgeteilten Fassung.

Die IHH wurde heute mit der Begründung verboten, sie unterstütze die Hamas und richte sich damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe würde die IHH in Palästina ansässige »sogenannte Sozialvereine, die der Hamas zuzuordnen sind«, unterstützen und somit mittelbar die Hamas entlasten, so das Bundesministerium des Inneren.

Nicht das Verhalten der IHH ist zynisch, wie es der Bundesinnenminister herausstellt, es ist das Verbot des BMI, das alle Voraussetzungen des Zynismus erfüllt. Das Verbot ist infam und menschenverachtend, da es Hilfsorganisationen und alle Menschen anmahnt, den Opfern der völkerrechtswidrigen Unterdrückung der israelischen Regierung keine humanitäre Hilfe mehr zukommen zu lassen.

Mit der Begründung des Bundes­innenministers müßte wohl auch die UNO oder das Rote Kreuz mit einem Verbot belegt werden. Denn was hier abgestraft wird, ist die Hilfe für die notleidende Bevölkerung im Gaza-streifen. Der deutsche Staat macht sich zum willfährigen Vollstrecker der israelischen Politik, die mit ihrem Terror gegen die palästinensische Bevölkerung diese an den Rand der Existenz gedrängt hat.

Es ist die israelische Besatzung und der Staatsterror, der den Palästinensern im Gazastreifen kaum das Nötige zum Überleben läßt. Nun soll offensichtlich jegliche humanitäre Hilfe für die notleidende Bevölkerung im Gazastreifen abgeschnitten werden. Es ist makaber, daß der Bundesinnenminister diejenigen, die Waisenkinder versorgen, bestraft, statt diejenigen zu kritisieren, die Kinder zu Waisen machen.

Es ist ein unglaublicher Akt staatlicher Willkür, eine ausschließlich humanitäre Hilfsorganisation zu verbieten, die im vergangenen Jahr nicht nur in Palästina, sondern in weiteren 79 Ländern dieser Erde in den Bereichen der Waisenversorgung, der Entwicklungshilfe und der Katastrophenhilfe, unter anderem in Haiti, aktiv gewesen ist und die niemals das Existenzrecht Israels in Frage gestellt oder Gewalt befürwortet hat.

Statt die IHH für ihre besonderen fast ausschließlich ehrenamtlich erbrachten humanitären Verdienste auszuzeichnen, wird sie mit vorgeschobenen Gründen aus durchsichtigem politischem Kalkül verboten und damit dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in weiten Teilen der Welt in erheblichem Maße geschadet. Wir gehen fest davon aus, daß diese Maßnahme keinem Gericht eines Rechtsstaates standhält.

Quelle: junge Welt, 14. Juli 2010




Zurück zur Gaza-Seite

Zur Deutschland-Seite

Zur Terrorismus-Seite

Zurück zur Homepage