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"Löscht alle Wilden aus!" *

Von Noam Chomsky **


Teil 1

Der jüngste amerikanisch-israelische Angriff auf hilflose Palästinenser wurde am Samstag, dem 27. Dezember, begangen. Die Attacke war minutiös geplant – in der israelischen Presse ist von sechs Monaten die Rede. Zwei Komponenten – eine militärische und eine propagandistische – spielten bei der Planung eine Rolle. Von grundlegender Bedeutung waren die Lehren, die aus Israels Libanoninvasion 2006 gezogen wurden. Diese galt als schlecht vorbereitet und schlecht vermarktet. Wir können daher ziemlich sicher sein, dass das meiste, was (jetzt) gesagt und getan wurde, geplant und beabsichtigt war.

Das Timing des Angriffs

Ganz sicher gilt das auch für das Timing der Attacke: Sie begann kurz vor der Mittagszeit, als die Kinder aus der Schule kamen und Menschenmassen die Straßen des dichtbesiedelten Gaza-Stadt füllten. Man brauchte lediglich Minuten, um 225 Menschen zu töten und 700 zu verwunden. Dieser Auftakt war ein Omen - für den kommenden Massenmord an einer schutzlosen, zivilen Bevölkerung, die in einem kleinen Käfig in der Falle sitzt und keinen Ort hat, an den sie sich flüchten kann

In seinem Rückblick auf den Krieg, „Parsing Gains of Gaza War“ (Analyse dessen, was durch den Gaza-Krieg gewonnen wurde), in der New York Times bezeichnet Ethan Bronner Folgendes als eines der wichtigsten Ziele, die erreicht wurden. Israel habe kalkuliert, dass es von Vorteil sei, so zu tun, als würde man „durchdrehen“ – indem man massiv disproportionalen Terror produziere. Es ist eine Doktrin, die bis in die 50ger Jahre zurückreicht. „Die Palästinenser verstanden die Botschaft schon am ersten Tag“, schreibt Bronner in seinem Artikel, „als israelische Kriegsflugzeuge mitten am Samstagmorgen zahlreiche Ziele simultan angriffen. Ungefähr 200 Menschen wurden sofort getötet, was die Hamas und ganz Gaza schockierte“. Die Taktik „durchzudrehen" scheine erfolgreich zu sein –, so Bronners Fazit: „Es gibt gewisse Hinweise, dass die Menschen in Gaza, diesen Krieg als so schmerzlich empfanden, dass sie versuchen werden“, die gewählte Regierung „Hamas zu zügeln“. Auch diese Doktrin des Staatsterrorismus ist altbekannt. Ich kann mich allerdings nicht entsinnen, dass die New York Times je eine Retrospektive über den Tschetschenienkrieg – mit dem Titel „Analyse dessen, was durch den Tschetschenien-Krieg gewonnen wurde“ - veröffentlicht hätte. Auch durch diesen Krieg wurde einiges gewonnen.

Sorgfältig geplant scheint zudem das Ende der Angriffe. Man achtete zeitlich sehr darauf, dass das Ende direkt vor der Amtseinführung (Obamas) erfolgte - um das (unwahrscheinliche) Risiko zu minimieren, dass Obama sich zu einigen kritischen Worten über diese bösartigen, von den USA unterstützten Verbrechen, genötigt sähe.

Zwei Wochen nach Beginn der Angriffe am Sabbath – als Gaza schon in Trümmern lag und die Zahl der Toten auf 1000 gestiegen war –, erklärte die UN-Agentur UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen), von der die meisten Menschen in Gaza abhängen, um überleben zu können, das israelische Militär weigere sich, Hilfslieferungen nach Gaza durchzulassen. Die Übergänge seien wegen des Sabbath geschlossen. Um den heiligen Tag zu ehren, mussten die Palästinenser, die um ihr Überleben kämpften, auf Nahrungsmittel und Medizin verzichten, während zur selben Zeit Hunderte durch amerikanische Jetbomber und Helikopter abgeschlachtet werden durften.

Keine Hilfslieferungen am Sabbath - aber Luftangriffe

Dieses rigorose Befolgen des Sabbath, diese Doppelmoral, erregte wenig bis gar keine Aufmerksamkeit. Das macht Sinn. In den Annalen der amerikanisch-israelischen Verbrechen findet Grausamkeit und Zynismus dieser Art selten mehr Erwähnung als in einer Fußnote. Man hat sich daran gewöhnt. Um eine relevante Parallele zu zitieren: Im Juni 1982 begann der von den USA unterstützte israelische Einmarsch in den Libanon mit der Bombardierung der palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Schatila (die später zum berüchtigten Schauplatz eines schrecklichen Massakers unter Aufsicht der IDF (Israelische „Verteidigungs“-Kräfte) wurden). Bei diesem Bombardement wurde das örtliche Krankenhaus getroffen – das 'Gaza Hospital' – wobei, laut des Augenzeugenberichtes eines akademischen US-Nahostexperten, mehr als 200 Menschen getötet wurden. Dieses Massaker war der Auftakt zu einer Invasion, der schließlich 15 0000 bis 20 000 Menschen zum Opfer fielen. Weite Teile des Libanon und Beiruts wurden zerstört. Dabei spielte amerikanische Unterstützung, auf militärischer und diplomatischer Ebene, eine entscheidende Rolle. Damals wurde gegen mehrere UNO-Sicherheitsratsresolutionen ein Veto eingelegt. Sie sollten die kriminelle Aggression stoppen, die Israel – kaum verhohlen – vor der Bedrohung einer friedlichen politischen Regelung retten solte. Dies steht im Gegensatz zu den vielen bequemen Erfindungen über israelisches Leid durch intensiven Raketenbeschuss - dieser Fantasie der Entschuldiger.

All dies war normal und wird von hohen israelischen Offiziellen auch ziemlich offen diskutiert. Dreißig Jahre später sagte der israelische Stabschef Mordechai Gur: Seit 1948 "kämpfen wir gegen eine Bevölkerung, die in Dörfern und Städten lebt". Der prominenteste israelische Militäranalyst, Zeev Schiff, fasste Gurs Aussagen so zusammen: "Die Israelische Armee hat stets zivile Populationen angegriffen, absichtlich und bewusst... die Armee, sagte er (Gur), hat nie zwischen zivilen (und militärischen) Zielen unterschieden, (sondern) zivile Ziele bewusst angegriffen". Die Begründung lieferte einst der distinguierte Staatsmann Abba Eban: "Es bestand eine vernünftige Aussicht, die sich letztlich auch erfüllt hat, dass eine angegriffene Bevölkerung Druck ausüben wird, damit die Feindseligkeiten enden", mit dem Effekt - das erkannte Eban sehr wohl –, dass Israel seine Programme der illegalen Expansion und harschen Repression würde ungestört umsetzen können. Eban kommentierte eine Erörterung des ehemaligen Premierministers Menachem Begin über die Angriffspolitik von Regierungen der israelischen Arbeitspartei gegenüber Zivilisten. Begin habe das Bild "eines Israel" präsentiert, so Eban, "das zivile Bevölkerungen willkürlich und in jedem nur denkbaren Ausmaß dem Tod und der Angst preisgibt und dies in einer Stimmung, die an Regime erinnert, die weder Mr. Begin noch ich wagen würde, zu benennen". Eban bestritt keineswegs die von Begin erörterten Fakten. Er kritisierte Begin, weil dieser sie veröffentlichte. Auch scherte es weder Eban noch seine Bewunderer, dass auch Ebans Eintreten für einen massiven Staatsterrorismus an Regime erinnerte, die er nicht gewagt hätte, zu benennen.

Staatsterrorismus zur Abschreckung

Ebans Rechtfertigung von Staatsterrorismus klingt in den Ohren respektierter Autoritäten überzeugend. Während die jüngste amerikanisch-israelische Attacke wütete, erläuterte der Kolumnist der New York Times, Thomas Friedman, Israels Taktik – sowohl bei der aktuellen Attacke als auch bei der Libanoninvasion 2006. Sie basiere auf dem gesunden Prinzip, "zu versuchen, die Hamas 'zu belehren', indem man den Militanten der Hamas hohe Verluste zufügt und der Bevölkerung Gazas große Schmerzen". In pragmatischer Hinsicht machte das Sinn – auch im Libanon, wo "die einzige langfristige Möglichlichkeit der Abschreckung", so Friedman, "darin bestand, den Zivilisten – den Familien und Arbeitgebern der Militanten - ausreichend Schmerzen zuzufügen, um die Hisbollah künftig abzuschrecken". Es ist dieselbe Logik, mit der Ossama bin Laden versuchte, die Amerikaner am 11. September 'zu belehren'. Wirklich, eine äußerst "lobenswerte" Logik – siehe die Nazi-Angriffe auf Lidice und Oradour, Putins Zerstörung von Grosny und andere Versuche der "Belehrung".

Israel war sichtlich bemüht, sich an diese Leitprinzipien zu halten. Wie der Korrespondent der New York Times, Stephen Erlanger, berichtete, "sorgten sich" israelische Menschenrechtsgruppen "über israelische Angriffe auf Gebäude, die nach ihrer Meinung als zivil eingestuft werden sollten – wie das Parlament, Polizeistationen und der Präsidentenpalast". Aber auch Dörfer, Privathäuser, dichtbesiedelte Flüchtlingslager, Wasser- und Abwassersysteme, Schulen, Krankenhäuser, Universitäten, Moscheen, Einrichtungen des UN-Hilfswerks, Krankenwagen und alles andere, was das Leid der unwürdigen Opfer verringert, sollte so eingestuft werden. Ein hochrangiger israelischer Geheimdienstoffizier erklärte, die IDF wolle "beide Aspekte der Hamas" angreifen – sowohl "ihren Widerstands- oder Militärflügel, als auch ihre Dawa, ihren sozialen Flügel". Der letztgenannte Begriff ist ein Euphemismus, gemeint ist die Zivilgesellschaft. "Er (der Geheimdienstoffizier) argumentierte, die Hamas bestünde aus einem Stück", so Erlanger, "in einem Krieg seien ihre Instrumente der politischen und sozialen Kontrolle ebenso legitime Ziele wie Raketenverstecke". Erlanger und seine Redaktion kommentierten diese Praxis und die offene Werbung für massiven Terrorismus gegen Zivilisten nicht. Andere Korrespondenten und Kolumnisten signalisierten Toleranz oder sogar offene Werbung für diese Kriegsverbrechen. Erlanger hielt sich an die Norm, doch vergaß er nicht, zu betonen, dass der Raketenbeschuss der Hamas,"ein offensichtlicher Verstoß gegen das Prinzip der Unterscheidung (zwischen Zivilisten und Militär)" sei und "der klassischen Definition von Terrorismus" entspreche.

Der Nahostexperte Fawwaz Gerges bemerkt – wie auch andere, die sich mit der Region auskennen: "Was die israelischen Offiziellen und ihre amerikanischen Verbündeten nicht anerkennen, ist, dass die Hamas nicht nur eine bewaffnete Miliz ist, sondern auch eine Sozialbewegung mit einer großen Basis im Volk, die tief in der Gesellschaft verwurzelt ist".

Indem sie ihre Pläne zur Zerstörung des "sozialen Flügels" der Hamas ausführen, zielen sie daher auf die Zerstörung der palästinensischen Gesellschaft.

Gerges ist wohl etwas zu freundlich. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die Offiziellen in Israel und Amerika – oder die Medien und andere Kommentatoren – diese Tatsachen nicht 'anerkennen'. Sie übernehmen vielmehr die traditionelle Perspektive jener, die das Monopol auf die Mittel der Gewalt haben: Unsere stählerne Faust kann jede Opposition zermalmen, und falls unser wüster Angriff viele Tote unter den Zivilisten fordert, hat dies doch sein Gutes - vielleicht haben die Überlebenden ihre Lektion wirklich gelernt.

Zerstörung der Zivilgesellschaft

Die Offiziere der IDF wissen genau, dass sie eine Zivilgesellschaft zerstören. Ethan Bronner zitiert einen israelischen Oberst, der sagte, er und seine Leute seien wenig "beeindruckt von den Kämpfern der Hamas". "Es sind Dorfbewohner mit Gewehren", so ein Gewehrschütze auf einem APC. Sie ähneln den Opfern der mörderischen IDF-Operationen "eiserne Faust" ('iron fist') 1985 im besetzten Südlibanon, geleitet von Shimon Peres. Peres war einer der großen Terroristenkommandeure in der Ära von Reagans "Krieg gegen den Terror". Während der Operationen erklärten die damaligen israelischen Kommandeure und strategische Analysten, bei den Opfern handle es sich um "terroristische Dorfbewohner". Es sei schwierig, sie auszulöschen, da "diese Terroristen mit der Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung operieren". Ein israelischer Kommandeur beschwerte sich, "die Terroristen... haben hier viele Augen, da sie hier leben". Der Militärkorrespondent der Jerusalem Post schrieb über die Probleme der israelischen Streitkräfte im Kampf gegen die "terroristischen Söldner", gegen "die Fanatiker, die sich alle ihrer Sache hinlänglich hingegeben haben, um weiter ihr Leben zu riskieren, während sie gegen die IDF operieren". Die IDF müsse "die Ordnung und Sicherheit" im besetzten Südlibanon aufrechterhalten – trotz "des Preises, den die Einwohner dafür zahlen müssen". Das Problem kennen die Amerikaner aus Südvietnam, die Russen aus Afghanistan, die Deutschen aus der Zeit, als sie Europa besetzt hielten und andere Aggressoren, die die Gur-Eban-Friedman-Doktrin umsetzten.

