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"Gaza-Report" übersetzt

"Gegossenes Blei" schwarz auf weiß: Deutsche Fassung des "Goldstone-Berichts" über israelische Militäroperation in Berlin vorgestellt

Von Claudia Wangerin *

Als Richard Goldstone im April 2009 von den Vereinten Nationen beauftragt wurde, mögliche Menschenrechtsverbrechen während der israelischen Militäroperation »Gegossenes Blei« im Gazastreifen aufzudecken, hatte er Bedenken, als Jude in ein Gebiet zu gehen, das von der palästinensischen Hamas kontrolliert wird. Als Goldstone den Abschlußbericht vorlegte, wurde der 71jährige Jurist von israelischen Massenmedien geschmäht - und Staatsoberhaupt Shimon Peres nannte seinen Bericht eine »Verhöhnung der Geschichte«.

Offiziell hatte sich die Militäroperation vom 27. Dezember 2008 bis zum 18. Januar 2009 gegen Mitglieder und Einrichtungen der Hamas gerichtet. Nach israelischen Angaben verloren im Gazastreifen 1166 Menschen ihr Leben, palästinensische Zahlen schwanken zwischen 1387 und 1417 Getöteten. Goldstone war vom Ausmaß des Elends und der Zerstörung schockiert und hatte der israelischen Armee eine Verletzung des humanitären Völkerrechts durch wahllose Angriffe mit zivilen Todesopfern und die Zerstörung lebenswichtiger Infrastruktur bescheinigt.

Die deutsche Übersetzung des »Gaza-Reports« hat ein jüdischer Verleger in Auftrag gegeben, der ebenfalls Schmähungen gewohnt ist: Abraham Melzer, den der Autor und Kulturkampfagitator Henryk M. Broder als Antisemiten und jüdischen Selbsthasser diffamierte. Eine Kurzfassung des Berichts in deutscher Sprache ist am Samstag in Berlin vorgestellt worden, wo Melzer sich genötigt sah, auf bisherige und zukünftige Attacken einzugehen: »Kritik an Israel ist kein Antisemitismus - Empathie für die Palästinenser bedeutet nicht, daß man Israel auslöschen will«.

Auf den konkreten Nachweis sachlicher Fehler haben Goldstones Kritiker bislang verzichtet. Statt dessen wirft man ihm vor, sein Untersuchungsbericht stütze sich unter anderem auf Quellenmaterial von »notorisch antiisraelischen Nichtregierungsorganisationen« - darunter neben palästinensischen Organisationen auch Human Rights Watch und Amnesty International. Allerdings hatten Goldstone und seine Untersuchungskommission während ihrer Aufenthalte im Gazastreifen ihre Gesprächspartner selbst ausgewählt, darunter Menschen, die durch die Militäroperation zum Teil mehrere Angehörige verloren hatten.

Mit eigenen Augen sahen die Mitglieder der Untersuchungskommission Zeugnisse der Verwüstung: Von Panzern umgepflügte Felder; zerstörte Hühnerfarmen; die einzige Getreidemühle ein Trümmerhaufen - offenbar gezielte Angriffe gegen die Nahrungsmittelinfrastruktur. In Gaza-Stadt war die Kanalisation getroffen worden und ein Gelände von einem Quadratkilometer Fläche mit Abwässern überschwemmt.

Die deutsche Endfassung des Reports umfaßt voraussichtlich knapp 700 Seiten. Das Vorwort schrieb der letzte noch lebende Mitunterzeichner der Charta der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 und UNESCO-Preisträger des Jahres 2008, Stephane Hessel.

Gerüchte, Goldstone habe sich inzwischen von dem Bericht distanziert, weil ihm nicht Recht sei, »was damit gemacht werde«, wies Melzer zurück. Bei Rücksprachen mit dem Verlag habe Goldstone lediglich gesagt, er sehe seine Arbeit als erledigt an, seit er den Bericht der UNO übergeben habe.

Prof. Dr. Rolf Verleger von der »Jüdischen Stimme für Gerechten Frieden« ging auf die historischen Hintergründe des Nahostkonflikts ein, der ohne die nationalistische Verfolgung der Juden in Europa nicht denkbar sei. Trotzdem halte er sich mit Kritik nicht zurück, wenn die »Reste des Judentums« in der BRD heute mehrheitlich kein Blatt zwischen sich und dem Staat Israel ließen.

Der Bericht der Untersuchungskommission der UN über den Gaza-Konflikt ist demnächst bei SEMITedition, Neu Isenburg, erhältlich.

* Aus: junge Welt, 18. Januar 2010


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