Gaza-Blockade soll durchlässiger werden
Zustimmung und Skepsis nach dem Beschluss des israelischen Sicherheitskabinetts
Es ist nicht das geforderte Ende der Blockade, aber ein Schritt in diese Richtung. Zweieinhalb Wochen nach der weltweit verurteilten Erstürmung eines Hilfskonvois für die Menschen im Gaza-Streifen hat Israel eine Lockerung der Sanktionen beschlossen.
Der internationale Druck zeigt Wirkung: Israel will die vor drei Jahren verhängte Blockade des Gaza-Streifens erheblich lockern. Das Sicherheitskabinett um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu beschloss am Donnerstag, dass mehr Güter auf dem Landweg zu den 1,5 Millionen Palästinensern in den Gaza-Streifen gebracht werden dürfen. Die Seeblockade des Streifens soll jedoch nach Rundfunkangaben aufrechterhalten werden.
Das Büro Netanjahus teilte mit, es sei entschieden worden, »das System zu liberalisieren, nach dem zivile Güter nach Gaza gebracht werden dürfen«. Zudem sollte die Einfuhr von mehr Materialien für »zivile Projekte« erlaubt werden. Israel werde gleichzeitig bestehende Sicherheitsmaßnahmen fortsetzen, um den Schmuggel von Waffen und Kampfmitteln in das Palästinensergebiet zu verhindern. In den kommenden Tagen wolle das Sicherheitskabinett über weitere Schritte zur Umsetzung der neuen Politik entscheiden, hieß es in der Mitteilung. Israel erwarte von der internationalen Gemeinschaft, sich für eine umgehende Freilassung des seit vier Jahren im Gaza-Streifen gefangen gehaltenen Soldaten Gilad Schalit einzusetzen.
UN-Hilfswerk ist Blockade-Lockerung in Gaza zu wenig
Israel will die Blockade des Gaza-Streifens lockern. Das für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten zuständige UN-Hilfswerk UNRWA äußerste sich zurückhaltend. Der UNRWA- Sprecher in Gaza, Chris Gunness, sagte der «Neuen Osnabrücker Zeitung»: «Nach so vielen ähnlichen Ankündigungen aus Israel, denen keine Taten folgten, haben wir wenig Anlass zu Optimismus.» Was die Palästinenser wirklich brauchten, sei das Ende der Abriegelung.
dpa, 17. Juni 2010
Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat erklärte am Donnerstag, die Entscheidung zur Lockerung der Landblockade sei »nicht ausreichend«. Israel wolle nur den Anschein von Erleichterungen erwecken. »In der Realität geht die Blockade des Gaza-Streifens weiter, die auf illegale Weise gegen die Palästinenser verhängt wurde.« Die internationale Gemeinschaft müsse sich für eine vollständige Aufhebung der Blockade stark machen. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton begrüßte hingegen die angekündigte Lockerung der Gaza-Blockade und verlangte mehr Details in den nächsten Tagen. »Ich betrachte mit großem Interesse, was das israelische Kabinett sagt«, erklärte Ashton am Rande des EU-Gipfels am Donnerstag in Brüssel. »Natürlich sind die Details entscheidend.« Sie forderte die »schnelle und effektive« Öffnung der Grenzübergänge nach Gaza. Außenminister Guido Westerwelle forderte von Israel die vollständige Aufhebung der Blockade. Die angekündigte Lockerung könne »ausdrücklich nur ein erster Schritt sein«, sagte Westerwelle in Berlin. »Unser Ziel bleibt, dass es ein vollständiges Ende der Abriegelung des Gaza-Streifens gibt und geben muss.«
Auch DIE LINKE begrüßte die Ankündigung Israels. »Der Beschluss des israelischen Sicherheitskabinetts, die Einfuhr von Gütern für so genannte nicht-militärische Projekte ›unter internationaler Aufsicht‹ zu erleichtern, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung«, erklärte Wolfgang Gehrcke, außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. »Dass Israel sich weiterhin die Entscheidung darüber vorbehält, was geliefert werden darf und was nicht, ist und bleibt jedoch inakzeptabel.«
Gehrcke nannte die Gaza-Blockade »inhuman und völkerrechtswidrig«. Deshalb fordere DIE LINKE die 'sofortige Beendigung dieser Maßnahmen »und damit eine geregelte, freie Ein- und Ausreise sowie den Transport von Waren und Gütern«. Der Sprecher kündigte an, seine Partei werden einen entsprechenden Antrag in den Bundestag einbringen.
Unterdessen traf der US-Nahostvermittler George Mitchell am Donnerstag mit dem israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak zusammen. Bei dem Treffen ging es um Wege, den Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern voranzubringen. Minister Barak sagte nach Angaben des israelischen Rundfunks, er hoffe auf die schnelle Aufnahme von direkten Verhandlungen.
* Aus: Neues Deutschland, 18. Juni 2010
Die Bresche im Zaun
Von Roland Etzel **
Nein, das ist nicht das Ende der Blockade des Gaza-Streifens, höchstens eine Bresche im Zaun. Israel Kabinett bezeichnet seinen gestrigen Beschluss selbst als Liberalisierung. Doch allein der gönnerhafte Ton der Mitteilung legt nahe, dass ein tatsächliches Umdenken des Rechtsaußenkabinetts Netanjahu/Lieberman nicht stattgefunden hat. Es sollen jetzt, wie Netanjahu sich ausdrückte, »auf dem Landwege mehr Materialien für zivile Projekte« nach Gaza dürfen. Was genau, darüber will man weiter ganz allein entscheiden. Das würde bedeuten: Die totale Seeblockade bleibt; es gibt weiter keinerlei internationale Kontrollmöglichkeit des israelischen Grenzregimes; die Einreise von Diplomaten, Hilfsorganisationen, Journalisten hängt weiter vom Gutdünken der Behörden in Tel Aviv ab, ganz zu schweigen von Reisewünschen der Palästinenser.