Gerges glaubt, dass der amerikanisch-israelische Staatsterrorismus scheitern wird: Er schreibt, die Hamas "kann nicht ausgelöscht werden, ohne dass man eine halbe Million Palästinenser massakriert. Sollte es Israel gelingen, die hochrangigsten Führer der Hamas zu töten, wird eine neue, noch radikalere Generation diese schnell ersetzen. Die Hamas ist eine Tatsache. Sie wird nicht verschwinden, und sie wird nicht die weiße Flagge hissen, egal, wieviele Opfer sie erleidet".

Möglich. Doch es gibt die Tendenz, die Effizienz von Gewalt zu unterschätzen. So zu denken, ist besonders in den USA absonderlich. Warum sind wir da, wo wir sind?

Hamas wird regelmäßig als "die vom Iran unterstützte Hamas" beschrieben, "deren Ziel es ist, Israel zu zerstören". Man dürfte lange suchen, um etwas in der Art zu finden: "Die demokratisch gewählte Hamas, die seit langem eine Zweistaatenlösung in Übereinstimmung mit dem internationalen Konsens fordert..." Diese Lösung wird seit über 30 Jahren von den USA und Israel blockiert, die das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung offen und rundweg ablehnen. Das alles ist wahr, aber weil es nicht zur Parteilinie passt, kann man es weglassen.

Details, wie die oben erwähnten, mögen Kleinigkeiten sein, aber sie sagen viel über uns und unsere Klientenstaaten aus. Es gibt noch weitere Details, zum Beispiel: Als die aktuelle amerikanisch-israelische Attacke auf Gaza begann, befand sich ein kleines Schiff, die 'Dignity', auf dem Weg von Zypern nach Gaza. Die Ärzte und Menschenrechtsaktivisten an Bord wollten gegen Israels kriminelle Blockade verstoßen und der eingeschlossenen Bevölkerung medizinischen Nachschub bringen. Israelische Marineboote stoppten das Schiff in internationalen Gewässern. Sie rammten es so stark, dass es beinahe sank. Mit Hängen und Würgen schaffte es das Schiff bis zum Libanon. Israel veröffentlichte die üblichen Lügen. Journalisten und Passagiere an Bord bestritten diese - darunter auch CNN-Reporter Karl Penhaul oder die ehemalige Abgeordnete des US-Repräsentantenhauses und ehemalige Präsidentschaftskandidatin der Grünen Cynthia McKinney. Dies war ein schweres Verbrechen - weit schlimmer als zum Beispiel die Entführung von Booten vor der Küste Somalias. Es wurde kaum Notiz davon genommen. Die stillschweigende Akzeptanz gegenüber Verbrechen dieser Art zeigt, dass man Gaza als besetztes Gebiet sieht und Israel das Recht zubilligt, seine Besatzung aufrechtzuerhalten, ja, dass man sogar annimmt, Israel sei von den Wächtern der internationalen Ordnung dazu befugt, Verbrechen auf hoher See zu verüben, um seine Bestrafungsprogramme gegenüber einer Zivilbevölkerung, die sich gegen israelische Befehle auflehnt, umzusetzen. Als Vorwand wird auf (nahezu) universell Akzeptiertes zurückgegriffen, das jedoch offensichtlich unhaltbar ist.

Israelische Routine - westliche Heuchelei

Auch dieser Mangel an Notiz macht Sinn. Seit Jahrzehnten entführt Israel Boote in den internationalen Gewässern zwischen Zypern und Libanon. Israel tötet oder entführt dabei Passagiere. Manchmal werden sie in israelische Gefängnisse verschleppt, einschließlich Geheimgefängnissen/Folterkammern, um sie in jahrelanger Geiselhaft zu halten. Diese Praxis hat Routine. Warum sollte man auf das neue Verbrechen anders reagieren als mit gähnen? Zypern und der Libanon haben anders reagiert – aber, was haben sie in diesem Zusammenhang schon zu sagen?

Oder wen interessiert es, dass die Redaktion der libanesischen Tageszeitung 'Daily Star', die normalerweise prowestlich ist, schreibt: "Rund 1,5 Millionen Menschen in Gaza sind den mörderischen Aktionen einer der technisch fortschrittlichsten aber moralisch rückschrittlichsten Militärmaschinerie der Welt ausgesetzt. Häufig wird gesagt, die Palästinenser seien in der arabischen Welt das geworden, was die Juden vor dem Zweiten Weltkrieg in Europa waren. Diese Interpretation enthält eine gewisse Wahrheit. Dazu passt, und es macht krank, dass die Araber Wege finden, um wegzuschauen und nichts zu unternehmen, wenn Israel palästinensische Kinder tötet, ebenso wie die Europäer und Nordamerikaner wegschauten, als die Nazis den Holocaust verübten". Die brutale Diktatur Ägyptens ist vielleicht das schändlichste unter den arabischen Regimen. Dieses Regime erhält – neben Israel – die meiste US-Militärhilfe.

Laut der libanesischen Presse "verschleppt" Israel noch immer "routinemäßig" libanesische Zivilisten von der anderen Seite der Blauen Linie (internationale Grenze), zuletzt im Dezember 2008."

Und natürlich "verletzen israelische Flugzeuge den libanesischen Luftraum täglich und verstoßen damit gegen UN-Resolution 1701" (wie die libanesische Gelehrte Amal Saad-Ghorayeb am 13. Januar im 'Daily Star' schrieb). Auch das geht seit langem so. Der berühmte israelische Strategieanalyst Zeev Maoz verurteilte die Libanoninvasion im Jahr 2006. Er schrieb in der israelischen Presse: "Israel verletzt den libanesischen Luftraum, indem es seit seinem Rückzug aus dem Libanon vor sechs Jahren praktisch täglich Luftaufklärungsmissionen durchführt. Es stimmt, dass diese Aufklärungsflüge auf libanesischer Seite keine Opfer fordern, aber Grenzverletzung bleibt Grenzverletzung. Auch hier ist Israel moralisch nicht stärker im Recht". Es sei generell anzumerken, so Maoz, dass der "Mundpropaganda-Konsens in Israel, der lautet, der Krieg gegen die Hisbollah im Libanon war ein gerechter und moralischer Krieg," der Grundlage entbehre. Dies sei ein Konsens "basierend auf einem selektiven Kurzzeitgedächtnis, einer introvertierten Weltsicht und einer Doppelmoral. Dies war kein gerechter Krieg, die Anwendung von Gewalt war exzessiv und willkürlich, sein ultimatives Ziel Erpressung".

Maoz erinnert seine israelischen Leser auch daran, dass das knallende, laute Durchbrechen der Schallmauer, um die Libanesen zu terrorisieren, noch das geringste der israelischen Verbrechen im Libanon sei – ganz abgesehen von fünf Invasionen seit 1978: "Am 28. Juli 1988 entführten Israelische Spezialeinheiten Sheikh Obeid, am 21. Mai 1994 entführte Israel Mustafa Dirani, der für die Gefangennahme des israelischen Piloten Ron Arad verantwortlich war (als dieser 1986 Bomben auf den Libanon abwarf). Israel hielt sie und weitere 20 Libanesen, die unter geheimgehaltenen Umständen gefangengenommen wurden, über einen längeren Zeitraum ohne Verfahren in Haft. Sie wurden als 'menschliche 'Verhandlungs-Chips' festgehalten. Offensichtlich halten die Israelis Entführungen für moralisch nachvollziehbar, wenn auf diese Weise Gefangene ausgetauscht werden. Militärisch zu bestrafen sind Enführungen, wenn sie von der Hisbollah begangen werden, jedoch nicht, wenn Israel genau dasselbe tut" – will heißen, in weit größerem Ausmaß und über viele Jahre hinweg.

Die israelische Routinepraxis ist bemerkenswert – ganz abgesehen davon, was sie über die Kriminalität Israels und die westliche Unterstützung für diese Kriminalität verrät. Wie Maoz zeigt, unterstreicht diese Praxis die absolute Heuchelei der Standardbehauptung, Israel sei 2006 berechtigt gewesen, ein weiteres Mal in den Libanon einzumarschieren, nachdem (israelische) Soldaten an der Grenze gefangengenommen wurden. Es war die erste grenzüberschreitende Aktion der Hisbollah seit 6 Jahren - seit dem israelischen Rückzug aus dem Südlibanon. Israel hatte den Südlibanon 22 Jahre lang besetzt gehalten und damit gegen mehrere Anordnungen des UN-Sicherheitsrates verstoßen. Während der darauffolgenden 6 Jahre verletzte Israel die Grenze fast täglich – ungestraft – während bei uns Schweigen herrschte.

Und wieder wird Heuchelei zur Routine. So schreibt Thomas Friedman – während er erklärt, wie minderwertigere Ethnien mittels Terrorgewalt zu 'erziehen' seien –, Israels Libanoninvasion 2006, bei der Südlibanon und Beirut erneut zerstört wurden und noch einmal mehr als 1000 Zivilisten starben, sei ein gerechter Akt der Selbstverteidigung gewesen, mit dem man auf folgendes Verbrechen der Hisbollah reagiert habe: Die Hisbollah habe "einen unprovozierten Krieg über die von der UNO anerkannte israelisch-libanesische Grenze hinweg geführt, nachdem sich Israel unilateral aus dem Libanon zurückgezogen hatte". Ganz abgesehen von der Täuschung, die in dieser Aussage steckt, würde diese Logik doch bedeuten, dass Terroranschläge gegen Israelis - noch weit zerstörerischere und mörderischere, als es sie je gab –, völlig gerechtfertigt wären, als Reaktion auf die israelische Praxis im Libanon und auf hoher See, die weit über das Verbrechen der Hisbollah hinausgeht, zwei Soldaten an der Grenze gefangen zu nehmen. Der erfahrene Nahostexperte der New York Times (Friedman) weiß über diese Verbrechen sicherlich Bescheid – zumindest, falls er seine eigene Zeitung liest. So steht in Absatz 18 eines Artikels der New York Times vom November 1983 über einen Gefangenenaustausch beiläufig: 37 der arabischen Gefangenen "wurden kürzlich von der Israelischen Marine festgenommen, als sie versuchten, von Zypern nach Tripoli", nördlich von Beirut, "zu gelangen".

Natürlich ist allen Schlussfolgerungen über angemessene Aktionen gegen die Reichen und Mächtigen ein grundlegendes Manko gemein: Wir sind wir, und sie sind sie. Dieses entscheidende Prinzip ist tief in unserer westlichen Kultur verankert. Es genügt, um die präzisesten Analysen und unanfechtbarsten Begründungen zu unterminieren.

Während ich dies schreibe, ist ein zweites Boot von Zypern nach Gaza unterwegs. Es bringt "dringend benötigten medizinischen Nachschub in versiegelten Kisten, die vom Zoll des Internationalen Flughafens Larnaca und vom Hafen (in Larnaca) freigegeben wurden", so die Organisatoren. Mit an Bord befinden sich Mitglieder des EU-Parlaments sowie Ärzte. Israel wurde über ihre humanitären Absichten informiert. Falls der öffentliche Druck groß genug sein wird, könnten sie mit ihrer Mission Erfolg haben und in Frieden gelassen werden.

Die neuen Verbrechen, die Amerika und Israel in den vergangenen Wochen in Gaza begingen, passen nicht so recht in eine der Standardkategorien – abgesehen von der kategorischen Vertrautheit. Ich habe soeben mehrere Beispiele aufgezählt und werde auf weitere zurückkommen. Die Verbrechen entsprechen zwar buchstäblich der offiziellen "Terrorismus"-Definition der US-Regierung, aber das heißt nicht, dass diese Kategorie ihrem Ausmaß gerecht würde. Man kann auch nicht von einem "Angriff" sprechen, da die Verbrechen auf besetztem Gebiet stattfanden - wie die USA stillschweigend eingestehen. In ihrer umfassenden akademischen Abhandlung über die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten, 'Lords of the Land'[1], weisen die Autoren Idit Zertal und Akiva Eldar auf Folgendes hin: Als Israel im August 2005 seine Truppen aus Gaza abzog, wurde das verwüstete Gebiet "nicht einen einzigen Tag aus dem Griff des israelischen Militärs entlassen oder vom Preis der Besatzung (freigestellt), den dessen Bewohner jeden Tag entrichten... Israel hinterließ verbrannte Erde, verwüstete Dienstleister und Menschen, die weder Gegenwart noch Zukunft hatten." "Die Siedlungen wurden zerstört. Es war der engherzige Schritt eines engstirnigen Besatzers, der das Gebiet im Endeffekt weiter kontrolliert und dessen Bewohner mit Hilfe seiner formidablen militärischen Stärke tötet und schikaniert". Dank treuer amerikanischer Unterstützung und Hilfe geschieht dies mit extremer Brutalität.

