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Gaza-Konferenz sendet Hoffnung aus

4,5 Milliarden Dollar für Wiederaufbau / Hamas weiter ausgegrenzt

Die internationale Staatengemeinschaft will den Palästinensern in den kommenden zwei Jahren mit insgesamt 4,481 Milliarden US-Dollar beim Wiederaufbau des Gaza-Streifens helfen. Dies gab der ägyptische Außenminister Ahmed Abul Gheit am Montag (2. März) zum Abschluss der Geberkonferenz in Scharm el Scheich bekannt. Die Konferenz forderte zudem, die von Israel blockierten Gaza-Zugänge zu öffnen.

Scharm el Scheich (Agenturen/ ND). Die Teilnehmer der Wiederaufbaukonferenz warnten eindringlich davor, die Bemühungen um eine politische Einigung zwischen den Palästinensern und der neu zu bildenden israelischen Regierung zu vernachlässigen.

»Wir haben auch die Hoffnung, dass das, was jetzt wieder aufgebaut wird, nicht erneut zerstört wird«, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Dafür seien eine dauerhafte Waffenstillstandsvereinbarung zwischen Israel und allen Palästinensergruppen sowie die Wiederaufnahme direkter Friedensgespräche notwendig. Steinmeier kündigte an, dass sich die Bundesregierung mit 150 Millionen Euro am Gaza-Wiederaufbau beteiligen will. Den größten Beitrag will Saudi-Arabien leisten, das Hilfen im Wert von einer Milliarde US-Dollar ankündigte. 900 Millionen Dollar Hilfe sagten die USA zu. Außenministerin Hillary Clinton betonte, die Hilfen würden in Zusammenarbeit mit der palästinensischen Regierung in Ramallah und Präsident Mahmud Abbas gewährt. In Anspielung auf die Hamas, die den Gaza-Streifen kontrolliert, sagte sie, Washington werde dafür sorgen, dass die »Extremisten« kein Geld erhielten.

Minister, Regierungschefs und Diplomaten aus mehr als 70 Staaten nahmen an der Wiederaufbau-Konferenz teil, zu der Ägyptens Präsident Husni Mubarak eingeladen hatte. Mubarak, dessen Regierung im Januar als Vermittlerin eine brüchige Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas erreicht hatte, forderte die internationale Gemeinschaft auf, sich aktiv an der Entschärfung der »hochexplosiven« Lage in Nahost zu beteiligen. Er fügte hinzu, es sei »bedauerlich«, dass sich Israel aus den von Ägypten vermittelten Verhandlungen über eine Waffenruhe mit der Hamas zurückgezogen habe. Die Entscheidung Israels, die Waffenruhe mit den Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch zu verknüpfen, sei falsch. Eine längerfristige Waffenruhe und die Bildung einer palästinensischen Einheitsregierung seien Voraussetzungen für einen erfolgreichen Gaza- Wiederaufbau. Palästinenserpräsident Abbas, dessen Fatah-Fraktion 2007 aus dem Gaza-Streifen vertrieben worden war, erklärte: »Die Palästinenser haben keine andere Wahl als die Einigung und Versöhnung.«

Anlässlich der Gaza-Konferenz appellierten die LINKE-Abgeordneten Hüseyin Aydin und Norman Paech an die Bundesregierung und die EU, sich nicht hinter Geldzusagen zu verstecken, sondern klare Worte zu finden. [siehe die Stellungnahme im Kasten auf dieser Seite.] »Sicherheit und Frieden in Nahost sind nur möglich, wenn die Palästinenser einen eigenen Staat haben -- und den können sie mit Geld nicht kaufen.« Die Katastrophe in Gaza sei die Folge eines politischen Problems, welches in der seit über vierzig Jahren auf dem Land lastenden Besatzung liegt. Israel müsse aufgefordert werden, endlich die UN-Resolutionen umzusetzen.

* Aus: Neues Deutschland, 3. März 2009


Stellungnahmen

PRESSEMITTEILUNG

Ohne Ende der Gaza-Blockade wird Geberkonferenz zur humanitären Angeberkonferenz

pax christi, IPPNW und Palästinensische Gemeinde Deutschland kritisieren Haltung der Bundesregierung

Berlin, 26. Februar: Ohne Ende der Gaza-Blockade verkommt die vom 1.bis 2. März in Sharm--el-Sheikh geplante internationale Geberkonferenz für Gaza zur humanitären Angeberkonferenz. Außenminister Steinmeier müsse sich deshalb mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die Blockade des Gazastreifens und die damit einhergehende kollektive Bestrafung der Menschen im Gazastreifen aufgehoben wird. Dies fordert ein Friedensbündnis aus IPPNW (Internationale Ärzte gegen Atomkrieg), Jüdischer Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Palästinensischer Gemeinde Deutschland, Deutsch-Palästinensischer Gesellschaft und der internationalen katholischen Friedensbewegung pax christi, das mit der Entsendung eines Hilfsgüter-Schiffs gegen die Blockade von Gaza protestiert.