Dennoch – die Tatsache, dass Netanjahu sich zu einem Zugeständnis genötigt sah, zeigt, dass die internationalen Proteste nicht wirkungslos blieben: Sie haben in den westlichen Hauptstädten dazu geführt, dem Unbehagen über das Gebaren von Netanjahu und Co. etwas stärkeren Ausdruck zu verleihen als bisher. Mehr nicht.
EU-»Außenministerin« Ashton sagte gestern in frappierender Unbedarftheit, sie habe die Blockade sowieso für falsch gehalten, weil sie wegen der Schmugglertunnel uneffektiv gewesen sei. Den Palästinensern und ihren internationalen Unterstützern wird dies Bestätigung sein, dass sie selbst beim Ringen um humanitäre Mindeststandards für die 1,5 Millionen Bewohner von Gaza von ihren Regierungen keinen Deut mehr zu gewärtigen haben, als sie durch eigene Aktion erzwingen.
** Aus: Neues Deutschland, 18. Juni 2010
Ankara macht Druck auf Israel
USA zunehmend unzufrieden mit Türkei
Von Jan Keetman, Istanbul ***
Nachdem bei der Erstürmung eines türkischen Schiffes israelische Soldaten neun türkische Aktivisten erschossen haben, droht die Türkei nun mit dem endgültigen Abzug ihres Botschafters aus Tel Aviv.
Doch während Ankara Jerusalem Druck macht, hat sich Washington entschlossen, ihre einst engen Beziehungen zur Regierung Erdogan zu überprüfen und dies auch spüren zu lassen. Die Situation könnte sich indessen weiter zuspitzen, wenn demnächst neue Flottillen Iran und der Türkei vor Gaza eintreffen. Wie ein normalerweise zuverlässiger Kommentator der Zeitung »Milliyet« aus diplomatischen Kreisen berichtete, stellt die Türkei wegen des international kritisierten Vorgehens der israelischen Marine gegen einen hauptsächlich von einer türkischen Hilfsorganisation organisierten Konvoi weiter vier Forderungen an Israel. Israel, soll sich entschuldigen, Entschädigung zahlen, eine internationale Untersuchungskommission zulassen und die beschlagnahmten Schiffe sofort zurückgeben.
Für den Fall, dass keiner dieser Punkte erfüllt wird, droht Ankara damit, keinen Botschafter mehr nach Tel Aviv zu senden, sondern nur noch einen Geschäftsführer. Bei näherem Hinsehen enthält die türkische Drohung aber eine Menge Manövrierfreiheit bis hin zu einem versteckten Friedensangebot. Laut »Milliyet« hat sich die Türkei auf den Abzug ihres Botschafters nur für den Fall festgelegt, dass keine der Forderungen erfüllt wird. Israel dürfte aber zumindest die Schiffe irgendwann wieder herausgeben, so dass die Türkei nicht in Zugzwang kommt.
Die Spannungen mit Israel und Premier Erdogans Flirt mit Iran irritieren zunehmend auch die USA. Nachdem Präsident Barack Obama anfangs in guten Beziehungen zu Erdogan ein Mittel sah, um das Verhältnis der USA zur islamischen Welt zu verbessern, beginnt Washington nun mit Druck. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war sicherlich die Stimme der Türkei gegen die Iran-Sanktionen im Weltsicherheitsrat.
Ein in Ankara geplantes Antiterrortreffen, an dem auch der US-Botschafter teilnehmen sollte, wurde auf US-Wunsch auf unbestimmte Zeit verschoben. US-Außenministerin Hillary Clinton empfing den Vorsitzenden des türkischen Unternehmerverbandes TüSIAD, Ümit Boyner. Im TüSIAD ist das säkulare Unternehmertum zusammengeschlossen, das gelegentlich die Regierung kritisiert. Die Absage des Antiterrortreffens zu einem Zeitpunkt, zu dem die kurdische PKK verstärkt türkische Soldaten angreift und die demonstrative Bevorzugung eines säkularen Unternehmers sind erste Signale dafür, dass Washington nicht mehr gewillt ist, Erdogans Alleingänge einfach hinzunehmen.
*** Aus: Neues Deutschland, 18. Juni 2010
Dokumentiert
Barak warnt libanesische Regierung vor neuer Gaza-Flottille
Israels Verteidigungsminister Ehud Barak hat sich am Donnerstag (17. Juni) zu der libanesischen Flottille geäußert, die in den nächsten Tagen die Seeblockade des Gaza-Streifens durchbrechen will.
„Die Medien berichten von der Absicht, zwei Schiffe aus dem Libanon nach Israel zu schicken, und ich sage der libanesischen Regierung ganz klar: Sie sind verantwortlich für Schiffe, die libanesische Häfen mit der eindeutigen und bekannten Intention verlassen, die Seeblockade Gazas zu durchbrechen.“
„Die Regierung des Libanon, von wo aus solche Schiffe in See stechen, muss verhindern, dass Kriegsmaterial, Waffen, Munition, Sprengstoff und ähnliches, was später im Fall, dass die Schiffe sich weigern, in Ashdod zu ankern, zu gewaltsamen und gefährlichen Konfrontationen führen kann, nicht auf die Schiffe gelangt“, so Barak, der gleichzeitig betonte, dass Israel aus Sicherheitsgründen nicht beabsichtige, die Seeblockade des Gaza-Streifens aufzuheben.
(Israelische Verteidigungsstreitkräfte, 17.06.10)
Quelle: Newsletter der israelischen Botschaft in Berlin, 18. Juni 2010
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