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In Wahlzeiten ist es in Israel populär Palästinenser zu töten

Interview mit Chas Freeman im Russischen Fernsehen *


Chas Freeman, Jahrgang 1943, ist ein US-amerikanischer Diplomat, Politiker und Publizist. Seine Karriere begann er als Übersetzer bei der Reise Richard Nixons nach China 1972. Von 1989 bis 1992 war Freeman US-Botschafter in Saudi-Arabien, danach hochrangiger Politiker im US-Verteidigungsministerium (Assistant Secretary of Defence), zuständig für Sicherheitsfragen. Später wurde er Vorsitzender des Nahost-Rats un d anderer politischer Beratungseinrichtungen. 2019 war er sogar im Gespräch, in der Obama-Administration Vorsitzender des National Intelligence Council zu werden, was aber durch eine heftige Kampagne prominenter Pro-Israelis verhindert wurde. Vor kurzem wurde Freeman für das Russische Fernsehen (RT) von Sophie Schewardnadse über den zurückliegenden Gaza-Krieg befragt. Wir dokumentieren das in Englisch geführte Gespräch in einer von Eckart Fooken für uns besorgten Übersetzung.

RT: Die Operation Wolkensäule, die Israel in Gaza durchgeführt hat ist nun vorüber. Beide, Israel und die Hamas, beanspruchen den Sieg für sich. Wer, glauben Sie, ist der Sieger?

C.F. Ich denke nicht, dass Israel der Sieger ist, außer in dem einem Sinne, dass es demonstrierte, dass die Eiserne Kuppel, das Raketenabwehrsystem, funktionieren wird. Auf dem Gebiet der öffentlichen Meinung jedoch – international und innerhalb der Region – hat Israel stark verloren. Niemand sieht es gerne, wenn modernste Kampfflugzeuge eine Zivilbevölkerung bombardieren, was ja passiert ist.

Und natürlich hat all dies Ägypten neue diplomatische Energie verliehen. Und es erzeugte eine Menge Unterstützung für die Palästinenser in Gaza, trotz der Tatsache, dass viele der Regierungen, die Gaza besuchten oder z. B. ihre Außenminister dorthin schickten, die Hamas überhaupt nicht mögen, sonder sie geradezu fürchten. Also wurde die Hamas politisch deutlich gestärkt, sowohl in den Palästinensergebieten wie in der arabischen Welt. Und ich denke, das ist ein Sieg für die Hamas und eine Niederlage für Israel.

RT: Aber Israel beruft sich auf das Recht der Selbstverteidigung gegen Terrorismus, und dieser Anspruch wird unterstützt von Ländern wie die USA und Deutschland. Dieses Recht können sie doch sicher nicht bestreiten, oder?

C.F.: Sicher nicht, aber das bedeutet nicht, dass man Angriffe auf Andere, insbesondere auf Zivilisten, als präventive Aktion durchführen kann. Die Tatsache, dass eine Seite gelegentliche terroristische Aktionen durchführt rechtfertigt noch keinen Staatsterrorismus. Und in diesem Fall gab es keinen irgendwie wirksamen Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen nach Israel vor der israelischen Entscheidung zu dem Militäreinsatz, der den militärischen Führer der Hamas tötete.


Das Interview LIVE

RT : Die Hamas ist eine Organisation, die über keine große militärische Stärke verfügt. Viele sagen eigentlich, dass Israel, schon 2008-2009 wie auch dieses Mal, wenn es wirklich gewollt hätte, die Hamas aus Palästina hätte herausdrängen können. Aber es hat dies nicht getan. Warum nicht?

C.F. : Nun, ich denke Israel hat durchaus versucht bei der Operation „Gegossenes Blei“ Gewalt anzuwenden. Das war gegen Ende 2008, und da gab es gerade den Regierungswechsel in Washington. Es ist schon interessant, dass dieser Krieg jetzt auch während des US-Wahlkampfes ablief. Aber Israel scheiterte, und der Grund dafür war, dass die Strategie falsch ist. Man kann Menschen nicht in eine friedliche Koexistenz bomben, das funktioniert einfach nicht.

