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Ein Megawatt für Gambia

Gebrauchte Windenergieanlagen aus Europa machen in Afrika eine zweite Karriere

Von Dierk Jensen *

In Europa ausrangiert, in Afrika zum zweiten Leben erweckt: Mit Windrädern aus zweiter Hand wird in Gambia Strom erzeugt. Ein Fall von praktischer Entwicklungshilfe in einer Weltregion, die sich bisher mit der Windenergie noch sehr schwer tut – und ein Beitrag zum heutigen Weltwindtag, der die Nutzung dieser Energiequelle unterstützen soll.

30 Meter über dem Erdboden, auf der Gondel der ersten Windenergieanlage Westafrikas, ist die Welt noch in Ordnung. Eine frische Brise weht über das Dorf Batokunku in Gambia hinweg. Die Gischt der Atlantikwellen zieht sich wie ein weißer Strich den menschenleeren Sandstrand entlang. Fischer rudern mit ihren Pirogen parallel zur Küstenlinie. Sie werfen ihre Netze aus, um Barrakudas oder Red Snappers zu fangen. Die Gegend ist dicht besiedelt; die lichte Baumlandschaft wirkt von oben grüner, als sie am Boden zu Beginn der Trockenzeit tatsächlich ist. Die meisten Felder liegen brach nach der Ernte der Erdnüsse – Gambias wichtigste Ackerfrucht und bedeutendstes Exportgut. Von der Gondel der 150-Kilowatt-Anlage aus wirkt die Moschee, vor einigen Jahren von ausländischen Spendern erbaut, für das kleine Batokunku merkwürdig überdimensioniert.

Von Nystedt nach Batokunku

Reggaemusik brummelt aus dem Nissan-Pickup der Firma Global Energy am Fuß der Windrades. Die kleine Firma mit dem großen Namen hält die vor zwei Jahren aufgebaute 150-Kilowatt-Turbine des dänischen Windkraftpioniers Bonus, heute Siemens, instand. Eine echte Herausforderung, weil die Wartung solcher Anlagen Neuland ist und weil die Windmühle in Batokunku ein langes Vorleben in Dänemark hat. Sie erntete im dänischen Nystedt viele Jahre europäischen Wind, bevor sie in einem Container nach Afrika kam, wo ihr ein zweites Leben eingehaucht wurde.

»Wir mögen den Job«, sagt der holländische Chef Milko J. Berben, der seit über zehn Jahren in Gambia lebt und arbeitet. Während seine Monteure früher hauptsächlich Dieselmotoren fit hielten oder Schiffsmaschinen reparierten, beschäftigen sie sich jetzt mehr und mehr mit der Windenergie. Denn nach der ersten Anlage werden in den nächsten Monaten im Küstenort Tanji, ein paar Kilometer nördlich von Batokunku, zwei gebrauchte Anlagen aus Deutschland mit je 450 Kilowatt Leistung aufgestellt: ein Job, den Global Energy gern übernimmt. Mit diesen beiden Windrädern überschreitet Gambia die Ein-Megawatt-Marke installierter Windenergie-Leistung, befreit sich wieder ein Stück aus der Abhängigkeit von teuren Erdölimporten – und setzt obendrein ein wichtiges Windzeichen für die ganze Region.

Ausgangspunkt für diese bemerkenswerte Entwicklung im 1,5 Millionen Einwohner zählenden Gambia ist das Engagement eines Einzelnen. »Peter hat viel für uns getan«, hebt Ebrima Touray vom Dorfkomitee Batokunku die Bemühungen von Peter Weißferdt hervor. Der 69-jährige Elektroingenieur aus Kiel, der vor einigen Jahren mit seiner Frau Gitta nach Gambia zog und in der deutschen Windenergieszene eine bekannte Größe ist, setzte sich in den Kopf, auch in seiner westafrikanischen Wahlheimat den Wind zu nutzen.

Mit dem Bau der ersten Secondhand-Anlage Anfang 2009 wurde aus dieser Idee Wirklichkeit – nach beschwerlichen Jahren der Planung und nicht enden wollenden Diskussionen mit dem staatlichen Energieversorger Nawec, der die Windenergie anfänglich ablehnte. Erst eine vom gambischen Parlament eingesetzte Regulierungsbehörde brachte die Wende. Sie durchbrach die frühere Blockadehaltung des Staatskonzerns und zwang ihn, sowohl die Netzeinspeisung des Windstroms als auch den Betrieb eines lokalen Netzes zuzulassen.

