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"Unsere Flottille wird Anfang Juni auslaufen"

Trotz israelischen Überfalls im Vorjahr: Neuer Schiffskonvoi soll Blockade des Gazastreifens brechen. Ein Gespräch mit Lubna Masarwa *


Die Palästinserin Lubna Masarwa ist Mit-Organisatorin der Bewegung »Free Gaza« (Befreit Gaza).

Vor einem Jahr haben israelische Marinesoldaten auf offener See mehrere Schiffe überfallen, die Hilfsgüter nach Palästina bringen wollten. Dabei erschossen sie neun Menschen, es gab viele Verletzte. Trotz dieser Erfahrungen soll demnächst ein neuer Konvoi starten. Wie ist der Stand der Vorbereitungen?

Bis heute haben sich Tausende beworben, auf einem der Schiffe mitfahren zu können. Das, was vergangenes Jahr geschehen ist, hat sie wohl eher ermutigt statt abgeschreckt. Die Interessenten kommen hauptsächlich aus Europa, Nordamerika und den arabischen Ländern.

Bis heute haben wir acht Schiffe; es gibt Solidaritätsgruppen, die weitere organisieren wollen. Die Flottille wird im Juni auslaufen, von wo aus, werden wir rechtzeitig mitteilen. Daß wir damit zögern, hat auch damit zu tun, eventuelle Störaktionen oder gar Sabotageakte zu erschweren. So etwas gab es schon mal, wir haben unsere Erfahrungen.

Die Flottille wird aber sehr wahrscheinlich von einem europäischen Hafen in See stechen. Es ist uns wichtig, daß vor allem die europäische Öffentlichkeit auf unsere Aktion aufmerksam gemacht wird. Wir hoffen, daß wir so die EU-Länder bewegen können, Druck auf Israel auszuüben.

Unter welcher Flagge fahren die Schiffe?

Unter verschiedenen, Details kann ich jetzt noch nicht nennen.Wir wollen auf jeden Fall so viele Länder wie möglich dabeihaben.

Ich kann mir schlecht vorstellen, daß eine Reederei für ein derartiges Unternehmen ein Schiff verchartert, von Versicherungsgesellschaften ganz zu schweigen. Wie wird das alles finanziert, und woher haben Sie die Schiffe?

Woher sie sind, sage ich nicht. Aber alle sind versichert, was natürlich sehr schwer zu organisieren war. Ich habe schon fünfmal versucht, per Schiff die israelische Seeblockade des Gazastreifens zu durchbrechen – bisher haben wir immer eine Versicherung gefunden. Finanziert wird alles durch Spenden.

An wen muß man sich wenden, falls man mitfahren will?

Wer sich dafür interessiert, kann über Internet oder per E-Mail Kontakt zu uns aufnehmen.

Welche Kosten kämen auf die Teilnehmer zu?

Für jeden einzelnen fallen lediglich die An- und Abreisekosten und die Hotelübernachtungen am Abfahrts- und Ankunftshafen an. Letztes Jahr sind wir von Zypern abgefahren.

Die Teilnehmer der Soli-Flottille im vergangenen Jahr wurden anschließend kritisiert, sie hätten sich mit islamischen Fundamentalisten eingelassen ...

Es ist heutzutage Mode, politisch mißliebige Aktionen dadurch zu diskreditieren, daß ihnen die Nähe zum Extremismus vorgeworfen wird, d. h. im konkreten Fall zur palästinensischen Hamas. Das war auch der Fall, als ich auf einem kleineren Schiff mitfuhr, das die Blockade zu durchbrechen versuchte. Die Menschen an Bord kamen aus allen möglichen Ländern, Islamisten waren allerdings nicht darunter.

Der Überfall im Mai 2010 war völkerrechtswidrig, also ein Piratenakt. Wir alle wissen, daß Israel sich nicht um internationales Recht kümmert. Glauben Sie, daß es dieses Jahr anders abläuft?

Der Überfall hat international viel Aufsehen erregt, Israel ist deswegen heftig kritisiert worden. Möglicherweise wird seine Marine deswegen dieses Jahr etwas vorsichtiger vorgehen.

Seit dem vergangenen Jahr hat sich die politische Lage entscheidend geändert. Ägypten hat eine neue Regierung, in Syrien und in Nordafrika gibt es Unruhen; die Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah haben sich versöhnt. Kann es sich Israel leisten, unter diesen Bedingungen weiter den Rambo zu spielen?

Wir werden sehen die israelische Politik steht jedenfalls angesichts der Entwicklung in der arabischenWelt vor einem Riesenproblem. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat auf die neuen Entwicklungen nicht rational, sondern emotional reagiert, indem er wüste Drohungen ausstieß. Gerade die Veränderungen in der arabischen Welt sind für uns sehr wichtig – die Ägypter z. B. werden sich von Israel nicht mehr vorschreiben lassen, daß die Landgrenze zum Gazastreifen geschlossen wird.

Interview: Peter Wolter
[Übersetzung: Elsa Rassbach]

* Aus: junge Welt, 16. Mai 2011


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