Bundesregierung und EU müssten bei der Geberkonferenz außerdem darauf drängen, dass die Kriegsparteien für entstandene Schäden an EU-Projekten zur Rechenschaft gezogen werden. Es sei unverantwortlich gegenüber den eigenen Steuerzahlern, Geld in den Aufbau zu stecken, wie es vor der Bombardierung des Gazastreifens geschehen ist, und dann diejenigen, die die Zerstörung anordneten, nicht zur Verantwortung zu ziehen.

Das Völkerrecht bietet den Rahmen für die Konfliktlösung, so das Friedensbündnis. Die Blockade von Gaza und Raketen auf zivile Ziele verstoßen nach Meinung des Bündnisses gegen das Völkerrecht: "Wir wollen der Strangulation und dem Aushungern einer Bevölkerung von 1,5 Millionen Menschen nicht tatenlos zusehen, zumal sie weiterhin unter den fortgesetzten militärischen Angriffen und ihren Folgen leiden", heißt es im Appell des Bündnisses, den u.a. Bundestagsvizepräsident Dr. Wolfgang Thierse und weitere Bundestagsabgeordnete, die Bischöfe Heinz Josef Algermissen, Fulda und Dr. Hans-Jürgen Abromeit, Pommersche Evangelische Kirche, Prof. Dr. Ulrich Gottstein, IPPNW-Vorstand und Prof. Dr. Rolf Verleger, ehemaliger Vorsitzender des Landesverbands Jüdische Gemeinschaft Schleswig-Holstein, unterzeichnet haben.

Offene Grenzen für Menschen und Waren nach dem verheerenden über dreiwöchigen Krieg würden für Erleichterung sorgen. Entwicklung schafft Frieden.

Kontakt:
Christine Hoffmann, pax christi Generalsekretärin pax christi, www.paxchristi.de;
E-mail: kontakt@freegaza.de; Webseite: www.freegaza.de


Israel muss Blockadepolitik aufgeben und sich am Wiederaufbau in Gaza beteiligen

Pressemitteilung 02.03.2009 -- Hüseyin Aydin, Norman Paech

Unmittelbar vor beginn der internationalen Geberkonferenz für den kriegszerstörten Gaza-Streifen appellieren Hüseyin Aydin und Norman Paech an die Bundesregierung und die EU, sich nicht hinter Geldzusagen zu verstecken, sondern klare Worte zu finden. "Sicherheit und Frieden in Nahost sind nur möglich, wenn die Palästinenser einen eigenen Staat haben -- und den können sie mit Geld nicht kaufen", so die beiden Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE.

"Bereits im Vorfeld der Konferenz haben Geber ,substanzielle Hilfen' für den Wiederaufbau versprochen, darunter Deutschland, die EU und auch die USA", sagt Aydin Obmann der Fraktion im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. "Angesichts der Zerstörungen und der katastrophalen humanitären Lage in Gaza ist diese Hilfe zwar wichtig, aber mit Geldversprechen allein ist den Menschen nicht geholfen. Wichtigste Voraussetzung für den Wiederaufbau ist, dass Israel seine Blockadepolitik beendet. Durch die Blockade wurden Lieferungen von Baumaterial an der Grenze gestoppt und sogar die Auslieferung von Hilfsgütern wiederholt verzögert wurde. Diese Politik verschlimmert das Leiden der 1,5 Mio. Palästinenserinnen und Palästinenser in Gaza. Sie ist eine Fortsetzung der Konfrontationspolitik, die neue Gewalt provozieren wird, wie es die Raketenangriffe der Hamas am Wochenende gezeigt haben. Israel muss als Verursacher der Kriegsschäden an den Kosten des Wiederaufbaus beteiligt werden. Die Geberkonferenz muss Israel gegenüber eine klare Haltung in diesen Fragen einnehmen."