Die amerikanisch-israelische Attacke gegen Gaza eskalierte im Januar 2006, wenige Monate nach dem formalen Rückzug, nachdem die Palästinenser ein wirklich unerhörtes Verbrechen begangen hatten: Sie wählten in einer freien Wahl "falsch". Wie auch andere mussten sie lernen, dass man die Befehle des Herren nicht ungestraft missachtet. Dieser Herr kann weiter von seiner "Sehnsucht nach Demokratie" schwafeln, ohne dass die gebildeten Klassen in Gelächter ausbrechen – auch dies eine beeindruckende Errungenschaft.

Waffen und Munition nach Israel

Die Begriffe "Angriff" oder "Terrorismus" sind somit inadäquat. Neue Begriffe müssen her, für die sadistische und feige Folter an Menschen in Käfighaltung, die keine Möglichkeit zur Flucht hatten, während sie durch die ausgefeiltesten Produkte der US-Militärtechnologie zu Staub zerhauen wurden. Diese Produkte werden gegen internationales - und selbst amerikanisches - Recht eingesetzt und bleiben Staaten vorbehalten, die sich selbst zu Outlaws erklärten. Auch das nur ein kleiner technischer Umstand. Ein weiterer technischer Umstand von minderer Bedeutung ist die Tatsache, dass Washingtom am 31. Dezember – während die terrorisierten Menschen in Gaza verzweifelt Schutz vor dem gewissenlosen Angriff suchten –, ein deutsches Handelsschiff anheuerte, um eine Großfracht von 3000 Tonnen, bestehend aus nichtidentifizierter "Munition", von Griechenland nach Israel zu transportieren. Reuters berichtete: Die neue Lieferung "erfolgte, nachdem ein kommerzielles Schiff gemietet worden war, um im Dezember eine weit größere Bestellung von den USA nach Israel zu bringen, (das war) vor den Luftangriffen auf den Gazastreifen". Das Ganze hat nichts mit der Summe von mehr als $21 Milliarden US-Militärhilfe zu tun, die die Regierung Bush für Israel bereitgestellt hat und die, bis auf einen sehr geringen Teil, ein Geschenk ist. "Israels Intervention im Gazastreifen wurde weitgehend mit Waffen betrieben, die Amerika bereitstellte und für die amerikanische Steuerzahler bezahlten", steht in einem Briefing der New America Foundation, die den Waffenhandel überwacht. Die neue Lieferung wurde durch die griechische Regierung behindert, die die Nutzung sämtlicher griechischer Häfen "für Lieferungen an die Israelische Armee" untersagt hatte.

Die Reaktion Griechenlands auf die Verbrechen, die mit Unterstützung der USA begangen wurden, unterschied sich sehr von den Auftritten der meisten europäischen Führer. Dieser Unterschied zeigt, dass Washington vielleicht ganz realistisch war, als es Griechenland – bis zum Sturz der von den USA unterstützten faschistischen Regierung, 1974 – als Teil des Nahen Ostens einschätzte und nicht als Teil Europas. Vielleicht ist Griechenland zu zivilisiert, um ein Teil Europas zu sein.

Wer das Timing der Waffenlieferungen an Israel kurios findet und nähere Nachforschungen betreibt, bekommt vom Pentagon eine Antwort: Die Lieferung sei zu spät erfolgt, um zu einer Eskalation der Angriffe auf Gaza geführt zu haben. Die militärische Ausrüstung - was immer es war –, werde in Israel zwischengelagert, um irgendwann vom amerikanischen Militär verwendet zu werden. Das mag stimmen. Einer der vielen Dienste, den Israel seinem Patron leistet, ist die Bereitstellung einer wertvollen Militärbasis an der Peripherie der wichtigsten Energieressourcen der Welt. Israel ist also als vorgerückte Basis für US-Angriffe nutzbar – oder, um es mit den entsprechenden technischen Begriffen auszudrücken, "zur Verteidigung des Golfes" und "zur Sicherung der Stabilität".

Der massive Waffenfluss nach Israel erfüllt außerdem viele nebenrangige Zwecke. Wie der Analyst für Nahostpolitik Mouin Rabbani bemerkte, kann Israel so neuentwickelte Waffensysteme, gegen wehrlose Ziele, testen. Dies ist sowohl für Israel als auch für die USA wertvoll - "in doppeltem Sinne, denn weniger effektive Versionen genau dieser Waffensysteme werden anschließend, massiv überteuert, an arabische Staaten verkauft, die die US-Waffenindustrie und die Geschenke des US-Militärs an Israel im Grunde subventionieren". Dies ist eine zusätzliche Bedeutung, die Israel für das von Amerika beherrschte System 'Naher/Mittlerer Osten zukommt und ein weiterer Grund, weshalb Israel von der US-Regierung, von einer großen Bandbreite amerikanischer Hightech-Konzerne – und natürlich von der Militär- und Geheimdienstindustrie – so favorisiert wird.

Die USA sind – ganz abgesehen vom Thema Israel – der größte Waffenlieferant der Welt. Der aktuelle Report der New America Foundation kommt zu dem Schluss, dass "amerikanische Waffen und amerikanisches Militärtraining 2007 in 20 der 27 großen Kriege in der Welt eine Rolle gespielt haben." Die USA verdienten $23 Milliarden an den Bestellungen. 2008 stieg die Summe auf $32 Milliarden. Wen sollte es also wundern, dass eine der zahlreichen UNO-Resolutionen, gegen die Amerika in der UNO-Vollversammlung im Dezember 2008 gestimmt hat, zur Regulierung des Waffenhandels aufforderte. 2006 waren die USA noch allein, als sie gegen dieses Abkommen votierten, im November 2008 bekamen sie einen Partner: Zimbabwe.

Israel und USA in der UNO isoliert

Bei der UNO-Vollversammlung im Dezember kam es gleich zu mehreren bemerkenswerten Abstimmungen. Eine Resolution, in der es "um das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung" ging, wurde angenommen – mit 173 Stimmen gegen 5 Stimmen (USA, Israel und mehrere abhängige Inseln im Pazifik). Die Abstimmung machte den – international isolierten – gemeinsamen Rejektionismus von Amerika und Israel deutlich. So wurde eine Resolution "über universelle Reisefreiheit und die vitale Bedeutung von Familienzusammenführungen" ebenfalls gegen die Stimmen von Amerika, Israel und einigen abhängigen pazifischen Inseln verabschiedet. Wahrscheinlich hatte man die Palästinenser im Hinterkopf.

Als über das Recht auf Entwicklung abgestimmt wurde, verloren die USA Israel als Partner - dafür gewannen sie die Ukraine. Bei der Abstimmung über "das Recht auf Nahrung" standen die USA alleine. Diese Tatsache ist besonders bemerkenswert angesichts der enormen globalen Nahrungskrise. Vor dieser Krise wirken die Finanzkrisen, die die westlichen Ökonomien bedrohen, sehr klein.

Teil 2

Es gibt gute Gründe, weshalb über dieses Abstimmungsverhalten konstant nicht berichtet wird und weshalb Medien und konformistische Intellektuelle es in einer tiefen Erinnerungslücke begraben. Es wäre unklug, wenn die Öffentlichkeit etwas davon erführe und die offensichtlichen Schlussfolgerungen in Bezug auf ihre gewählten Repräsentanten zöge. In der jetzigen Situation wäre es wenig hilfreich, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass die amerikanisch-israelische Ablehnungspolitik (Rejektionismus) – welche einer friedlichen Lösung, die von der Welt seit langem angestrebt wird, im Wege steht –, ein solch extremes Ausmaß angenommen hat, dass den Palästinensern sogar das abstrakte Recht auf Selbstbestimmung verwehrt wird.

Krieg gegen die Zivilbevölkerung

Der norwegische Arzt Mads Gilbert, einer der heldenhaften Freiwilligen in Gaza, beschrieb das dortige Horrorszenario als einen „totalen Krieg gegen die Zivilbevölkerung von Gaza.“ Er schätzte, dass ungefähr die Hälfte aller Verletzten Frauen und Kinder waren. Unter Zugrundelegung zivilisierter Standards seien fast alle der (verletzten) Männer Zivilisten. Gilbert berichtet, dass er so gut wie keine militärischen Opfer unter den Hunderten von Leichen gesehen habe. Die IDF stimmt zu. Die Hamas „versucht, aus der Ferne – oder überhaupt nicht – zu kämpfen,“ berichtete Ethan Bronner in seinem Artikel 'Parsing the gains', in dem er über das schreibt, was durch den amerikanisch-israelischen Angriff gewonnen wurde. Die Kampfkraft der Hamas bleibt somit intakt, und es waren hauptsächlich Zivilisten, die zu leiden hatten: Das Endergebnis sei positiv, lautet hingegen die weitverbreitete Doktrin.

Diese Einschätzung wurde vom Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten der Vereinten Nationen, John Holmes, bestätigt. Er sagte gegenüber Reportern, es sei „angemessen“ zu sagen, dass es sich bei den meisten getöteten Zivilisten um Frauen und Kinder handle - in einer humanitären Krisensituation, die „mit jedem Tag, an dem die Gewalt weitergeht, schlimmer wird.“ Aber wir konnten uns mit den Worten von Außenministerin Tzipi Livni trösten – der führenden Taube im aktuellen israelischen Wahlkampf. Sie versicherte der Welt, dass es, dank der Israelischen Barmherzigkeit, keine „humanitäre Krise“ in Gaza gäbe.

Wie viele andere, die sich um menschliche Wesen und ihr Schicksal sorgen, bestanden auch Gilbert und Holmes auf einen sofortigen Waffenstillstand. Doch noch war es nicht soweit. „Die Vereinigten Staaten hielten den Sicherheitsrat davon ab, noch in der Nacht zum Sonntag eine formale Erklärung abzugeben, die einen sofortigen Waffenstillstand fordert“, wie die New York Times ganz nebenbei berichtete. Als offizieller Grund wurde genannt, dass „es keine Hinweise darauf gab, dass sich die Hamas an irgendeine Abmachung halten würde.“ Unter allen Versuchen, mordlüsternes Abschlachten zu rechtfertigen, zählen diese Aussagen zu den zynischsten. Sie stammen natürlich von Bush und Rice – die schnell von Obama abgelöst wurden, der leidenschaftlich wiederholte, dass „wenn Raketen in der Nähe meiner schlafenden Töchter einschlagen würden, ich auch alles dafür täte, um sie zu stoppen.“ Er bezieht sich dabei natürlich nur auf israelische Kinder und nicht auf die vielen hundert Kinder, die in Gaza von US-Waffen zerfetzt werden. Abgesehen von dieser Aussage blieb Obama still.

Einige Tage später und unter enormem internationalem Druck, stimmten die USA einer UN-Sicherheitsratresolution zu, die einen „dauerhaften Waffenstillstand“ forderte. Sie wurde mit 14 zu 0 Stimmen angenommen – die USA enthielten sich. Israelische und US-amerikanische Falken waren,wütend, weil die USA nicht, wie üblich, ihr Veto eingelegt hatten. Die Enthaltung der USA wurde von Israel zwar nicht als grünes Licht, zumindest aber als gelbes Licht interpretiert, die Gewalt weiter eskalieren zu lassen. Israel tat dies – wie prophezeit – praktisch bis zum Moment der Amtseinführung (Obamas).

Als der Waffenstillstand am 18. Januar (theoretisch) in Kraft trat, veröffentlichte das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte seine Zahlen für den letzten Tag des Angriffs: 54 Palästinenser, einschließlich 43 unbewaffneter Zivilisten, waren getötet worden, davon 17 Kinder, während die IDF weiter zivile Behausungen und UN-Schulen angriff. Die Schätzungen des Zentrums gingen davon aus, dass sich die Anzahl der Todesopfer auf insgesamt 1184 belaufen würde, einschließlich 844 Zivilisten, davon 281 Kinder. Die IDF setzte weiter Brandbomben im Gazastreifen ein, zerstörte Häuser und Agrarflächen und zwang Zivilisten, ihre Häuser zu verlassen. Einige Stunden danach berichtete Reuters von mehr als 1300 Toten. Mitarbeiter des Al-Mezan-Zentrums, welche die Opfer und die Zerstörungen untersuchen, besuchten Gebiete, die zuvor – aufgrund des ständigen, schweren Bombardements – nicht zugänglich gewesen waren. Sie entdeckten Dutzende Leichen von Zivilisten, die unter den Trümmern ihrer zerstörten Häuser verrotteten oder von israelischen Bulldozern weggeschafft worden waren. Ganze Häuserblocks waren einfach verschwunden.

Die Zahlen der Getöteten und Verletzten sind mit Sicherheit zu gering berechnet, und es ist unwahrscheinlich, dass es irgendwelche Untersuchungen zu diesen Verbrechen geben wird. Die Verbrechen von offiziellen Feinden werden genauestens untersucht, während unsere eigenen Verbrechen systematisch ignoriert werden. Es ist die gängige Praxis – verständlich, aus Sicht der Mächtigen (Herren).

