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Positive Atmosphäre

Hamas macht mit: Hunderttausende Palästinenser können erstmals wieder in Gaza-Stadt offiziellen Gründungstag der Fatah begehen

Von Karin Leukefeld *

Nach sechs Jahren konnten Anhänger der Fatah den Gründungstag ihrer Organisation erstmals wieder in Gaza-Stadt feiern. Eine Delegation von Offiziellen der Partei war bereits am Donnerstag im Gazastreifen eingetroffen, um sich an der Großveranstaltung nach dem Freitagsgebet zu beteiligen. Schon am Donnerstag abend waren Zehntausende Anhänger und Mitglieder der Fatah ins Zentrum von Gaza-Stadt geströmt, am Freitag kamen Hunderttausende. Der Fatah-Vorsitzende und Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmud Abbas wandte sich per Videobotschaft an die Versammelten.

Atef Abu Saif, der Fatah-Vorsitzende in Gaza, sagte der Agentur, Maan-News, Unterstützer der Partei seien aus allen Teilen des Gazastreifens auf den Al-Saraya-Platz gekommen, der Freitag mittag aus Sicherheitsgründen gesperrt werden mußte. »Der Erfolg der Kundgebung ist ein Erfolg für die Fatah – und auch für die Hamas«, sagte Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri. Die positive Atmosphäre sei »ein Schritt auf dem Weg, eine nationale Einheit zu erreichen«. Fatah-Führer Jamal Obeid erklärte, seine Organisation kämpfe weiter für Freiheit und Unabhängigkeit und werde Jerusalem als Hauptstadt der Palästinenser »nie aufgeben«.

Kundgebungen und Demonstrationen gab es auch in Nablus im Westjordanland, wo sich nach Agenturangaben am Donnerstag mehr als 30000 Menschen versammelt hatten. Abbas Zaki vom Zentralkomitee der Fatah sagte, die Palästinenser seien stark. »Die Welt hat sich geändert, seit unser palästinensischer Staat international anerkannt wurde.« Am 30. November hatten die Vereinten Nationen mit großer Mehrheit den Staat Palästina in den Grenzen von 1967 mit Beobach­terstatus anerkannt.

Die unter den Palästinensern einst unumstrittene Fatah hatte sich 2007 nach einem militärisch ausgetragenen Machtkampf mit der Hamas aus dem Gazastreifen zurückziehen müssen. Seit zwei Jahren gibt es wieder Zeichen der Annäherung zwischen beiden Organisationen. Das ist vor allem auf den Druck der Bevölkerung, auf kontinuierliche Vermittlungsversuche linker und kleinerer palästinensischer Parteien in der PLO sowie von den palästinensischen Gefangenen in israelischen Haftanstalten zurückzuführen. Mit den politischen Veränderungen in der Region und dem Sieg der Muslimbruderschaft in Tunesien, Marokko und Ägypten, ist das Selbstbewußtsein der Hamas gestärkt, die selbst der islamischen Organisation angehört.

Die Fatah war im Geheimen unter anderem von Yassir Arafat bereits 1959 nach rund zweijährigen Debatten gegründet worden. Offiziell trat die Fatah 1964 mit der Verabschiedung eines Grundsatzprogramms in Erscheinung, in dem die Organisation ihre Ziele zur »vollständigen Befreiung Palästinas« und der »Gründung eines unabhängigen, demokratischen Staates (…) mit Jerusalem als Hauptstadt« verabschiedet hatte. 1965 begannen die ersten militärischen Operationen der Fatah gegen die israelische Besatzungsmacht, weshalb der Gründungstag auf den 1. Januar dieses Jahres datiert wurde. 1993 erkannte die Fatah im Friedensprozeß von Oslo das Existenzrecht des Staates Israel an.

* Aus: junge Welt, Samstag, 5. Januar 2013


»Israel will Aussöhnung verhindern«

Fatah feiert sich in Gaza. Vertrauensbildende Maßnahme in Richtung Regierung der nationalen Einheit. Ein Gespräch mit Mukhaimar Abusada **


Mukhaimar Abusada (48) ist Professor für Politikwissenschaften an der Al-Azhar-Universität in Gaza-Stadt.


In Gaza-Stadt feierten Anhänger der Fatah am Freitag den Gründungstag ihrer Partei vor 48 Jahren. Zum ersten Mal seit der nach Machtkämpfen erfolgten Trennung zwischen Fatah und Hamas im Jahr 2007 findet eine Jubiläumsfeier der im Westjordanland regierenden Partei in Gaza statt. Bewerten Sie dies als Zeichen für eine Annäherung der beiden zerstrittenen Fraktionen?

Ich würde das eher als eine vertrauensbildende Maßnahme bezeichnen. Auch die Hamas durfte vor kurzem ihren Gründungstag in der Westbank feiern. Sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland sind Gefangene aus der Haft entlassen worden. Hochrangige Vertreter beider Fraktionen betonen ihre Bereitschaft, die Streitigkeiten zugunsten einer Regierung der nationalen Einheit beilegen zu wollen. Tatsache ist, daß in den vergangenen Jahren Fakten geschaffen wurden, die nicht einfach rückgängig gemacht werden können.