RT.: Sie sprachen gerade über die Wahlen. Dies passierte genau nach den Präsidentschaftswahlen in den USA und kurz vor den Parlamentswahlen in Israel. Was legt das nahe : ist das Timing gezielt oder lediglich ein Zufall?

C.F. : Nun, ich denke, dass das Timing in diesem Fall durch die israelischen Wahlen diktiert wurde. Es ist sehr populär in Israel ein Menge Palästinenser in Gaza zu töten. Und die Hamas wird als ein Monstrum gesehen, und ein Krieg gegen die Hamas … naja, der gewinnt Stimmen.

PT.: Ich möchte auch über die Wortwahl bei der Operation „Wolkensäule“ sprechen, da besteht offensichtlich ein Bezug zur Bibel. In der Bibel war es die Wolkensäule , die die Israelis aus Ägypten führte und sie vor dem Pharao rettete. Wie sehr dominiert das Narrativ der Torah die Gedankenwelt der israelischen Kriegsplaner?

C.F. : Nun, das religiöse Element in den israelischen Streitkräften wird von den Siedlern vorangetrieben. Nicht von den orthodoxen Juden, viele von denen wollen keinen Militärdienst leisten und verweigern diesen. Aber das religiöse Element in den israelischen Streitkräften ist ständig angewachsen. Und daher wird die Religion mittlerweile stark in seine Operationen einbezogen. Die Wortwahl einiger Rabbis während „Gegossenes Blei“ war mit ihren alt-testamentarischen Bildern des Genozids an Nicht-Juden schlichtweg verletzend.

Ich glaube auch, dass es zutrifft, dass die Verwendung einer derartigen Sprache den Sachverhalt widerspiegelt, dass die israelisch-palästinensische Auseinandersetzung, die als Kampf zweier streitender Nationalismen begann, zu einem Kampf zwischen Arabern und Israelis wurde, und mittlerweile zu einem Kampf zwischen Juden und Muslimen.

RT.: In den westlichen Medien wurde die Operation „Wolkensäule“ umbenannt in „Pfeiler der Verteidigung.“

C.F.: Oh, ich nehme an, das klingt weniger beunruhigend. Verteidigung ist doch etwas Gutes. Menschen von hinter einer Wolke anzugreifen ist es vielleicht nicht. Erinnerungen an Gewalttaten des Alten Testaments hervorzurufen führt im Rest der Welt vielleicht doch zu einigen Fragen. Wir haben hier also ein typisches Beispiel von dem, was die Israelis „hasbara“ nennen, nämlich die Kontrolle der Berichterstattung und der Propaganda – und die bewältigen sie sehr gut.

RT.: 2009 waren Sie nominiert für die Leitung des National Intelligence Councils in der Obama-Regierung und sie verzichteten wegen des, wie sie es nannten, Drucks derIsrael-Lobby in den USA. Sie spezifizierten dies später, dass sie korrekterweise eher die Likud-Lobby, also Lobby des rechten Flügels der israelischen Politik, heißen sollte. Was genau meinen sie mit dieser Definition?

C.F. Wenn Sie sich die amerikanische jüdische Gemeinschaft, aus der die Aktivisten der Israel-Lobby hervorgehen, ansehen, so kommen diese eigentlich nur aus einem sehr eng begrenzten Segment – circa vier Prozent der amerikanischen jüdischen Gemeinschaft – und das sind Leute, die den äußersten rechten Flügel in Israel stark unterstützen. Es gibt auch noch eine große passive Unterstützung für Israel unter den christlichen Fundamentalisten, aber das sind im Allgemeinen keine Aktivisten.