UN-Sicherheitsrat: Resolution 1860 (2009)

Die UN-Sicherheitsratsresolution forderte ein Ende der Waffenzufuhr nach Gaza. Die USA und Israel (Rice-Livni) erreichten kurz darauf ein Abkommen über Maßnahmen zur Durchsetzung dieses Ergebnisses, die sich hauptsächlich auf iranische Waffenlieferungen konzentrierten. Schließlich gibt es keinen Grund, amerikanischen Waffenschmuggel nach Israel zu unterbinden, da es diesen Schmuggel nicht gibt: Diese Waffenieferungen geschehen in aller Öffentlichkeit - auch wenn nicht darüber berichtet wird, wie im Falle jener Waffenlieferung, die angekündigt wurde, als das Massaker in Gaza gerade im Gange war.

Die Resolution forderte zudem „die Sicherstellung einer dauerhaften Wiedereröffnung der Grenzübergänge, auf Basis des Abkommens über Bewegung und Zugang von 2005 zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde und Israel.“ In diesem Abkommen war die dauerhafte Öffnung der Grenzübergänge nach Gaza sowie Israels Erlaubnis für Waren- und Personenverkehr zwischen der West Bank und dem Gazastreifen beschlossen worden.

Über diesen Aspekt der Sicherheitsratsresolution stand allerdings nichts im Rice-Livni-Abkommen. Die USA und Israel hatten den (oben erwähnten) Vertrag über Bewegung und Zugang von 2005 – als Teil ihrer Bestrafung der Palästinenser, weil diese im Januar 2006 in freien Wahlen falsch gewählt hatten –, de facto außer Kraft gesetzt. Auf der Pressekonferenz, nach dem Rice-Livni-Abkommen, hob Rice die fortgesetzten Versuche Washingtons hervor, die Ergebnisse der einzigen demokratischen Wahl in der arabischen Welt zu unterlaufen: „Es gibt eine Menge Dinge, die wir tun können, um Gaza aus der dunklen Herrschaft der Hamas zu befreien und sie in das Licht der sehr guten Regierung zu bringen, welche die Palästinensische Autonomiebehörde ihnen geben könnte“ – zumindest, solange sie ein ergebener Vasall bleibt, der zwar korrupt und zur Ausführung brutaler Repression gewillt sein mag, aber immerhin gehorsam.

Nach seiner Reise in die arabische Welt bestätigte Fawwaz Gerges mit Nachdruck, was andere, die vor Ort waren, ebenfalls berichteten. Die amerikanisch-israelischen Offensive in Gaza erregte die arabischen Bevölkerungen und hat zu erbittertem Hass gegen die Aggressoren und ihre Kollaborateure geführt. „Es reicht, darauf hinzuweisen, dass die sogenannten moderaten arabischen Staaten [die Staaten, die ihre Anweisungen von Washington erhalten] in der Defensive sind und dass die Widerstandsfront, angeführt vom Iran und von Syrien, am meisten davon profitiert. Wieder einmal haben Israel und die Bush-Administration der iranischen Führung einen süßen Sieg beschert.“ Außerdem „wird die Hamas höchstwahrscheinlich mächtiger als je zuvor aus dem Konflikt hervorgehen und die [von Rice favorisierte] Fatah, den Herrschaftsapparat von Präsident Mahmoud Abbas’ Palästinensischer Autonomiebehörde, übertreffen.“

Es lohnt sich, im Hinterkopf zu behalten, dass die arabische Welt nicht sorgsam von der einzigen ständigen live TV-Berichterstattung aus Gaza abgeschirmt wird, vor allem nicht von der „ruhigen und ausgewogenen Analyse über Chaos und Zerstörung“ durch die ausgezeichneten Journalisten von Al Jazeera die „eine sachliche Alternative zu den Angeboten der terrestrischen TV-Kanäle“ bieten, wie die Londoner Financial Times schreibt. In jenen 105 Ländern, in denen unsere effizienten Mechanismen der Selbstzensur fehlen, können die Menschen stündlich sehen, was passiert und der Eindruck, den dieses bei ihnen hinterlässt, soll beachtlich sein. Die New York Times berichtet, dass der fast vollständige Blackout [der US-Medien] ohne Frage mit der scharfen Kritik zusammenhänge, die Al Jazeera zu Beginn des Irakkrieges von der US-amerikanischen Regierung für ihre Berichterstattung über die amerikanische Invasion erteilt wurde. Wenn Cheney und Rumsfeld sich beschweren, ist gehorchen offensichtlich das Einzige, was den unabhängigen Medien übrigbleibt.

Israelische Kriegsziele

Die Debatte über die Ziele der Angreifer verläuft viel nüchterner. Einige dieser Ziele werden öffentlich diskutiert, so zum Beispiel die Wiederherstellung des sogenannten „Abschreckungspotentials“ Israels. Israel verlor dieses Potential als Folge des Scheiterns im Libanon 2006. Gemeint ist die Fähigkeit, jeden möglichen Gegner durch Terror zur Aufgabe zu zwingen. Es gibt allerdings auch grundlegendere Ziele, die für gewöhnlich ignoriert werden, obwohl sie ziemlich offensichtlich zu sein scheinen, wenn man sich die jüngere Geschichte ansieht.

Israel hat Gaza im September 2005 faktisch aufgegeben. Rationale israelische Hardliner wie Ariel Sharon, der Schutzheilige der Siedlerbewegung, haben verstanden, dass es sinnlos ist, einige tausend illegale israelische Siedler in den Ruinen von Gaza zu subventionieren, die von den IDF beschützt wurden und die einen Großteil des Landes und der knappen Ressourcen für sich in Anspruch nahmen. Es war sinnvoller, Gaza in das weltweit größte Gefängnis zu verwandeln und die Siedler ins Westjordanland zu verlegen, in ein sehr viel wertvolleres Gebiet, wo Israel wenig Zweifel an seinen Absichten lässt, weder in Worten noch – worauf es mehr ankommt – in Taten. Eines der Ziele ist die Annektierung des fruchtbaren Landes, der Wasservorräte und der angenehmen Vororte von Jerusalem und Tel Aviv, die auf der anderen Seite der Trennungsmauer liegen. Der Internationale Gerichtshof hatte dies für illegal erklärt – irrelevant, natürlich. Zu diesen Zielen zählt auch ein erheblich erweitertes Jerusalem, unter Verletzung von Beschlüssen des Sicherheitsrates, die vor 40 Jahren erfolgten. Irrelevant auch diese. Israel hat sich außerdem das Jordantal einverleibt, welches circa ein Drittel des Westjordanlandes ausmacht. Was übrigbleibt, ist eingekesselt und durch die Ausläufer jüdischer Siedlungen in drei Teile zerhackt. Ein Teil liegt östlich von Groß-Jerusalem – abgespalten durch die (israelische) Kleinstadt Ma'aleh Adumim, die während der Clinton-Zeit ausgebaut wurde, um das Westjordanland zu spalten. Die beiden anderen Teile liegen im Norden. Hier erfolgt die Trennung durch die (israelischen) Städte Ariel bzw. Kedumim. Was den Palästinensern bleibt, ist zerteilt durch viele Hunderte, meist willkürlich errichtete, Checkpoints.

Die Checkpoints haben nichts mit der Sicherheit Israels zu tun. Auch wenn einige von ihnen die Sicherheit der Siedler schützen sollen, so sind sie doch rundweg illegal – laut Internationalem Gerichtshof. In Wirklichkeit ist ihre Hauptaufgabe die Schikanierung der palästinensischen Bevölkerung und die Befestigung von dem, was der israelische Friedensaktivist Jeff Halper die „Kontrollmatrix“ nennt. Konstruiert, um das Leben der „zweibeinigen Tiere“[2], die wie „Kakerlaken auf Droge in einer Flasche herumwuseln“[3] unerträglich zu machen, falls sie versuchen, in ihren Häusern und auf ihrem Land zu bleiben. All das geht in Ordnung, weil sie „im Vergleich zu uns wie Grashüpfer sind,“[4] so dass man ihre Köpfe „an Steinen und Mauern zertrümmern kann.“[4] Die Wortwahl stammt von hochrangigen israelischen Politikern und militärischen Führern, in diesem Falle von den 'verehrten Prinzen'. Und diese Einstellungen formen die Politik.

Diese Tiraden der politischen und militärischen Führer sind jedoch nichts im Vergleich zu den Predigten der obersten Rabbiner, die keine Randfiguren sind, sondern großen Einfluss in der Armee und in der Siedlerbewegung haben. Zertal und Eldar nennen sie die „Herren des Landes“ ('Lords of the Land', siehe Teil I), die großen Einfluss auf die Politik haben. Soldaten, die im Norden von Gaza kämpften, wurde ein „inspirierender“ Besuch von zwei der führenden Rabbiner zuteil, die ihnen erklärten, dass es keine „Unschuldigen“ in Gaza gäbe und dass dementsprechend alle ein legitimes Ziel darstellten. Sie zitierten dazu eine berühmte Passage aus den Psalmen[5], in der Gott gebeten wird, die Kinder von Israels Unterdrückern zu ergreifen und sie an Felsen zu zerschmettern. Die Rabbis betraten damit kein Neuland. Ein Jahr zuvor schrieb der ehemalige oberste sephardische[6] Rabbi an Premierminister Olmert, dass alle Zivilisten in Gaza kollektiv für die Raketenangriffe auf Israel verantwortlich seien und deshalb „absolut kein moralisches Verbot gegen das wahllose Töten von Zivilisten während einer möglichen massiven militärischen Offensive in Gaza, mit dem Ziel die Raketenangriffe zu stoppen,“ bestünde, wie die Jerusalem Post sein Verdikt widergab. Sein Sohn, der oberste Rabbiner von Safed, führt dazu weiter aus: „Wenn sie nicht aufhören, nachdem wir 100 von ihnen getötet haben, müssen wir 1000 töten, wenn sie nicht aufhören, nachdem wir 1000 töten, müssen wir 10.000 töten. Wenn sie dann immer noch nicht aufhören, müssen wir 100.000 oder sogar eine Million töten, soviele, wie nötig sind, um sie zum Aufhören zu bewegen.“

Vergleichbare Ansichten werden von bedeutenden säkularen Persönlichkeiten in den USA vertreten. Als Israel 2006 in den Libanon einmarschierte, erklärte der Harvard Professor Alan Dershowitz, im liberalen Online-Journal Huffington Post, sämtliche Libanesen zu legitimen Zielen israelischer Gewalt. Die Bewohner des Libanon „bezahlen den Preis“ für ihre Unterstützung von „Terrorismus“ – der sich in Form der Unterstützung des Widerstandes gegen die Israelische Invasion äußere. Danach wären libanesische Zivilisten folglich nicht mehr tabu für Angriffe, als es die Österreicher waren, als sie die Nazis unterstützten. Die Fatwa des sephardischen Rabbiners trifft auf sie zu. In einem Video auf der Webseite der Jerusalem Post führt Dershowitz seine Verhöhnung weiter fort, indem er zu der unverhältnismäßigen Zahl der Toten auf palästiensischer und israelischer Seite sagt: Dieses (Verhältnis) sollte seiner Meinung nach auf 1000-zu-1 angehoben werden, oder sogar auf 1000-zu-Null, was bedeuten würde, dass man die Wilden komplett ausrottet. Selbstverständlich meint er nur die „Terroristen“ – eine breite Kategorie, welche die Opfer israelischer Gewalt miteinschließt, da „Israels niemals Zivilisten angreift“, wie er ausdrücklich erklärt. Demzufolge sind Palästinenser, Libanesen, Tunesier und in der Tat alle, die den unbarmherzigen Armeen des Heiligen Staates in die Quere kommen, Terroristen oder aber versehentliche Opfer der gerechten Verbrechen Israels.

Gar nicht so leicht, historische Parallelen für derlei Aussagen zu finden. Es ist vielleicht interessant, dass diese Aussagen in der vorherrschenden intellektuellen und moralischen Kultur als vollkommen angebracht angesehen werden – d.h. so lange sie „von unserer Seite“ kommen. Aus dem Munde unserer offiziellen Feinde würden solche Worte selbstverständlich berechtigte Empörung hervorrufen und zum Ruf nach massiver präventiver Gewalt – als Vergeltung – führen.

Die Behauptung, dass „unsere Seite“ niemals Zivilisten angreift, ist eine bekannte Doktrin derer, die über das Gewaltmonopol verfügen. Darin steckt sogar eine gewisse Wahrheit. Wir versuchen im Allgemeinen eher nicht, einzelne Zivilisten zu töten. Wir führen eher mörderische Akte aus, von denen wir wissen, dass sie viele Zivilisten töten werden, doch ohne die spezifische Intention, Einzelne zu töten. Rechtlich fiele diese routinemäßige Praxis in die Kategorie „gleichgültige Fahrlässigkeit“. Aber Fahrlässigkeit ist keine angemessene Bezeichnung für eine imperiale Standardpraxis beziehungsweise – Doktrin. Es ist so, wie wenn man die Straße entlanggeht und weiß, dass man Ameisen töten könnte. Man hat nicht die direkte Absicht, Ameisen zu töten, aber weil sie so wenig wert sind, spielt es keine Rolle. Dasselbe gilt, wenn Israel Handlungen begeht, von denen die Verantwortlichen wissen, dass sie „Grashüpfer“ und „zweibeinige Tiere“ töten werden, die zufällig auf dem Land leben, das Israel gerade „befreit“. Es gibt keine passenden Worte für diesen moralischen Verfall, der wohl schlimmer ist als vorsätzlicher Mord, aber nur allzu vertraut.