Was meinen Sie damit?

Im Gazastreifen hat die Hamas in den letzten fünfeinhalb Jahren rund 42000 Stellen in der öffentlichen Verwaltung geschaffen. Auch bei der Polizei und den verschiedenen Sicherheitsdiensten der Hamas wurden Tausende neue Jobs geschaffen. Den Funktionären dieses riesigen Apparates geht es in erster Linie um den Erhalt ihrer Posten und um die Zukunft ihrer politischen Karrieren. Sie haben kein Interesse daran, sich mit der Fatah zu versöhnen und ihre Macht zu teilen. Das gilt umgekehrt natürlich auch für die Palästinensische Autonomiebehörde unter Mahmud Abbas.

Hinzu kommt, daß in Gaza rund 50000 Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde leben, die seit der Machtübernahme der Hamas zwar nicht mehr zur Arbeit gehen können, ihr Gehalt aber immer noch aus Ramallah beziehen. Bei den blutigen Auseinandersetzungen, die im Jahr 2007 auf das Auseinanderbrechen der gemeinsamen Regierung von Fatah und Hamas folgten, wurden Hunderte Palästinenser getötet. Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig, Gefangene während der Haft mißhandelt und gefoltert zu haben. Die aus den bewaffneten Kämpfen resultierende Spaltung der Gesellschaft ist bis heute nicht überwunden. Noch immer herrschen tiefes Mißtrauen und Rachegefühle unter den Menschen vor. Wichtig ist also zunächst eine soziale Aussöhnung. Darin sind sich beide Seiten einig. Erst dann ist die Bildung einer gemeinsamen Regierung möglich, die aus Sicht vieler Palästinenser ein notwendiger Schritt für die Erlangung politischer Souveränität ist. Allerdings sind die Spannungen innerhalb der palästinensischen Gesellschaft nur ein Grund für das Nichtzustandekommen einer politischen Aussöhnung.

An welchen Punkten ist die Umsetzung der Abkommen bislang gescheitert?

Bei den Gesprächen in Doha im Februar 2012 vereinbarten beide Seiten die Schaffung einer nationalen Einheitsregierung als Voraussetzung für die Durchführung von Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Gemäß der palästinensischen Verfassung hätten diese bereits im Jahr 2009 beziehungsweise 2010 abgehalten werden müssen. Darüber hinaus wurden die Wiederbelebung und eine Reform der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) beschlossen. Der Vorsitzende des Politbüros der Hamas, Chaled Meschaal, machte damals weitgehende Zugeständnisse an die Fatah und überließ Mahmud Abbas, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, den Posten des Ministerpräsidenten in einer künftigen gemeinsamen Regierung. Die Kommission, die nach Doha mit den Vorbereitungen zur Durchführung der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen betraut wurde, mußte ihre Arbeit auf Druck der Hamas aber kurze Zeit später einstellen.

Warum ist die Hamas zum jetzigen Zeitpunkt gegen die Durchführung von Wahlen?

Die Hamas pocht auf eine Reform der PLO. Sie weiß, daß sie im Moment gute Chancen hätte, die Führung der international einzig anerkannten Vertretung der Palästinenser zu übernehmen. Dazu muß sie natürlich zunächst Mitglied werden. Das wiederum möchte Abbas unbedingt verhindern. Seine Partei hat bei den jüngsten Kommunalwahlen im Westjordanland schwere Verluste hinnehmen müssen und das, obwohl sie praktisch alleine angetreten ist, da Hamas die Wahlen boykottiert hat. Im Gazastreifen hingegen müßte die Hamas wohl ihre Abwahl befürchten. Die Zustimmung der Bevölkerung zur Politik der islamischen Bewegung ist mit Ausnahme weniger kurzer Phasen seit 2007 stetig gesunken. Natürlich sind die schlechten Lebensbedingungen der Menschen und die hohe Arbeitslosigkeit zu einem großen Teil auf die israelische Blockade des Gazastreifens zurückzuführen. Allerdings sind viele Menschen auch frustriert, weil die islamische Hamas aus ihrer Sicht weiten Teilen der Gesellschaft die politische und soziale Teilhabe verweigert.

Welche Position vertritt die israelische Regierung?

Israel will eine Aussöhnung zwischen der Hamas und Fatah um jeden Preis verhindern. Es fürchtet, daß die Hamas auch die Kontrolle über die Westbank übernehmen könnte. Paradoxerweise setzt die israelische Regierung aber alles daran, den ohnehin unbeliebten Präsidenten noch weiter zu schwächen. Dabei wäre Mahmud Abbas durchaus in der Lage, die israelische Regierung unter Druck zu setzen. Schließlich ist Israel bei der Unterdrückung des Widerstandes gegen die Besatzung des Westjordanlandes und dem Schutz der über 500000 Siedler auf die Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften der Palästinensischen Autonomiebehörde angewiesen.

Interview: Florian Möllendorf, Gaza-Stadt

** Aus: junge Welt, Samstag, 5. Januar 2013


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