Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Deutsche Unterstützung für Israel wackelt leicht

Bundestagsfraktionen einstimmig gegen Blockade von Gaza

Von Christian Klemm *

Der Angriff auf eine Solidaritätsflotte nach Gaza im März hatte gestern (2. Juli) ein parlamentarisches Nachspiel im Bundestag: Einstimmig wird Israel aufgefordert, die Blockade des dicht besiedelten Küstenstreifens zu beenden.

Über alle Fraktionsgrenzen hat der Bundestag am Donnerstagabend (1. Juli) ein Ende der israelischen Blockade des Gazastreifen gefordert. In einem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, FDP, Grünen und SPD heißt es, dass die Blockade nicht den »politischen und Sicherheitsinteressen Israels« diene. Die Abriegelung sei für das Land »kontraproduktiv«, da die radikalislamische Organisation Hamas durch sie nicht geschwächt werde, sondern von ihr »politisch und wirtschaftlich« profitiere. Der Antrag fordert außerdem das Ende des Raketenbeschusses aus Gaza auf israelisches Territorium. Auch der Waffenschmuggel nach Gaza müsse unterbunden werden.

Die Initiative des Bundestags geht auf einen Zwischenfall vor der Küste Israels zurück. Am 31. Mai stürmten israelische Elitesoldaten im Morgengrauen eine internationale Solidaritätsflotte, die Hilfsgüter in den seit drei Jahren abgeriegelten Landstrich bringen wollte. Dabei kamen neun Menschen ums Leben. Mehrere Deutsche waren an Bord des türkischen Schiffes »Mavi Marmara«, darunter die Bundestagsabgeordneten der Linkspartei Inge Höger und Annette Groth. International löste das Vorgehen der israelischen Armee empörte Proteste aus. Der Antrag von Union, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen fordert eine umfassende Aufklärung der Vorfälle.

Die Linksfraktion brachte einen eigenen Antrag ins Parlament ein. Der Grund: Die Unionsfraktion verweigert es, mit der LINKEN gemeinsame Anträge zu formulieren. Dennoch erhielt der interfraktionelle Antrag auch die Zustimmung der Linksfraktion, auch wenn inhaltliche Kritik an ihm geäußert wird, wie ND aus Fraktionskreisen erfuhr. So werde unterschwellig versucht, die Solidaritätsflottille zu delegitimieren.

Neben einer »sofortigen Beendigung« der Blockade fordert die Linkspartei eine »geregelte, freie Ein- und Ausreise« sowie einen sicheren Transport von Waren und Gütern nach Gaza. Im Gegensatz zu den anderen Parteien plädiert die LINKE für eine »Wiedergutmachung« gegenüber den Opfern des Angriffs von Israel.

Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi betonte aus dem gegebenen Anlass die Seltenheit einstimmiger Beschlüsse im Bundestag. »Die israelische Regierung kann künftig nicht mehr erwarten, aus Deutschland unkritisch begleitet zu werden«, so Gysi gestern (2. Juli) außerdem. Die außenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Kerstin Müller, nannte die fraktionsübergreifende Forderung nach Aufhebung der Blockade gegenüber ND einen »großen Schritt«. Es sei wichtig, so Müller, dass »die Fraktionen sich nicht mit der israelischen Untersuchungskommission zufrieden geben, sondern weiterhin an einer internationalen Untersuchung festhalten.«

* Aus: Neues Deutschland, 3. Juli 2010

Dokumentiert:

Resolution des Zentralrats der Juden zur Gaza-Solidaritätsflotte, der geplanten interfraktionellen Anträge der Bundestagsfraktionen und der aktuellen Entwicklung im Nahen Osten



Die aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten erfüllen uns mit großer Sorge. Der in Teilen der Öffentlichkeit und den Medien teilweise erkennbare Versuch, Israel alleine für die neuerliche Eskalation der Lage im Nahen Osten und die schwierige Situation nicht nur der palästinensischen Bevölkerung im Gaza-Streifen verantwortlich zu machen, wird den Realitäten nicht gerecht und darf nicht ohne Widerspruch hingenommen werden.

Die Ereignisse um die "Gaza-Solidaritätsflotte" und vor allem die tragischen Opfer des Militäreinsatzes verlangen eine rückhaltlose und umfassende Aufklärung der Ereignisse. Zu viele wichtige Details liegen noch im Dunkeln, und die Wahrheit wird ans Tageslicht kommen. Erst dann können Urteile ausgesprochen und legitime Forderungen für die Zukunft formuliert werden.

Der geplante interfraktionelle Antrag der Parteien CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie der Einzelantrag der Partei "Die Linke" basieren auf einer unvollständigen Informationslage und einem Gemisch von Halbwahrheiten und Vorurteilen in der Öffentlichkeit. Sie sind eine einseitige Parteinahme gegen Israel. Dieses Verhalten ist beispiellos in der Geschichte der Freundschaft der Bundesrepublik Deutschland und Israel und verschärft den Konflikt im Nahen Osten, statt eine Friedensperspektive zu ermöglichen.

Der Forderung nach einer sofortigen Aufhebung der Gaza-Blockade wird keine umsetzbare Lösung zur Verhinderung des Waffenschmuggels über die Landes- und Seegrenzen hinweg gegenübergestellt. Auch ist eine umfassende Strategie zur Gewährleistung der legitimen Sicherheitsinteressen des Staates Israel einerseits und der Verbesserung der Lebenssituation der Palästinenser in Gaza andererseits sowie der wirksamen Bekämpfung der internationalen Terrororganisation Hamas nicht erkennbar.

Entgegen anderslautender Erklärungen ist und bleibt die Hamas kein Partner für den Frieden. Mit den anstehenden Resolutionen im Deutschen Bundestag werden keine Handlungsalternativen aufgezeigt oder praktische Verantwortung für die Sicherheit in der Region übernommen. Damit widerspricht der Deutsche Bundestag dem strategischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland nach einem dauerhaften Frieden und Stabilität im Nahen Osten. Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland,
Berlin, den 27.06.2010;

Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschland,
Frankfurt a. Main, den 30.06.2010

Quelle: Website des Zentralrats der Juden; www.zentralratdjuden.de




Zurück zur Gaza-Seite

Zur Israel-Seite

Zur Bundestags-Seite

Zurück zur Homepage