"Recht auf dieses gesamte Land" (Olmert)

Im dem, was einst Palästina war, entschließen sich die „rechtmäßigen Besitzer“ des Landes (gemäß göttlichem Gebot, so sagen die „Herren des Landes“) den Schaben auf Drogen vielleicht einige zerteilte Parzellen zuzugestehen – allerdings nicht, weil diese ein Recht darauf besäßen.

Wie Premierminister Olmert in einer gemeinsamen Sitzung von US-Kongress und Senat im Mai 2006 unter Applaus sagte: „Ich glaubte und glaube immer noch an das ewige und historische Recht unseres Volkes auf dieses gesamte Land.“[7] Gleichzeitig verkündete er sein „Programm der Annäherung“ [Convergence Program] – d.h. zur Übernahme all dessen, was von Wert ist im Westjordanland, um die Palästinenser in ihren isolierten Kantonen verrotten zu lassen. Er sagte nicht exakt, wo die Grenzen dieses „gesamten Landes“ liegen sollten, aber das Zionistische Projekt war ja – aus gutem Grund – noch nie exakt: permanente Expansion ist eine sehr wichtige interne Triebfeder. Falls Olmert seinen Ursprüngen im Likud treu bleibt, könnte er damit beide Seiten des Jordans meinen, einschließlich des heutigen Staatsgebietes von Jordanien, oder zumindest wertvolle Teile davon.

Das „ewige und historische Recht auf das gesamte Land“ unseres Volkes, steht in krassem Gegensatz zu der absoluten Abwesenheit eines Rechtes auf Selbstbestimmung der Palästinenser, der vorübergehenden Bewohner. Diese Position wurde, wie schon gesagt, von Israel und seinem Schutzherren in Washington im Dezember 2008 wiederholt. Wie üblich waren sie dabei isoliert, und wie üblich herrschte ringsherum Stillschweigen.

Die Pläne, die Olmert 2006 umrissen hatte, wurden seitdem – als nicht extrem genug –verworfen. Aber der Ersatz für das „Programm der Annäherung“ und die Taten, die täglich zu dessen Umsetzung vor sich gehen, sind von ihrer Grundkonzeption her in etwa dieselben. Sie reichen bis in die Anfänge der Besatzungszeit zurück, als Verteidigungsminister Moshe Dayan poetisch erklärte, dass „die Situation heute der komplexen Beziehung zwischen einem beduinischen Mann und einer Frau, die er gegen ihren Willen kidnappt, entspricht...ihr Palästinenser, als Nation, wollt uns heute nicht, aber wir werden eure Meinung ändern, indem wir euch unsere Präsenz aufzwingen.“ Ihr werdet „leben wie Hunde und wer gehen will, kann gehen“, während wir uns nehmen, was wir wollen.

Dass dieses Vorgehen kriminell ist, wurde niemals in Zweifel gezogen. Sofort nach dem Krieg von 1967 wurde die Regierung Israels von der höchsten richterlichen Autorität des Landes, Teodor Meron, darüber aufgeklärt, dass „zivile Siedlungen in den verwalteten Gebieten gegen die expliziten Bestimmungen der Vierten Genfer Konvention verstoßen“. Diese Konvention ist die Grundlage der internationalen Menschenrechte. Der israelische Justizminister stimmte bei. Der Internationale Gerichtshof kam 2004 einstimmig zu derselben essentiellen Schlussfolgerung, und der Oberste Gerichtshof Israels stimmte dem, wie üblich, theoretisch zu und widersprach hinsichtlich der praktischen Umsetzbarkeit.

Im Westjordanland kann Israel seine kriminellen Programme mit US-amerikanischer Hilfe und ohne Störung fortführen, dank effektiver militärischer Kontrolle und durch die Kooperation der kollaborierenden palästinensischen Sicherheitskräfte, die von den USA und alliierten Diktaturen bewaffnet und ausgebildet wurden. Israel kann regelmäßige Mordanschläge und andere Verbrechen begehen, während die Siedler unter dem Schutz der IDF herumwüten. Aber während das Westjordanland durch Terror effektiv unterworfen worden ist, gibt es in der anderen Hälfte von Palästina, dem Gazastreifen, immer noch Widerstand. Dieser muss ebenfalls unterdrückt werden, damit das amerikanisch-israelische Programm zur Annexion und Zerstörung von Palästina ungehindert weitergehen kann. Fussnoten

Teil 3

Der Zeitpunkt der Invasion war wahrscheinlich mit Rücksicht auf die bevorstehenden israelischen Wahlen gewählt. Wie der israelische Kommentator Ran HaCohen vorrechnete, gewann Ehud Barak, der in den Meinungsumfragen weit zurückgelegen hatte, in den ersten Tagen des Mordens pro 40 getöteter Araber einen Parlamentssitz hinzu.

Angriffe auf UN-Einrichtungen

Das könnte sich jedoch jetzt ändern. Nachdem die Verbrechen über das hinausgingen, was die sorgfältig orchestrierte Propagandakampagne Israels vertuschen konnte, begannen selbst langjährige israelische Falken die Sorge zu äußern, die Schlächterei werde Israels „ Seele und Ruf zerstören – auf den Fernsehschirmen der ganzen Welt, überall in der internationalen Gemeinschaft und vor allem in Obamas Amerika“ (Ari Shavit). Besonders besorgt war Shavit über Israels „Granatenbeschuss einer Einrichtung der Vereinten Nationen ... am selben Tag, an dem der UN-Generalsekretär in Jerusalem zu Besuch ist“, eine Aktion, der seiner Meinung nach „mehr als aberwitzig“ war.

Hier sind einige Details angebracht. Bei der genannten „Einrichtung“ handelte es sich um den UN-Komplex in Gaza Stadt, in dem sich auch das UNWRA-Lagerhaus befand. Laut Auskunft von UNWRA-Direktor John Ging vernichtete das Bombardement „Hunderte von Tonnen dringend benötigter Nahrung und Medizin, die heute an Schutzräume, Krankenhäuser und Speisezentren geliefert werden sollten“. Zur gleichen Zeit zerstörten Militärschläge zwei Stockwerke des Al-Quds-Krankenhauses, das in Brand geriet, und ein weiteres, vom Palästinensischen Roten Halbmond betriebenes Warenlager. Wie AP berichtete, wurde das in dem dicht besiedelten Viertel Tal-Hawa gelegene Krankenhaus von israelischen Panzern zerstört, „nachdem Hunderte von verängstigten Bewohnern der Stadt dort Schutz vor den in das Viertel eindringenden israelischen Bodentruppen gesucht hatten“.

Aus den schwelenden Trümmern des Krankenhauses gab es nichts mehr zu bergen. „Sie beschossen das Gebäude, das Krankenhaus, und es begann zu brennen. Wir versuchten, die Patienten und die Verwundeten und alle, die dort waren, zu evakuieren. Feuerwehrleute kamen und löschten das Feuer, das erneut lichterloh aufflammte, worauf sie es wieder löschten und es ein drittes Mal zu brennen anfing“, so der Sanitäter Ahmad Al-Haz gegenüber AP. Bald kam der Verdacht auf, dass die Intensität des Brands durch weißen Phosphor verursacht worden war und dass dieser auch bei etlichen weiteren Bränden und schweren Brandverletzungen eine Rolle gespielt hatte.

Nachdem die Beendigung des intensiven Bombardements eine Untersuchung ermöglicht hatte, wurden diese Vermutungen von Amnesty International bestätigt. Während seine Verbrechen in vollem Schwange waren, hatte Israel klugerweise sämtlichen Journalisten, darunter auch den israelischen, den Zutritt verwehrt. AI stellte aber nun fest, die Anwendung von weißem Phosphor gegen Zivilisten im Gazastreifen sei „eindeutig und unbestreitbar“, und der wiederholte Gebrauch dieser Substanz in dicht bevölkerten Zivilgebieten „ein Kriegsverbrechen“. AI-Mitarbeiter stießen auf „verstreut zwischen Wohngebäuden herumliegende“ immer noch brennende Reste von weißem Phosphor, die „die Bewohner und ihre Häuser weiterhin gefährdeten“, besonders Kinder, „die in dem vom Krieg hinterlassenen Abfall herumstochern und die damit verbundenen Gefahren nicht kennen“. AI zufolge war eines der Hauptziele der Phosphorangriffe das erwähnte UNRWA-Gelände, wo der israelische „weiße Phosphor unmittelbar neben einigen Tanklastern aufschlug und ein gewaltiges Feuer entfachte, das etliche Tonnen an humanitären Hilfsgütern vernichtete“, nachdem die israelischen Behörden „die Zusicherung gegeben hatten, dass keine weiteren Angriffe auf den Komplex mehr unternommen werden würden“. Am selben Tag „traf eine Granate mit weißem Phosphor das Al-Quds-Kran­ken­haus in Gaza Stadt und löste ebenfalls ein Feuer aus, das das Krankenhauspersonal zur Evakuierung der Patienten zwang … Wenn weißer Phosphor mit Haut in Verbindung kommt, kann er sich tief durch die Muskeln hindurch und bis in den Knochen hinein fressen, wo er weiter schwelt, solange er Zugang zu Sauerstoff hat.“ Ob das nun die Absicht oder nur Ergebnis extrem skrupelloser Gleichgültigkeit war – das verbrecherische Resultat ist unvermeidlich, wenn solche Waffen bei Angriffen auf Zivilisten eingesetzt werden.

Es wäre jedoch ein Fehler, sich gar zu sehr auf Israels grobe Verletzungen des jus in bello zu konzentrieren, der Gesetze also, die Praktiken unterbinden sollen, die zu grausam sind. Die Invasion selbst ist das weitaus schlimmere Verbrechen. Selbst wenn Israel diese grässliche Verwüstung mittels Pfeil und Bogen angerichtet hätte, würde es sich immer noch um einen kriminellen Akt von extremer Niedertracht handeln.

der Vorwand für den Krieg: Raketenangriffe der Hamas

Aggressionen haben immer einen Vorwand - in diesem Fall war es der, dass angesichts der Raketenangriffe der Hamas, so formulierte es Barak, Israels Geduld „erschöpft“ gewesen sei. Diesem endlos wiederholten Mantra zufolge hat Israel das Recht, Gewalt anzuwenden, um sich zu verteidigen. Diese These ist zumindest teilweise haltbar. Die Raketenangriffe sind in der Tat kriminell, und es stimmt, dass ein Staat das Recht hat, sich gegen solche Angriffe zu verteidigen. Aber daraus folgt noch nicht, dass er auch ein Recht besitzt, sich mit Gewalt zu verteidigen. Das ginge weit über jedes akzeptierte oder zu akzeptierende Prinzip hinaus. Nazi-Deutschland hatte nicht das Recht, Gewalt anzuwenden, um sich gegen den Terror der Partisanen zu verteidigen. Die Ermordung eines deutschen Botschaftssekretärs in Paris durch Herschel Grynszpan rechtfertigte nicht die Reichskristallnacht. Die Briten hatten kein Recht, sich gewaltsam gegen den (sehr realen) Terror der für die Unabhängigkeit kämpfenden amerikanischen Kolonisten zu wehren oder in Reaktion auf den Terror der IRA irische Katholiken zu terrorisieren – und als sie schließlich vernünftigerweise damit begannen, die Ursachen für den legitimen Zorn über Missstände anzugehen, hörte der Terror auf. Letztlich geht es hier nicht um „Verhältnismäßigkeit“, sondern um die Wahl des Handlungswegs überhaupt: Gibt es eine Alternative zur Gewalt?