RT.: Da gibt es noch eine weiteres interessantes Beispiel, das Sie beschrieben haben. Ich werde Ihnen mal ein Zitat von Ihnen vorlesen. Ihnen wird gerade von einem hochrangigen israelischen Offizier gesagt: “Danke für alles das sie für Israel getan haben. Welchen Job in der Regierung von Präsident Bush möchten sie denn übernehmen?“ Wie genau funktioniert denn so etwas? Ich meine, kann eine fremde Macht tatsächlich die Zusammensetzung des Personals für Nationale Sicherheitsbelange in der US-Regierung beeinflussen?

C.F.: Nun, als dieser Mann, den ich für einen Freund gehalten hatte und auch ein bisschen bewunderte, so taktlos war, mir ein Angebot zu machen, dachte ich, er könnte das tatsächlich erfüllen. Ich dachte, er mache ein wirkliches Angebot. Als amerikanischer Patriot war ich sehr aufgebracht darüber. Mir gefällt die Vorstellung überhaupt nicht, dass irgend ein fremdes Land – selbst wenn es uns nahe steht – in der Lage sein könnte, wesentliche Entscheidungen unserer Innenpolitik zu diktieren.

RT.: War es ein Bluff oder konnte er es tatsächlich erfüllen?

C.F.: Ich glaube, er hätte es möglicherweise erfüllen können. Ich bin aber nicht darauf zurückgekommen aus einem offensichtlichen Grund. Ich hielt es für ein verabscheuungswürdiges Angebot.

RT: Das ist ja doch schon irgendwie Besorgnis erregend.

C.F.: Ein bisschen schon, ja. Aber sehen Sie, da gibt es noch ein anderes Narrativ, nämlich, dass israelische und amerikanische Interessen identisch sind; israelische und amerikanische Werte sind identisch. Keins von beiden stimmt, wenn man es mal genau untersucht.

RT.: Aber das israelische Narrativ wäre doch nichts ohne amerikanische Unterstützung?

C.F.: Ja, Die USA sind eine Art wunderbarer Hallraum für Israel, weil unsere Beziehungen so eng sind. Wir sind so häufig in Kontakt miteinander, und die amerikanischen Medien sind derartig aufgeschlossen gegenüber der Verbreitung der israelischen Sicht der Dinge. Und die amerikanischen Medien besitzen international einen großen Einfluss, und so wird eine doch eher schwache kleine Stimme aus Israel von ihnen verstärkt und überall hin verbreitet.

Und Israel ist schließlich nur ein sehr kleines Land, das von Feinden umgeben ist. Ob es diese Feinde selbst erzeugt hat oder ob sie einfach schon da waren, ist unerheblich. Israel befindet sich in einer schwierigen Lage und benutzt alles in seiner Macht stehende um sich zu verteidigen – und dies ist ein Mittel zur Verteidigung, ein sehr starkes.

RT.: Was genau sind die Prioritäten der Israel-Lobby in den USA, und wie viel Macht können sie gegenüber den US-Medien ausüben?

C.F.: Nun, Ich glaube, es geht hier weniger um die Medien als um den Kongress. Aber letztlich ist die Werbung der Treibstoff für unsere Medien, und Werbung kann verweigert oder gewährt werden, je nachdem was man sagt. Und der Kongress arbeitet mit dem Treibstoff der Wahlkampfspenden, was in anderen Worten heißt, unsere Politik ist recht korrupt. Man kann Stimmen kaufen.

RT.: Was ich eigentlich schon immer wissen wollte: Wie kommt es, dass die arabische Lobby nicht so mächtig ist, wo doch die arabischen Scheichs wahrscheinlich so ziemlich alles bezahlen könnten was sie wollten?

C.F.: Eine interessante Frage! Zuerst einmal glaube ich, dass es keine arabische Lobby gibt. Das ist nur eine Fiktion in den Köpfen der Israel-Lobby, oder vielleicht eine Art Konstrukt, das sie erschufen, weil sie einen Feind brauchten.