"Geberkonferenzen bergen die Gefahr, die tatsächlichen Probleme nur zu verdecken", sagt auch Paech, außenpolitischer Sprecher der Fraktion. "Die humanitäre Katastrophe in Gaza ist die Folge eines politischen Problems, welches in der seit über vierzig Jahren auf dem Land lastenden Besatzung liegt. Alle Hilfen und Wiederaufbauprogramme verpuffen, wenn sie von politischen Initiativen zur Lösung des Konflikts abgekoppelt sind. Ein klares politisches Signal wäre es, von Israel nicht nur die sofortige Öffnung der Grenzen und die notwendigen Verhandlungen mit der Hamas zu verlangen, sondern sich vehement gegen die Pläne des israelischen Wohnungsbauministeriums zur Erweiterung der jüdischen Siedlungen auf palästinensischem Boden und die Enteignung von 88 palästinensischen Wohnhäusern in Ost-Jerusalem auszusprechen. Israel muss aufgefordert werden, endlich die UN-Resolutionen umzusetzen und die Besatzung zu beenden."

Quelle: www.linksfraktion.de



K o m m e n t a r e

Realitäten ignoriert

Von Roland Etzel **

Gaza ist in seiner ebenso langen wie leidvollen Geschichte schon mehrmals wiederaufgebaut worden, so zu Beginn der Zeitrechnung von den Römern und vor 15 Jahren von potenten arabischen bzw. westeuropäischen Staaten, die das auch diesmal wieder tun wollen. An Zusagen dafür mangelt es jedenfalls nicht.

Probleme haben die »Geber« trotzdem, allerdings ganz anderer Art. Sie ähneln ein bisschen denen nach dem Libanon-Krieg im Sommer 2006. Dort war vieles kaputt nach Israels Wüten, nicht aber sein Kriegsziel: die Hisbollah. Die Geberkonferenz für Libanon wollte danach die Hisbollah politisch isolieren und von Hilfe abschneiden. Beides scheiterte kläglich.

Nun wird Ähnliches mit der Hamas in Gaza versucht. Auch sie wurde durch Israels Krieg, obwohl im Fadenkreuz, politisch höchstens noch gestärkt, von den »Gebern« gestern aber krampfhaft ignoriert. Auch Deutschland hängt im Dilemma seines laut verkündeten Dogmas: »Niemals akzeptieren wir Hamas« und verweigert sich nahöstlichen Wahrheiten. Eine davon lautet: Es wird in Gaza Wiederaufbau mit der Hamas oder gar keinen geben.

Es gibt allerdings einen Grund, warum das Thema weder in Berlin noch in Brüssel, schon gar nicht in Washington jemand hören will. Denn man müsste sich dann auch der Frage stellen: Wie verhalten wir uns eigentlich, wenn Israel Gaza das nächste Mal zerbombt?

** Aus: Neues Deutschland, 3. März 2009 (Kommentar)


Die elegante Lösung

Auszug aus einem taz-Kommentar von KARIM EL-GAWHARY ***

(...)
Was im Krieg nicht erreicht wurde, nämlich die Hamas zu schwächen, das wird jetzt erneut versucht. In anderen Worten: Die Geldgeber versuchen nun mit dem Wiederaufbaugeld Politik zu machen. Zur Geberkonferenz war entsprechend die Hamas-Konkurrenz des Palästinenserpräsident Mahmud Abbas geladen. Diejenigen aber, die in Gaza die Fäden ziehen, blieben außen vor. (...)

Dabei wissen alle schon heute, dass ein Wiederaufbau unter Ausschluss der Hamas nicht funktionieren kann. Folglich hegen sie jetzt die unausgesprochene Hoffnung, dass am Ende eines palästinensischen Versöhnungsprozesses eine Einheitsregierung mit Fatah und Hamas stehen wird. Dies würde der EU und den USA den eleganten Rückzug aus der Sackgasse erlauben. Wiederaufbaugelder könnten dann an den Fatah-Teil der Regierung fließen, mit dem auch verhandelt werden kann, und doch wäre die Hamas politisch eingebunden. Die jetzt versprochenen Gelder können dabei für den palästinensischen Versöhnungsprozess durchaus motivierend wirken.

Bemerkenswert ist noch, dass in allen feierlichen Reden über den Wiederaufbau von Gaza das Wort "Israel" nur sehr selten fiel. Dagegen war immer wieder von der verheerenden humanitären Lage und der Not in Gaza die Rede. Gerade so, als sei der Gazastreifen Anfang des Jahres von einem Erdbeben heimgesucht worden.

*** Aus: taz-online.de 2.3.2009


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