Jeder Rückgriff auf Gewalt bedarf einer sehr massiven Beweisführung, und wir müssen uns fragen, ob dies für die israelischen Anstrengungen zutrifft, jeden Widerstand gegen das tägliche kriminelle Vorgehen Israels im Gazastreifen und im Westjordanland zu unterdrücken. Seit mehr als 40 Jahren machen sie unaufhörlich weiter. Vielleicht kann ich hier zitieren, was ich in einem in der israelischen Presse erschienenen Interview zu Olmerts „Konvergenzplänen“ für das Westjordanland gesagt habe: „Die USA und Israel dulden keinerlei Widerstand gegen diese Pläne und behaupten stattdessen lieber, in offenkundigem Widerspruch zu den Fakten, es gebe ‚keinen Partner’, während sie Programme vorantreiben, die weit in die Vergangenheit zurückreichen. Wir sollten uns daran erinnern, dass der Gazastreifen und das Westjordanland anerkanntermaßen eine Einheit bilden, so dass, wenn Widerstand gegen die amerikanisch-israelischen Annexions- und Kantonisierungspläne im Westjordanland legitim ist, dasselbe auch für den Gazastreifen gilt.“

Der palästinensisch-amerikanische Journalist Ali Abunimah hat darauf hingewiesen, dass „aus dem Westjordanland keine Raketen auf Israel abgefeuert werden, Israels extralegale Tötungen, Landraub, Siedlerpogrome und Entführungen während des Waffenstillstandes aber dennoch keinen einzigen Tag lang aufgehört haben. Die westlich unterstützte Palästinensische Nationalbehörde unter Mahmoud Abbas hat sich sämtlichen Forderungen Israels gebeugt. Unter dem stolzen Blick US-amerikanischer Militärberater hat Abbas ‚Sicherheitstruppen’ zusammengestellt, die im Dienste Israels den Widerstand bekämpfen sollen. Nichts davon hat auch nur einen einzigen Palästinenser vor Israels unerbittlicher Kolonisierungspolitik bewahrt“ – dank der unerschütterlichen Unterstützung der USA. Der angesehene palästinensische Parlamentsabgeordnete Dr. Mustapha Barghouti fügt hinzu, nach dem von so großem Rummel und erhebender Rhetorik über Frieden und Gerechtigkeit begleiteten Annapolis-Gipfel der Bush-Administration seien Israels Angriffe auf die Palästinenser scharf eskaliert und allein im Westjordanland um fast 50 % gestiegen, begleitet von einem beschleunigten Ausbau der Siedlungen und einer rasch wachsenden Zahl der israelischen Checkpoints. Dieses kriminelle Vorgehens war ganz offensichtlich keine Reaktion auf Raketen aus dem Gazastreifen, während es sich, wie Barghouti plausibel argumentiert, in Wirklichkeit genau umgekehrt verhalten könnte.

Alternativen jenseits der Gewalt

Die Reaktionen auf Verbrechen einer Besatzungsmacht können als ebenfalls kriminell und politisch dumm verurteilt werden, aber niemand, der keine Alternative offerieren kann, hat das moralische Recht, solche Urteile zu fällen. Das gilt ganz besonders für alle US-Amerikaner, die sich durch ihre Worte, ihre Taten oder ihr Schweigen für eine direkte Beteiligung an Israels fortgesetzten Verbrechen entscheiden – und zwar umso mehr, als es vollkommen offensichtliche, gewaltlose Alternativen gibt, die allerdings den Nachteil haben, dass sie ein Ende der illegalen Expansionsprogramme Israels voraussetzen.

Israel verfügt über ein sehr wirksames Instrument der Verteidigung: Es kann sein kriminelles Vorgehen in den besetzten Gebieten beenden und sich dem seit langem bestehenden internationalen Konsens über eine Zweistaatenlösung anschließen, dessen Umsetzung die USA und Israel seit mehr als dreißig Jahren blockiert haben - seit die USA 1976 erstmals ihr Veto gegen eine UN-Si­cherheits­ratsresolution einlegten, die eine politische Lösung genau dieser Art vorsah. Ich werde hier nicht ein weiteres Mal die unrühmliche Bilanz Revue passieren lassen, aber es ist wichtig, sich darüber klar zu sein, dass die hartnäckige Ablehnung einer solchen Lösung durch die USA und Israel heute sogar noch extremer ist als früher. Inzwischen ist die Arabische Liga sogar noch über diesen Konsens hinausgegangen und hat eine vollständige Normalisierung der Beziehungen zu Israel vorgeschlagen. Hamas hat wiederholt eine Zweistaatenlösung gemäß dem internationalen Konsens gefordert. Auch der Iran und die libanesische Hisbollah haben klargestellt, dass sie jede von den Palästinensern akzeptierte Lösung respektieren werden. Die USA und Israel stehen hier, und das sind nicht nur Worte, ganz und gar isoliert da.

Ich möchte dazu nur kurz auf einige wichtige Details hinweisen. 1988 schloss sich der Palästinensische Nationalrat formell dem internationalen Konsens an. Die von US-Außenmini­ste­r James Baker unterstützte Reaktion der damaligen Shamir-Peres-Koalitionsregierung bestand in der Feststellung, es könne keinen „zusätzlichen palästinensischen Staat“ zwischen Israel und Jordanien geben (per Diktat der USA war Jordanien ja ein palästinensischer Staat). Das Oslo-Abkommen von 1993 zog potentielle nationale Rechte der Palästinenser nicht in Betracht, und in den Folgejahren wurde die Gefahr, dass diese in irgendeiner bedeutsamen Form realisiert werden könnten, durch den ständigen Ausbau der illegalen Siedlungen durch Israel systematisch minimiert. Auch 2000, im letzten Amtsjahr von Präsident Clinton und Premierminister Barak, wurde der Siedlungsbau beschleunigt fortgesetzt, und vor diesem Hintergrund standen dann in Camp David Friedensverhandlungen an.

Nachdem er Yassir Arafat die Schuld am Scheitern der Camp-David-Verhandlungen zugeschoben hatte, ruderte Clinton zurück und erkannte, dass die Vorschläge der USA und Israels zu extrem gewesen waren, um für irgendeinen Palästinenser annehmbar zu sein. Im Dezember 2000 präsentierte er seine „Parameter“, die vage waren, den Palästinensern aber doch mehr entgegenkamen. Clinton verkündete, beide Seiten hätten die Parameter, wenn auch nicht ohne Vorbehalte, akzeptiert. Beide Seiten trafen sich dann im Januar 2001 im ägyptischen Taba, wo sie einem Abkommen sehr nahe kamen und, wie sie auf der abschließenden Pressekonferenz sagten, ein solches innerhalb weniger weiterer Tage hätten erreichen können. Doch die Verhandlungen wurden von Ehud Barak vorzeitig abgebrochen. Diese Woche in Taba bildet die eine Ausnahme in über 30 Jahren amerikanisch-israelischer Ablehnungspolitik. Es gibt keinen Grund, weshalb die Verhandlungen nicht an diesem Punkt wieder aufgenommen werden könnten.

Die offiziell verbreitete, erst jüngst von Ethan Bronner wiederholte Version besagt dagegen, dass „viele ausländische Beobachter sich an Ehud Barak als den Premierminister erinnern, der 2000 mit seinen Friedensangeboten an die Palästinenser weiter ging als jeder israelische Politiker zuvor, nur um dann das Abkommen scheitern und in einem gewaltsamen palästinensischen Aufstand untergehen zu sehen, der ihn am Ende die Macht kostete." Es ist durchaus wahr, dass „viele ausländische Beobachter“ dieses Ammenmärchen glauben, und zwar aufgrund der Praktiken, die Bronner und etliche seiner Kollegen als „Journalismus“ bezeichnen.

Es wird derzeit häufig behauptet, eine Zweistaatenlösung sei mittlerweile nicht mehr durchsetzbar, da jeder Versuch der IDF, die Siedler aus den besetzten Gebieten zu entfernen, zum Bürgerkrieg führen würde. Vielleicht stimmt das ja, aber es ist keinesfalls die ganze Wahrheit. Statt die illegalen Siedler mit Gewalt zu exmittieren, könnte die IDF sich einfach hinter die Grenzen Israels zurückziehen, wo immer diese durch Verhandlungen genau etabliert werden mögen. Die Siedler jenseits dieser Grenze würden dann vor der Wahl stehen, entweder ihre subventionierten Häuser zu verlassen und nach Israel zurückzukehren oder unter palästinensischer Hoheit zurückzubleiben. Genau dasselbe galt auch für das sorgfältig inszenierte „nationale Trauma“ im Gazastreifen 2005, das so derart verlogen war, dass auch viele israelische Kommentatoren sich darüber lustig machten. Damals hätte es genügt, wenn Israel angekündigt hätte, die IDF werde sich zurückziehen, und die Siedler, die bis dahin für ein komfortables Leben im Gazastreifen subventioniert worden waren, wären still in die bereitstehenden Lastwagen gestiegen und in ihre neue, ebenfalls subventionierten „Heimat“ im Westjordanland abgereist. Aber das hätte keine Gelegenheit für tragikgeschwängerte Fotos von leidenden Kindern und pathetische Deklamationen zum Thema „Nie wieder!“ gegeben.

Die Schlussfolgerung aus all dem ist, dass Israel im Gegensatz zu all den von Israel ständig wiederholten Behauptungen kein Recht auf Gewaltanwendung zur Abwehr der Raketenangriffe aus dem Gazastreifen hat, selbst wenn man diese als terroristische Verbrechen erachtet. Warum das so ist, ist nicht schwer zu verstehen. Der Vorwand für den israelischen Angriff hält keiner Prüfung stand.

Waffenstillstand?

Dann geht es noch um die engere Frage: Stehen Israel kurzfristige, friedliche Alternativen zur Gewalt zur Verfügung, um auf die Raketen aus dem Gazastreifen zu reagieren? Eine solche kurzfristige Alternative wäre die Zustimmung zu einem Waffenstillstand. Diese Zustimmung hat Israel gelegentlich auch gegeben, nur um ihn dann umgehend zu verletzen. Das jüngste und für die jetzige Krise relevante Beispiel ist der Waffenstillstand vom Juni 2008. Dieser sah die Öffnung der Grenzübergänge vor, um „den Import aller Güter zu ermöglichen, die bis dahin nicht oder nur eingeschränkt in den Gazastreifen gebracht werden konnten“. Israel stimmte dem formell zu, verkündete dann aber sofort, es werde sich nicht an das Abkommen halten und die Grenzen nicht öffnen, bis die Hamas Gilad Shalit, einen israelischen Soldaten, den Hamasmilizen im Juni 2006 gefangen genommen hatten, freigelassen hätte.

Auch der beständige Strom von Anklagen wegen der Gefangennahme Shalits ist, selbst wenn man von Israels eigener langer Geschichte der Entführungen absieht, unverfrorene Heuchelei. In diesem besonderen Fall könnte es gar nicht offensichtlicher sein. Einen Tag, bevor Hamas Shalit gefangen nahm, drangen israelischen Soldaten nach Gaza Stadt vor, entführten zwei Zivilisten, die Gebrüder Muammar, und brachten sie nach Israel, wo sie sich den Tausenden von anderen dort festgehaltenen Gefangenen zugesellten, von denen Berichten zufolge fast tausend ohne Anklage einsitzen. Die Entführung von Zivilisten ist ein wesentlich schwereres Verbrechen als die Gefangennahme eines Soldaten einer angreifenden Armee, aber im Unterschied zu dem Aufruhr, der um Shalit gemacht wurde, wurde darüber kaum berichtet. Das einzige, was als Hindernis für den Frieden in Erinnerung bleibt, ist die Gefangennahme Shalits, ein weiterer Hinweis auf die Unterscheidung zwischen Menschen und „zweibeinigen Tieren“. Natürlich sollte Shalit freigelassen werden – im Rahmen eines fairen Gefangenenaustauschs.

Nach der Gefangennahme Shalits überschritten die gnadenlosen militärischen Angriffe Israels auf den Gazastreifen definitiv die Grenze zwischen Brutalität und Sadismus. Dennoch muss daran erinnert werden, dass Israel bereits zwischen diesem Vorfall und seinem Abzug aus dem Gazastreifen im September 2005 mehr als 7.700 Granate auf den nördlichen Gazastreifen abgefeuert hatte, was jedoch praktisch keinen Kommentar auslöste.

Nach seiner Ablehnung des Waffenstillstands vom Juni 2008, den es zunächst formell akzeptiert hatte, hielt Israel seine Belagerung des Gazastreifens aufrecht. An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, dass jede Belagerung ein Kriegsakt ist. Tatsächlich hat Israel selbst immer auf einer noch strikteren Auslegung dieses Prinzips beharrt: Die Behinderung des Zugangs zur Außenwelt sei selbst dann, wenn sie noch keine Belagerung darstelle, ein Kriegsakt, der massive Gewaltanwendung rechtfertige. Die Unterbindung der Durchfahrt israelischer Schiffe durch die Straße von Tiran war Teil des Vorwandes für die (gemeinsam mit Frankreich und England durchgeführte) israelische Invasion Ägyptens 1956 und für die Anzettelung des Krieges von 1967 durch Israel. Die Belagerung des Gazastreifens ist, bis auf die gelegentliche Bereitschaft der Besatzer, sie ein wenig zurückzunehmen, vollständig, nicht nur partiell und fügt der Bevölkerung des Gazastreifens weitaus mehr Schaden zu als die Schließung der Straße von Tiran seinerzeit Israel. Die Unterstützer der Doktrinen und Taten Israels sollten daher eigentlich kein Problem damit haben, Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf israelisches Territorium zu rechtfertigen.

Blockade und Belagerung

Aber hier sind wir natürlich wieder bei dem Prinzip angelangt, das jede Argumentation annulliert: Das hier sind wir, und die da sind sie.

In der Zeit nach Juni 2008 erhielt Israel seine Belagerung nicht nur aufrecht, sondern übte dabei extreme Härte aus. Es ging sogar so weit, die UNRWA an der Auffrischung ihrer Vorräte zu hindern, „so dass wir, als der Waffenstillstand zusammenbrach, nicht mehr genug Nahrung für die 750.000 Menschen hatten, die von uns abhängig sind“, wie UNWRA-Direktor John Ging gegenüber BBC sagte.

