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Hilfe für Gaza an Hamas vorbei?

Norman Paech, Abgeordneter der LINKEN, besuchte den Gaza-Streifen

Der Hamburger Jurist (Jahrgang 1938) ist emeritierter Professor für Öffentliches Recht und außenpolitischer Sprecher der LINKEN.



ND: Herr Prof. Paech, Sie sind Anfang der Woche von einem Aufenthalt im Gaza-Streifen zurückgekehrt. Kann man als ausländischer Politiker einfach dorthinfahren?

Paech: Nein, das ist sehr schwierig. Es ist beileibe nicht allen möglich, weil Israel nach wie vor eine Blockade des Gaza-Streifens praktiziert. Dieses war eine europäische Parlamentarierdelegation unter Leitung der Vizepräsidentin des Europaparlaments.

Über das Ausmaß der Zerstörungen im Gaza-Streifen ist viel geschrieben und gesendet worden. Gab es trotzdem für Sie Schockierendes, Unerwartetes?

Schockierend war für mich, real vor Augen zu haben, dass das nicht ein Krieg gegen Hamas und auch nicht gegen die Raketen schießenden Gruppierungen war, sondern offensichtlich ein Krieg gegen die Bevölkerung. Was wir an Zerstörung von Häusern, Fabriken, zivilen Einrichtungen, Moscheen und Krankenhäusern gesehen haben, das sagt ganz eindeutig: Hier ist die Zivilbevölkerung Ziel des Krieges gewesen.

Die Geberkonferenz, die am Montag in Ägypten tagte, hat Hilfen in Höhe von fast 4,5 Milliarden Dollar zugesagt. Halten Sie das für zufriedenstellend?

Zunächst ist es notwendig, Gaza wieder aufzubauen, ganz eindeutig. Nur, dieses ist im Grunde die Legitimierung des Krieges, dass man eine Arbeitsteilung vorschlägt: Ihr zerstört, wir bauen auf. Denn in keinem Statement ist am Montag die Verantwortung Israels für diese Zerstörungen und damit auch seine Verantwortung zur Wiedergutmachung irgendwie erwähnt worden. Hier werden die europäischen und internationalen Steuerzahler zur Kasse gebeten, um die Zerstörungen Israels wieder gutzumachen. Das ist der falsche Ansatz. Das ist das erste.

Das zweite: Die Tatsache, dass man nach wie vor diese Gelder irgendwie an Hamas vorbei im Gaza-Streifen anlegen will, ist eine vollkommene Verkennung der tatsächlichen Umstände. Hamas hat durch den Krieg weiter an Zustimmung und Unterstützung gewonnen. Hamas ist ein politischer Faktor, den man nicht umgehen kann. Wenn man jetzt versucht, alles an die Palästinensische Autonomiebehörde zu geben, unterminiert man den Prozess der Annäherung, der gerade in Kairo zwischen Hamas und Fatah aufgenommen worden ist.

Was erwarten Sie in dieser Hinsicht von der Bundesregierung, aber auch in Bezug auf die Haltung Deutschlands gegenüber den Palästinensern?

Eine grundsätzliche Veränderung der Politik. Nicht, dass man immer zahlt, wenn Israel zerstört, sondern dass man verhindert, dass Israel zerstört. Und dass man auf jeden Fall Druck auf Israel ausübt, beim Grundübel des Gesamtkonflikts ansetzt: die Besetzung zu beenden. Es wird keinen Frieden geben, wenn nicht die Besetzung des Westjordanlands wie die faktische Besetzung Gazas beseitigt wird.

Noch eine Frage zu einem damit zusammenhängenden Thema. Der Duisburger Oberbürgermeisterkandidat der LINKEN hat seine Kandidatur wegen Antisemitismusvorwürfen zurückgezogen. Was ist Ihre Meinung dazu?

Soweit ich gehört habe, hat er einen Boykott israelischer Waren gefordert. Ich habe von meinen Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament sehr oft gehört, dass sie gesagt haben: Wenn man Israel nicht zur Besinnung, d. h. zur Einhaltung des Völkerrechts bringen kann, dann muss es Sanktionen geben, genauso wie es sie gegen Südafrika gegeben hat. Das hat mit Antisemitismus überhaupt nichts zu tun.

Fragen: Roland Etzel

* Aus: Neues Deutschland, 4. März 2009

"Bizarre Logik"

Norman Paech, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, kritisiert die »bizarre Logik bei Nahost-Geberkonferenzen«:

Die internationale Geberkonferenz hat 3,57 Milliarden Euro für den Wiederaufbau des Gazastreifens bewilligt. So begrüßenswert Hilfen für die palästinensische Bevölkerung auch sind, ist die Logik dieser Art von Nahost-Konferenzen äußerst bizarr: Durch den Krieg Israels gegen die Hamas wird der Gaza-Streifen in Schutt und Asche gelegt. Hinterher gibt die internationale Staatengemeinschaft Milliarden Euro, um die Schäden zu beseitigen und die humanitäre Katastrophe abzufedern.

Auch dieses Mal wird diese Art der Arbeitsteilung gewählt, und Israel wird für die Zerstörungen durch seinen Krieg im Gazastreifen nicht zur Verantwortung gezogen. Letztlich erhält damit die israelische Militäroffensive eine nachträgliche Legitimation.