»Die Nawec ist eines dieser typischen staatlichen Unternehmen in Afrika, in denen noch viele Bürokraten alter Schule arbeiten, die einfach Angst vor neuen Entwicklungen haben«, urteilt Peter Weißferdt über den bisherigen Monopolisten für Energie und öffentliche Wasserversorgung. Dabei treibt der Schlendrian im Staatsunternehmen enorme Blüten. So sind die Stromverluste im Netz der Nawec ungeheuerlich hoch. Experten gehen davon aus, dass rund 40 Prozent der einspeisten Energie schon unterwegs verloren gehen. Größtenteils durch Leitungsschwächen, aber auch durch Diebstahl, bei dem Stromzähler einfach überbrückt werden. Hinzu kommt, dass erst jeder zweite Einwohner im städtischen Umfeld Gambias ans Stromnetz angeschlossen ist. Auf dem Land ist es sogar nur jeder Vierte.

Um die Geschicke im eigenen Dorf selbst in die Hand zu nehmen, hat Batokunku auf Initiative von Peter Weißferdt im Zuge der Errichtung des Windrades ein eigenes Netz von Strom- und Wasserleitungen verlegt. So werden nun sowohl Strom- und Wasserleitungen als auch die Windenergieanlage von der Kommune und der Nichtregierungsorganisation Dorfelektrik Batokunku betrieben. Ein fünfköpfiges Gremium wacht über die Stromerzeugung sowie über das dörfliche Netz und fällt alle Entscheidungen. »Dadurch haben wir Licht in unsere Häuser bekommen, konnten Kühlschränke kaufen, ein Kino eröffnen. Gewerbetreibende haben Nähmaschinen angeschafft, kleine elektrische Ölpressen laufen. Es ist ein vollkommen anderes Leben als vorher«, sagt Touray vom Dorfkomitee. »Wir hoffen deshalb, dass wir hier auch bald eine Schule haben.« Das nötige Geld soll das Windrad abwerfen: Bei einer Laufzeit von fünf Jahren hat sich der staatliche Energieversorger verpflichtet, für jede erzeugte Kilowattstunde 80 Prozent des Endverbraucherpreises zu zahlen: das sind derzeit umgerechnet 18 Eurocent. »Da klingelt es in unserer Dorfkasse«, freut sich Peter Weißferdt.

Tüfteln bis zur Einweihungsparty

Nicht ganz so gut werden die Tarife für die beiden Anlagen sein, die demnächst hinzukommen. Die künftige Betreiberfirma Gamwind Ltd. erhält nämlich laut ihrem mit dem Versorger Nawec ausgehandelten Vertrag während der ersten fünf Jahre umgerechnet nur 14 Cent pro Kilowattstunde. »Das ist zwar nicht das, was wir uns erhofft haben, aber immer noch sehr gut«, sagt Björn Schäfer von der Firma Windstrom Service SH aus Schleswig-Holstein, die an Gamwind Ltd. zu 51 Prozent beteiligt ist. Das mittelständische Unternehmen aus Norddeutschland, unter anderem spezialisiert auf Reparatur und Service älterer Windenergiemodelle, war schon beim Aufbau der gambischen Pilotanlage dabei. Für Schäfer, dessen Einsätze gewöhnlich in der nasskalten Heimat stattfinden, sind die Dienstreisen nach Gambia eine wunderbare Abwechslung. Nicht nur klimatisch, sondern auch emotional. Er ist von der Mentalität der Gambier und der positiven Stimmung im Land sehr angetan – »selbst der Präsident stellt sich hinter die Windenergie«.

Schäfer hält den Einsatz für Secondhand-Rädern in Ländern wie Gambia für sinnvoll. »Was will ich mit einer Hightech-Anlage, die vor Ort keiner warten kann?« ist seine simple Begründung. »Außerdem kann man Ersatzteile für Neuanlagen erst ab einer Windparkgröße von zehn Megawatt sicher akquirieren«. Und so wird er wohl – ähnlich wie beim ersten Projekt vor zwei Jahren – wieder bis spät abends im Schalthäuschen über Steuerungsproblemen der Gebrauchtanlagen brüten. Die Dorfgemeinschaft aber, die Frauen in farbenprächtige Kleider gewandet, wird auf einem Bauernhof schon ausgelassen die kurz bevorstehende Einweihung feiern.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Juni 2011


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