Trotz der israelischen Belagerung gingen die Raketenangriffe scharf zurück. Zum Zusammen­bruch des Waffenstillstands kam es durch einen israelischen Einfall in den Gazastreifen am 4. November, bei dem sechs Palästinenser getötet wurden, was zu einem Raketenhagel auf Israel (bei dem niemand verletzt wurde) führte. Vorwand für den Angriff war die angebliche Entdeckung eines Tunnels im Gazastreifen durch Israel, der möglicherweise dazu gedacht ge­wesen sei, einen weiteren israelischen Soldaten gefangen zu nehmen. Wie etliche Kommen­tatoren bemerkten, ist dieser Vorwand völlig absurd. Falls der Tunnel überhaupt existierte und bis zur Grenze reichte, hätte Israel ihn mit Leichtigkeit genau dort blockieren können. Aber wie üblich wurde Israels lächerlicher Vorwand für glaubwürdig befunden.

Die wirklichen Gründe für den Krieg

Was war der Grund für den israelischen Überfall? Wir haben keine internen Zeugnisse über den israelischen Planungsprozess, aber wir wissen, dass der Angriff kurz vor bereits anberaumten Gesprächen zwischen Hamas und Fatah in Kairo erfolgte, die, wie der britische Korrespondent Rory McCarthy berichtete, auf „die Beilegung ihrer Differenzen und die Schaffung einer ein­zigen, geeinten Regierung“ abzielten. Dies wäre das erste Treffen zwischen Fatah und Hamas seit dem Bürgerkrieg im Juni 2007 gewesen, der mit der alleinigen Kontrolle der Hamas über den Gazastreifen geendet hatte. Sicher wäre es auch ein wichtiger Schritt zur gemeinsamen Entwicklung diplo­matischer Anstrengungen gewesen. Die Geschichte israelischer Provokationen, mit dem Ziel, die Gefahr diplomatischer Lösungen abzuwehren, ist lang; einige davon habe ich bereits er­wähnt, und dies könnte ein weiteres Beispiel sein.

Der Bürgerkrieg, der zur Kontrolle der Hamas über den Gazastreifen führte, wird im Allge­meinen als ein Militärputsch der Hamas hingestellt, der ein weiteres Mal deren bösartiges Wesen demonstriert habe. Die Wirklichkeit sieht ein wenig anders aus. Der Bürgerkrieg wurde von den USA und Israel angezettelt und stellte den plumpen Versuch eines Militärputsches dar, der das Resultat der freien Wahlen zunichte machen sollte, die die Hamas an die Macht gebracht hatten. Das ist spätestens seit dem detaillierten und wohl dokumentierten Bericht von David Rose in Vanity Fair im April 2008 öffentlich bekannt, der beschreibt, wie Bush, Rice und der Stellvertretende Nationale Sicherheitsberater Elliot Abrams „eine unter Kommando des starken Mannes der Fatah, Muhammad Dahlan, stehende bewaffnete Truppe unterstützten, damit einen blutigen Bürgerkrieg im Gazastreifen auslösten und Hamas am Ende stärker machten als je zuvor“. Der Bericht wurde kürzlich im Christian Science Monitor vom 12. Januar 2009 erneut bestätigt. Autor des CSM-Artikels war Norman Olson, der 26 Jahre lang im US-Auslandsdienst ar­beitete, davon vier Jahre im Gazastreifen und vier Jahre in der US-Botschaft in Tel Aviv. Danach war er stellvertretender Koordinator für Terrorismusbekämpfung im US-Außenmini­sterium. Olson und sein Sohn dokumentieren im Detail die Winkelzüge, mit denen das US-Außenmini­sterium versuchte, sicherzustellen, dass ihr Kandidat, Abbas, die Wahlen vom Januar 2006 gewinnen würde – wonach die Wahlen als Triumph der Demokratie gefeiert worden wären. Nach­dem dieser Versuch der Wahlmanipulation gescheitert war, sattelte das Außenministerium auf die Bestrafung der Palästinenser und die Bewaffnung einer Miliz um, die von Muhammad Dahlan - dem starken Mann der Fatah - geführt wurde, aber „Dahlans Schläger traten zu schnell in Aktion“, und ihr Putschversuch wurde durch einen Präventivschlag der Hamas vereitelt, was noch weit härtere Maßnahmen der USA und Israels zur Bestrafung der ungehorsamen Bevölkerung des Gazastreifens auslöste. Ange­sichts solcher Fakten ist die offizielle Parteilinie natürlich akzeptabler.

Nachdem Israel im November 2008 den Waffenstillstand vom Juni (soweit dieser überhaupt existiert hatte) gebrochen hatte, verschärfte es die Belagerung des Gazastreifens weiter, was noch schlimmere Folgen für die Bevölkerung nach sich zog. Laut Sara Roy, der führenden aka­de­mischen Spezialistin zum Gazastreifen, riegelte „Israel am 5. November sämtliche Grenz­über­gänge zum Gazastreifen ab, womit es die Zufuhr von Nahrungsmitteln, Medizin, Brenn­stoff, Kochgas und Teilen für die Wasserversorgungs- und Sanitärsysteme drastisch redu­zierte und zeitweise ganz unterband“. Im Laufe des Novembers „gelangten durchschnittlich nur 4,6 Lastwagen mit Nahrungsmitteln pro Tag von Israel aus in den Gazastreifen, während es im Oktober im Durchschnitt noch 123 Lastwagen täglich gewesen waren. Ersatzteile für die Reparatur und Wartung von Wasserversorgungs- und Abwassersystemen sind seit einem Jahr nicht mehr durchgelassen worden. Wie die Weltgesundheitsorganisation, WHO, gerade be­richtet hat, ist mittlerweile die Hälfte der Ambulanzwagen des Gazastreifens funktionsunfähig“ – und die übrigen wurden bald zu Zielscheiben des israelischen Angriffs. Das einzige Kraftwerk des Gazastreifens war aus Mangel an Brennstoffen zur Einstellung des Betriebs gezwungen und konnte diesen nicht wieder aufnehmen, weil es an den Ersatzteilen mangelte, die seit acht Monaten im israelischen Hafen Ashdod festsaßen. Im Shifaa-Krankenhaus im Gazastreifen führte die Elektrizitätsknappheit zu einem dreihundertprozentigen Anstieg von Verbrennungsfällen - die auf Versuche zurückzuführen waren, elektrische Energie durch Holzfeuer zu ersetzen. Außerdem unterband Israel den Import von Chlor, was dazu führte, dass in Gaza Stadt und im Norden des Gazastreifens der Zugang zu Wasser auf sechs Stunden alle drei Tage beschränkt wurde. Im Falle der palästinensischen Opfer von israelischem Terror werden die menschlichen Konsequenzen schlicht ignoriert.

Nach dem israelischen Angriff vom 4. November griffen beide Seiten verstärkt zur Gewalt (wo­bei alle Todesopfer Palästinenser waren), bis der Waffenstillstand am 19. Dezember formell endete und Premierminister Olmert die massive Invasion des Gazastreifens autorisierte.

Einige Tage zuvor hatte Hamas die Rückkehr zum ursprünglichen Waffenstillstandsabkommen vom Juni, an das Israel sich nicht gehalten hatte, vorgeschlagen. Der Historiker und frühere hohe Beamte der Carter-Administration Robert Pastor leitete den Vorschlag an einen „wichtigen Repräsentanten“ der IDF weiter, doch von Israel kam keine Antwort. Der Leiter des israelischen Inneren Sicherheitsdienstes Shin Bet wurde am 21. Dezember 2008 von israelischen Quellen mit der Aussage zitiert, Hamas sei an einer Fortsetzung des „Ruhezustands“ interessiert, während der militärische Flügel der Organisation seine Konfliktvorbereitungen fortsetze.

„Selbstverständlich gab es eine Alternative zu einem militärischen Vorgehen zur Unterbindung der Raketenangriffe“, sagte Pastor im Hinblick auf die engere Frage der derzeitigen Gazakrise. Außerdem gab es auch noch eine selten diskutierte, viel weiter reichendere Alternative, nämlich die Zustimmung zu einer die gesamten besetzten Gebiete umfassenden politischen Lösung.

Der langjährige israelische diplomatische Korrespondent Akiva Eldar berichtet, kurz vor Beginn der israelischen Invasion von Samstag, dem 27. Dezember 2008, habe „der Vorsitzende des Politbüros der Hamas, Khaled Meshal, auf der Website ‚Iz al-Din al-Qassam’ erklärt, er sei nicht nur zu einer ‚Einstellung aller Kriegshandlungen’ bereit – sondern schlage außerdem vor, zu dem noch vor dem Wahlsieg der Hamas und der späteren alleinigen Machtübernahme der Hamas zustandegekommenen Arrangement für den Grenzübergang Rafah von 2005 zurückzukehren. Dieses legte eine gemeinsame Verwaltung des Grenzübergangs Rafah durch Ägypten, die Europäische Union, das Präsidialamt der Palästinensischen Nationalbehörde und Hamas“ fest und sah, wie oben erwähnt, die Öffnung der Grenzübergänge für verzweifelt dringlich benötigte Güter vor. Eine der Standardbehauptungen der vulgäreren Apologeten israelischer Gewalttaten (in diesem Falle des Herausgebers des New Yorker David Remnick) lautet, die Israelis hätten mit ihrem jüngsten Angriff „wie in so vielen Fällen in den letzten fünfzig Jahren – dem Libanonkrieg von 1982, der 'Eisernen-Faust’-Reaktion auf die Intifada 1988, dem Libanonkrieg von 2006 – […] auf unannehmbare Terrorakte mit der Entschlossenheit reagiert, furchtbaren Schmerz zuzufügen und dem Feind eine Lehre zu erteilen“. Wie bereits diskutiert, kann man die Libanoninvasion von 2006 nur mit extrem zynischen Argumenten rechtfertigen. Remnicks Bezug auf die grausame Reaktion auf die Intifada von 1988 ist zu widerlich, um eine Diskussion zu verdienen; eine wohlwollende Interpretation wäre, dass sich in ihr nur erstaunliche Unwissenheit widerspiegelt. Doch Remicks Charakterisierung der israelischen Libanoninvasion von 1982 ist weit verbreitet, ein bemerkenswerter Erfolg unablässiger Propaganda, angesichts dessen an einige Fakten erinnert werden sollte.

Es ist unstrittig, dass vor der israelischen Invasion ein Jahr lang Ruhe an der israelisch-libanesischen Grenze herrschte - zumindest von Nord nach Süd, also, was die libanesische Seite betraf. Im Laufe des gesamten Jahres (1981) hielt sich die PLO skrupulös an einen von den USA ausgehandelten Waffenstillstand, ungeachtet zahlreicher israelischer Provokationen, zu denen auch Bombardements mit etlichen zivilen Opfern gehörten, mit denen vermutlich die Absicht verbunden war, irgendeine Reaktion zu provozieren, die dann zur Rechtfertigung der bereits sorgfältig geplanten israelischen Invasion benutzt werden konnte. Das Beste, was Israel in dieser Hinsicht erreichen konnte, waren zwei schwache, lediglich symbolische Reaktionen. Daraufhin griff Israel den Libanon unter einem Vorwand an, der zu absurd war, um ernst genommen zu werden.

Die Invasion des Libanon hatte absolut nichts mit „unannehmbaren Terrorakten“ zu tun, obwohl unannehmbare Akte sehr wohl eine Rolle spielten: nämlich solche auf diplomatischer Ebene. Das war schon damals klar. Kurz nach dem Beginn der US-unterstützten Invasion schrieb der führende israelische Palästinenser- und Palästinawissenschaftler Yehoshua Porat, der keineswegs eine Taube ist, die erfolgreiche Einhaltung dieses Waffenstillstands durch Arafat sei „in den Augen der israelischen Regierung eine regelrechte Katastrophe“ gewesen, da sie den Weg zu einer politischen Lösung geöffnet habe. Die israelische Regierung hoffte, die PLO werde in den Terrorismus zurückfallen und damit selbst die Gefahr zunichte machen, dass sie „ein legitimer Verhandlungspartner für zukünftige politische Abkommen“ werden könnte.

In Israel verstand man das alles sehr gut, es war kein Geheimnis. Premierminister Yitzhak Shamir erklärte, Israel sei aufgrund einer „furchtbaren Gefahr“ in den Krieg gezogen, die allerdings „weniger militärisch als politisch“ gewesen sei, was den brillanten israelischen Satiriker B. Michael zu dem Kommentar veranlasste, damit sei „der dürftige Vorwand einer militärischen Bedrohung oder einer Gefahr für Galiläa erledigt“: Wir „haben die politische Gefahr gebannt“, indem wir rechtzeitig einen Erstschlag landeten; jetzt „gibt es Gott sei Dank niemanden mehr, mit dem wir reden können“. Auch der Historiker Benny Morris bestätigte, dass die PLO sich an den Waffenstillstand gehalten hatte, und erklärte, die Ursache für die „Unvermeidlichkeit des Krieges“ sei die „PLO als politische Gefahr für Israel und dessen Kontrolle über die besetzten Gebiete“ gewesen. Auch andere haben diese unstrittigen Tatsachen offen anerkannt.

