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Strategisches Urteil

Atomkonzern Areva offiziell nicht korrupt. Pariser Gericht straft Kernkraftgegner ab

Von Jörg Tiedjen *

Am vergangenen Freitag hat ein Pariser Gericht den Umweltaktivisten Stéphane Lhomme wegen »übler Nachrede« zu einer Geldstrafe von 1800 Euro verurteilt. Lhomme hatte dem französischen Atomkonzern Areva, an dem der Staat 79 Prozent der Anteile hält, korrupte Praktiken bei seinen Geschäften im Sahelstaat Niger vorgeworfen. Areva hatte auf ein Vielfaches der Summe geklagt, doch trotz der vermeintlich geringen Strafe wirft das Urteil Fragen auf.

Schon am 11. Dezember 2012 hatte Lhomme auf der Internetseite der von ihm gegründeten »Observatoire du Nucléaire« (Beobachtungsstelle Kernenergie) über Geschäfte von Areva im Niger berichtet und diese als »korrupt« bezeichnet, »wenn nicht im rechtlichen, so doch im moralischen Sinn«. Der Aktivist hatte erfahren, daß Areva dem nigrischen Staat damals einen »Zuschuß« von umgerechnet 27 Millionen Euro zukommen lassen wollte. Davon sei aber mehr als die Hälfte bereits verplant gewesen: für ein neues Flugzeug für den nigrischen Präsidenten. Das Amt bekleidet seit 2011 Mahamadou Issoufou, ein früherer leitender Mitarbeiter einer Areva-Tochter und treuer Verbündeter Frankreichs.

Areva bestritt zunächst jegliche Sonderzahlung an Niger und zeigte Lhomme am 19. Dezember 2012 wegen Verleumdung an. Dieser revanchierte sich knapp einen Monat später, indem er das Protokoll einer Areva-Vorstandssitzung veröffentlichte, das seine Darstellung bestätigt. Das Dokument belegt sogar, daß der Betrag als »Entschädigung für die mögliche Verspätung des Projekts Imouraren über Ende 2014 hinaus« gedacht sei. In Imouraren im Norden Nigers wollte Areva bereits 2013 die »größte Uranmine der Welt« eröffnen. Doch der Termin wurde immer weiter aufgeschoben, vorgeblich vor allem aufgrund der Gefahr durch Dschihadisten. Der Einbruch des Atommarkts nach der Katastrophe von Fukushima dürfte allerdings ebenfalls zu der Entscheidung beigetragen haben. Dem Niger, einem der ärmsten Länder der Welt, entgingen dadurch fest eingeplante Einnahmen.

Areva wechselte nach der Veröffentlichung des Vorstandsprotokolls seine Strategie. Der Konzern hielt am Vorwurf der Verleumdung fest, behauptete aber nun, daß sich die Auszahlung an Niger im Rahmen der Gesetze bewegt habe. Das Vorgehen dürfe daher keineswegs als »korrupt« bezeichnet werden. In diesem Punkt stimmte das Gericht dem Unternehmen schließlich zu. Allerdings weist vieles darauf hin, daß bei dem Prozeß nicht allein Recht und Gesetz, sondern auch politische Erwägungen eine Rolle spielten. So war der Verhandlungsbeginn ursprünglich auf Februar 2013 festgesetzt, wurde aber auf Dezember verschoben. Im Januar 2013 hatte in Nigers Nachbarland Mali die französische Militäroperation »Serval« gegen Dschihadisten begonnen. Das Uranfördergebiet in Nordniger, eine der Hauptquellen der französischen Energieversorgung, liegt nur wenige hundert Kilometer entfernt.

Lhomme hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Auch wenn Entwicklungshilfeminister Pascal Canfin gerade in der vergangenen Woche nigrische Beschwerden über Areva »legitim« nannte, spielt die Zerstörung der Lebensgrundlagen in der Uranförderregion in der französischen Öffentlichkeit kaum eine Rolle. Im Niger versuchen Bürgerrechtsgruppen dagegen seit Monaten, Druck auf Präsident Issoufou auszuüben. Sie verlangen, daß dieser wie sein Vorgänger Mamadou Tandja für das Land günstigere Verträge mit Areva aushandelt. Nach wie vor bezieht der Konzern sein Uran zu Sonderkonditionen. Expräsident Tandja hatte sogar mit der chinesischen Konkurrenz gedroht. Areva forderte er auf, Weltmarktpreise zu bezahlen und sich auch sozial und ökologisch verantwortlich zu zeigen. Wenig später wurde Tandja 2010 vom Militär gestürzt.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 11. Februar 2014

** In der nächsten Instanz ist der Beschuldigte vor kurzem freigesprochen worden, weil nachgewiesen werden konnte, dass die Anschuldigungen stimmten. (Danke an unseren Leser Fabian Hanneforth für diesen Hinweis vom 12. Frbruar 2015).


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