An einer weiteren Logik, die für Nahost-Geberkonferenzen charakteristisch ist, wird ebenfalls unbeeindruckt von aktuellen politischen Entwicklungen festgehalten – am Ausschluß der Hamas. Auch wenn der von Hamas ausgehende Raketenbeschuß Israels weiterhin zu kritisieren ist und künftig verläßlich unterbleiben muß, ist ein solcher Ausschluß absolut kontraproduktiv angesichts der Versöhnungsgespräche zwischen Fatah und Hamas und angesichts der international gewonnenen Einsicht, daß die Hamas bei Friedensgesprächen nicht weiter ignoriert werden sollte.

Einzig und allein wird so der begonnene Prozeß der Annäherung zwischen den Palästinensern unterminiert. Eine solche Politik wird keinesfalls zu einer friedlichen Lösung des Konflikts führen und ebenso wenig zu der beschworenen Zweistaaten-Lösung.

* Aus: junge Welt, 04. März 2009



Hilfe kommt nicht an

Trotz der Milliardenbeschlüsse der Geberkonferenz frieren die Menschen in Gaza und haben kaum Zugang zu Wasser, Strom und Nahrungsmitteln

Von Karin Leukefeld **


Ungeachtet des Aufrufs der Gaza-Geberkonferenz am vergangenen Montag »vollständig, sofort und bedingungslos« die Blockade des Gazastreifens zu beenden und Hilfsgüter passieren zu lassen, erklären UN- und andere Hilfsorganisationen, daß ihre Arbeit weiter durch willkürliche Grenzschließungen Israels behindert wird. Etwa 80 Prozent der Hilfsgüter, die Israel durchlasse, seien Grundnahrungsmittel, hieß es in einer Erklärung des UN-Büros für humanitäre Angelegenheiten (OCHA). Die Einfuhr von Baumaterialien und Ersatzteilen für die Wiederherstellung von Häusern und Werkstätten, Wasser- und Abwasseranlagen sei weiter verboten. Die Wasserbehörde des Küstenstreifens erklärte, daß 50 000 Menschen noch immer ohne Wasser seien, 100 000 weitere erhielten nur alle sieben bis zehn Tage Wasser aus Containerwagen. Trotz winterlicher Kälte funktioniert auch die Stromversorgung schlecht. 90 Prozent der Bevölkerung erhielten nur wenige Stunden Strom pro Tag, zehn Prozent hätten gar keinen Zugang zum Stromnetz, so OCHA. 124 Paletten Makkaroni und 30 Tonnen Kichererbsen warteten seit nunmehr einem Monat auf die Einfuhrgenehmigung und 57 Kartons mit Kinderspielzeug des UN-Kinderhilfswerks UNICEF dürften nicht eingeführt werden, weil sie nach Auskunft zuständiger israelischer Behörden nicht »humanitär dringlich« seien.

Da Israel bereits seit 2007 die Grenzübergänge in den Gazastreifen nur willkürlich öffnet und sich das Recht nimmt zu entscheiden, wer oder was ein- oder ausreisen darf, haben die Palästinenser an der südlichen Grenze zu Ägypten Hunderte von Tunnel gebaut, durch die unter Lebensgefahr dringend benötigte Lebensmittel, Medikamente und Waren eingeführt werden. Trotz vereinbarter Waffenruhe hat die israelische Luftwaffe die Tunnelanlagen wiederholt bombardiert, offiziell, um Waffenschmuggel zu unterbinden. Am Dienstag wurden bei sieben solcher Angriffe vier Menschen verletzt. Kurz zuvor waren fünf Menschen getötet worden, als ein Tunnel zusammenbrach.

Während die ausgebombten Menschen von Gaza versuchen, ihre Hütten und Zelte provisorisch vor winterlichen Regenfällen zu schützen, damit ihre Kinder im Schlaf nicht von den Fluten fortgespült werden, wie eine Palästinenserin einem Kamerateam unter Tränen erzählte, hatten Außenminister aus etwa 80 Ländern in den weich gepolsterten Lehnstühlen eines Luxushotels im ägyptischen Badeort Scharm el-Scheich viel Geld aufgeboten, um wiederaufzubauen, was Israel nicht zum ersten Mal, dafür aber um so gründlicher zerstört hatte. 4,5 Milliarden US-Dollar kamen zusammen, wobei ein Teil des Geldes zur Entwicklung der besetzten palästinensischen Gebiete in der Westbank eingesetzt werden soll. Saudi Arabien gab mit einer Milliarde US-Dollar die größte Summe. Die USA folgen mit 900 Millionen Dollar, wobei das Geld keinesfalls an die Hamas gehen dürfe, wie US-Außenministerin Hillary Clinton betonte. »Extremisten« werde man nicht unterstützen. Man weigere sich hartnäckig, die politischen Realitäten der Palästinenser anzuerkennen, »insbesondere die Legitimität und die Position der Hamas«, kommentierte der renommierte Journalist Rami Khouri in der libanesischen Tageszeitung The Daily Star.

** Aus: junge Welt, 5. März 2009


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