RT.: Also warum gibt es keine arabische Lobby?

C.F.. Nun, dafür gibt es eine Menge Gründe. Wir haben eine arabisch-amerikanische Bevölkerungsgruppe in signifikanter Größe, die potenziell eine Lobby bilden könnte, aber sie ist so zersplittert wie die Araber selbst sind. Also gibt es keine innenpolitische Basis, die die Macht diese Stimmenblocks in eine Richtung fokussieren könnte.

Zweitens, was die arabischen Staaten betrifft, so stimmt es, dass die Golf-Araber über eine Menge Geld verfügen, aber sie verfügen über keinerlei Verständnis für die Bedeutung von Institutionen im Gegensatz zu Menschen. Ihre eigene Politik ist sehr personenbezogen – ihre eigenen Gesellschaften beruhen in den meisten Fällen nicht auf institutionellen Grundlagen.

Sie sind nicht an nachhaltige Anstrengungen für irgendwelche Ziele gewöhnt, sie bevorzugen kurzfristige Aktivitäten – anders ausgedrückt, sie mögen den Sprint lieber als den Marathonlauf. Und viele von ihnen sehen es wahrscheinlich als unangemessen an Stimmen zu kaufen. Da pflichte ich ihnen bei, aber da sind sie unglücklicherweise in der Zeit zurückgeblieben, alle anderen tun es nämlich.

Also gibt es keine innenpolitische Basis und keine Unterstützung aus dem Ausland; und ich würde auch sagen, dass die Araber vom Golf, wie alle Araber, also dass sie die amerikanischen Araber nicht mögen, die stammen meistens nicht vom Golf. Araber von dort wandern nicht aus, praktisch ebenso wenig gibt es Saudi-Amerikaner oder Katar-Amerikaner oder Emirat-Amerikaner.

RT.: Sie kommen lediglich zum Studium in die USA und kehren dann zurück.

C.F.: Sie kommen zum Studieren und besitzen vielleicht ein Ferienhaus und genießen das Leben in den USA als Besucher, aber sie wandern nicht aus.

CT.: Bedauern Sie Ihren Rückzieher 2009 und den Verzicht auf den Posten?

C.F.: Überhaupt nicht. Ich wollte einfach nicht mehr für die Regierung arbeiten. Ich hatte dreißig Jahre meines Lebens dem öffentlichen Dienst gewidmet und meinte, das wäre doch eine lange Zeit. Ich zögerte überhaupt sehr, den Posten anzunehmen, und als ich öffentlich auf diese Weise attackiert wurde war klar, dass ich die Aufgabe nicht würde erledigen können. Also war die Entscheidung für den Rückzug einfach nur ein logischer Schritt, den ich auch überhaupt nicht bereue. Ich habe jetzt ein gutes Leben, ein besseres als wenn ich den Posten übernommen hätte.

RT.: Sie denken für die Zukunft nicht an die Übernahme eines anderen Postens in der Regierung?

C.F.: Nein, nein. Ich denke ich sollte einem Jüngeren eine Chance geben. Nein, ich kann mir zu diesem Zeitpunkt keinen Posten vorstellen, den ich wirklich gerne übernehmen würde, teils weil unsere Regierung im Moment ziemlich dysfunktional ist. Sie trifft überhaupt keine vernünftigen Entscheidungen und scheint das auch sehr schwierig zu finden.

Wir können noch nicht einmal einen Staatshaushalt verabschieden. Wir können noch nicht einmal unser Haushaltsdefizit angehen, ebenso wenig auch fundamentale Probleme unserer Außenpolitik; wir machen einfach im alten Trott weiter. Unterdiesen Umständen ist die Chance, dass ein Einzelner wirklich etwas bewirken könnte nicht sehr groß – und ich bin glücklich bei der Bestellung meines Gartens.

[Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken]

* Original: 'Killing Palestinians is popular in Israel around election time', in RT, 9. Dezember 2012; http://rt.com


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