In einem Kommentar zur jüngsten Gazainvasion Israels auf der ersten Seite der New York Times erläutert deren Korrespondent Steven Lee Meyers, der Angriff habe „in gewisser Weise […] Ähnlichkeit mit dem gewagten Spiel, das Israel 1982 im Libanon spielte und verlor, [als] es dort einmarschierte, um die Bedrohung durch die wachsende Macht Yassir Arafats zu beseitigen“. Das ist richtig, wenn auch nicht ganz so, wie Meyers es meint. 1982 wie 2008 ging es für Israel darum, die Gefahr einer politischen Lösung zu eliminieren.

Damals setzten die Propagandisten Israels darauf, dass die westlichen Medien und Intellektuellen das Märchen schlucken würden, Israel reagiere ja nur auf die auf Galiläa einprasselnden Raketen und damit auf „unannehmbare Terrorakte“. Und ihre Hoffnung wurde nicht enttäuscht.

Vereinbarungen und Expansion

Es geht nicht darum, dass Israel keinen Frieden will: Jeder will Frieden, immer, sogar Hitler. Die Frage ist nur, unter welchen Bedingungen. Der zionistischen Bewegung war von Anfang an klar, dass die beste Strategie zur Erreichung ihrer Ziele darin bestehen würde, politische Abkommen zu blockieren und unterdessen unauffällig vor Ort Fakten zu schaffen. Selbst Vereinbarungen wie die von 1947, denen sie gelegentlich zustimmte, wurden von der zionistischen Führung als zeitweilige Schritte zur weiteren Expansion betrachtet. Die Libanoninvasion von 1982 war ein dramatisches Beispiel für die verzweifelte Angst vor der Gefahr diplomatischer Lösungen. Danach unterstützte Israel zunächst einmal die Hamas, um der weltlich orientierten PLO und ihren beunruhigenden Friedensinitiativen das Wasser abzugraben. Ein weiterer erinnernswerter Fall sind die Provokationen Israels gegen Syrien vor dem Krieg von 1967, die darauf angelegt waren, eine syrische Reaktion auszulösen, die als Vorwand zur Gewaltanwendung und zur Aneignung von noch mehr Land verwendet werden konnte. Laut des damaligen israelischen Verteidigungsministers Moshe Dayan gingen mindestens 80 % der damaligen Grenzzwischenfälle auf diese Provokationsstrategie zurück.

All das hat eine sehr lange Tradition. So beschreibt die offizielle Geschichte der vorstaatlichen jüdischen Militärtruppe Haganah die Ermordung des religiösen jüdischen Dichters Jacob de Haan 1924. Er war beschuldigt worden, sich mit der traditionellen jüdischen Gemeinde (dem „Alten Yishuv“) und dem Arabischen Hochkomitee gegen die neuen jüdischen Einwanderer und deren Siedlungspläne verschworen zu haben. Und seitdem hat es etliche weitere Beispiele gegeben.

Dieses Bestreben nach einem Hinauszögern von politischer Anpassung folgte natürlich, genau wie Begleitlügen, es gebe „keinen Friedenspartner“, einer untadeligen Logik. Wie anders sollte man sich Land unterwerfen, in welchem man unerwünscht ist?

Wenn Israel die Expansion über die eigene Sicherheit stellt, so geht das auf dieselbe Motivation zurück. Die israelische Verletzung des Waffenstillstandes mit der Hamas vom 4. November ist nur eines von vielen jüngeren Beispielen.

Einer Chronologie von Amnesty International zufolge hatte der Waffenstillstand vom Juni 2008 „bei der Lebensqualität in Sderot und anderen Dörfern in der Grenzregion zum Gazastreifen, in denen die Bewohner vor dem Waffenstillstand in ständiger Angst vor dem nächsten palästinensischen Raketenangriff lebten, zu enormen Verbesserungen geführt. Aber im benachbarten Gazastreifen bleibt die israelische Blockade dennoch in Kraft, und die Bevölkerung dort hat bisher vom Waffenstillstand kaum profitiert.“ Doch offensichtlich wurde der Sicherheitsgewinn für die in der Nähe des Gazastreifens gelegenen Dörfer durch die Notwendigkeit aufgewogen, diplomatische Schritte, die Barrieren gegen die Expansion im Westjordanland errichten könnten, zu durchkreuzen und jeden verbleibenden Widerstand in Palästina niederzuschlagen.

Diese Präferenz von Expansion gegenüber der Sicherheit seiner Bürger wurde besonders klar, als Israel, mit Unterstützung von US-Außenminister Kissinger, 1971, die schwerwiegende Entscheidung traf, das vom ägyptischen Präsidenten Sadat unterbreitete Angebot eines umfassenden Friedensvertrages, der den Palästinensern gar nichts geboten hätte, zurückzuweisen – ein Abkommen, das die USA und Israel dann acht Jahre später in Camp David dennoch annehmen mussten, nachdem ein weiterer Krieg Israel, 1973, an den Rand der finalen Katastrophe gebracht hatte. Ein Friedensvertrag mit Ägypten hätte jeder wesentlichen Bedrohung der Sicherheit Israels ein Ende gemacht, aber die Bedingung dafür war ein quid pro quo, das Israel partout nicht akzeptieren wollte, da es dafür seine umfangreichen Siedlungsprogramme im nordöstlichen Sinai hätte aufgeben müssen. Damals wie heute war Sicherheit weniger wichtig als Expansion. Überzeugendes Beweismaterial für diesen Schluss findet sich in der exzellenten Studie über die Sicherheits- und Außenpolitik Israels von Zeev Maoz, Defending the Holy Land.

Sicherheit wäre für Israel erreichbar

Heute wären Sicherheit, Normalisierung der Beziehungen zu den arabischen Nachbarstaaten und Integration in die Region für Israel erreichbar. Stattdessen zieht Israel - für alle sichtbar - illegale Ausdehnungen, Konflikte und die ständige Anwendung von Gewalt vor, was nicht nur verbrecherisch, mörderisch und destruktiv ist, sondern auf lange Sicht auch seine eigene Sicherheit unterminiert. So schreibt der US-Militär- und Nahostspezialist Andrew Cordesman, dass Israel zwar sicherlich den wehrlosen Gazastreifen zermalmen könne, dass aber andererseits „weder Israel noch die USA von einem Krieg profitieren können, der bei einer der klügsten und gemäßigtsten Stimmen der arabischen Welt, dem saudischen Prinzen Turki Al-Faisal, [eine bittere] Reaktion, wie seine Erklärung vom 6. Januar, provozierte, nach der ‚die Bush-Administration [Präsident Obama] ein widerliches Erbe und eine unhaltbare Positionierung zu den Massakern und dem Blutvergießen an unschuldigen Menschen im Gazastreifen hinterlassen hat … Genug ist genug, heute sind wir alle Palästinenser und bereit, uns in der Nachfolge derer, die in Gaza gestorben sind, für Gott und Palästina zu opfern“.

Eine der weisesten Stimmen Israels, Uri Avnery, beschreibt die Lage nach einem militärischen Sieg Israels folgendermaßen: „Was ins Bewusstsein der Welt eingebrannt sein wird, wird das Bild Israels als eines blutbefleckten Monstrums sein, das jederzeit zu Kriegsverbrechen bereit ist und sich an keinerlei moralische Beschränkungen hält. Das wird ernste Konsequenzen für unsere langfristige Zukunft, unseren Stand in der Welt und unsere Aussichten auf Frieden und Sicherheit haben. Letzten Endes ist dieser Krieg auch ein Verbrechen gegen uns selbst, ein Verbrechen gegen den Staat Israel.“

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Avnery damit Recht hat. Israel verwandelt sich sehenden Auges in das vielleicht meistgehasste Land der Welt und verliert allmählich auch die Unterstützung der Bevölkerung im Westen, darunter auch die der jüngeren amerikanischen Juden, die seine unablässigen, schockierenden Verbrechen wohl kaum noch lange hinnehmen werden. Vor einigen Jahrzehnten schrieb ich, diejenigen, die sich gern als „Unterstützer Israels“ bezeichneten, seien in Wirklichkeit Unterstützer der moralischen Erosion und wahrscheinlich am Ende auch der physischen Zerstörung Israels. Leider wird dieses Urteil von Jahr zu Jahr plausibler.

Und während die Jahre verstreichen, sehen wir schweigend einem seltenen geschichtlichen Ereignis zu, nämlich dem, was der verstorbene israelische Soziologe Baruch Kimmerling „Politizid“ genannt hat, der Ermordung einer Nation – einer Nation, die wir zu töten helfen.

Anmerkungen
  1. „Die Herren des Landes: Israel und die Siedlerbewegung seit 1967“ von Idith Zertal und Akiva Eldar, DVA Sachbuch, 2007
  2. „[The Palestinians] are beast walking on two legs“, sagte Premierminister Menachem Begin 1982 in einer Rede vor der Knesset, Noam Chomsky: Faithful Triangle, Seite 446; Amnon Kapeliouk, "Begin and the Beasts". New Statesman, 25. Juni 1982.
    Diese Anspielung bezieht sich auf eine Aussage Menachem Begins vor der Knesset, die in Israel und Europa seither viel zitiert wurde: Er habe die Palästinenser als „Tiere, die auf zwei Beinen gehen“, beschrieben, so wurde sie interpretiert. Die Regierung von Israel protestierte, dies sei eine Fehlinterpretation. Begins "Beschreibung bezieht sich auf jeden, der moralisch so tief sinkt, dass er jüdische Kinder tötet oder androht, dies zu tun, er beweist damit, dass er nichts mit der Menschheit gemein hat".
    Diese Klarstellung führte zu einigen bitteren Antworten und zu offensichtlichen Fragen.
  3. Generalstabschef der IDF Rapahel Eitan: „When we have settled the land, all the Arabs will be able to do about it will be to scurry around like drugged roaches in a bottle.” Gad Becker, Yediot Ahronot, April 13, 1983; David K. Shipler, New York Times, April 14, 20, 1983.
    „Wenn wir mit dem Land fertig sind, werden alle Araber in dieser Hinsicht nur noch in der Lage sein, wie Schaben auf Drogen in einer Flasche herumzuwuseln“. Noam Chomsky: The Faithful Triangle Seite 239.
  4. „The Palestinian would be crushed like grashoppers... heads smashed against the boulders and walls“. sagte der israelische Premierminister Yitzhak Shamir in einer Ansprache vor jüdischen Siedlern am 31. März 1988. „Die Palästinenser würden wie Grashüpfer zerschmettert... die Köpfe gegen die großen (Fels-)Steine und Mauern geschmettert“. New York Times vom 3. April 1988.
  5. Psalm 137 7-9: "Gedenke, Herr den Edomitern, des Unglückstages Jerusalems!... Tochter Babel, der Verwüstung verfallen, heil dem, der dir vergilt, was du an uns verübt! 9 Heil dem, der deine Kinder packt und am Felsen zerschmettert"
  6. Als Sephardim bezeichnen sich die Juden und ihre Nachfahren, die bis zu ihrer Vertreibung 1492 und 1531 in Portugal und Spanien (Andalusien) lebten und die sich nach ihrer Flucht zum größten Teil im Osmanischen Reich und in Nordwestafrika (Maghreb) ansiedelten. Wikipedia.
  7. Olmert: „For thousands of years, we Jews have been nourished and sustained by a yearning for our historic land. I, like many others, was raised with a deep conviction that the day would never come when we would have to relinquish parts of the land of our forefathers. I believed and to this day still believe in our people's eternal and historic right to this entire land.“ Washington Post vom 24. Mai 2006.

* Anmerkung der Übersetzerin
'Löscht alle Wilden aus!' ('Exterminate all the Brutes!') ist ein Schlüsselsatz aus Joseph Conrads Afrikakolonialroman 'Heart of the Darkness' ('Herz der Finsternis') von 1899. 1992 erschien von Sven Lindqvist ein bemerkenswertes Sachbuch, das sich mit den verheerenden Folgen der Kolonialzeit des 19. Jahrhunderts für Afrika befasst und mit der Frage, inwieweit dieser Rassismus zu den Genoziden in Europa im 20. Jahrhundert beigetragen hat.
Originaltitel: des Buches: 'Exterminate all the Brutes!' Das Buch von Sven Linqvist ist (unter verschiedenen Titeln) auch auf Deutsch erhältlich.

** Noam Chomsky ist Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technologie (MIT) und hat in den 60er Jahren die Vorstellungen über Sprache und Denken revolutioniert. Zugleich ist er einer der prominentesten und schärfsten Kritiker der gegenwärtigen Weltordnung und des US-Imperialismus.

Orginalartikel: "Exterminate all the Brutes": Gaza 2009
Übersetzt von: Andrea Noll

Die deutsche Übersetzung erschien in drei Teilen in ZNet:
http://zmag.de/artikel/gaza-2009-1
http://zmag.de/artikel/gaza-2009-2
http://zmag.de/artikel/gaza-2009-3


Die Zwischenüberschriften stammen von uns (AG Friedensforschung


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