Sarkozy - schlimmer als erwartet
Hintergrund. Die politische Rechte in Frankreich hat (noch) einen Präsidenten - einen guten Kandidaten hat sie nicht
Von Hansgeorg Hermann, Paris *
Kaum hatte der Präsident offiziell seine Kandidatur erklärt, war auch der Philosoph wieder zur Stelle. Alain Badiou, unter den intellektuellen Weisen des Landes der einzige ernst zu nehmende Gegner Nicolas Sarkozys, warf - wie schon vor fünf Jahren - ein Buch auf den Markt. Dem kleinen Herrscher im Elysée wird das neue Pamphlet des hageren, groß gewachsenen Spötters wohl noch schwerer auf den Magen schlagen als jenes, das er den Franzosen zur ersten Präsidentenkampagne serviert hatte. Was Badiou seinen Landsleuten - und den europäischen Nachbarn - zur Wahl im Mai 2007 prophezeit hatte, war dies: die große Depression, die immer wieder neu geschürte Furcht vor einem ungewissen Schicksal der Nation und ein politisch-ökonomischer Zynismus, ja Rassismus, der sich mit dem Namen Sarkozy für ihn verband. Der Titel seines Buches, »De quoi Sarkozy est-il le nom« (Was sich hinter dem Namen Sarkozy verbirgt), erklärte vorausschauend das, was nun, fünf Jahre später, Realität ist: Eine entsolidarisierte Gesellschaft, an den Pranger gestellte angeblich faule Arbeitslose, zeitweise streng verfolgte und ins östliche Europa oder nach Afrika entsorgte Minderheiten - alles unter einem entfesselten Regime des großen Geldes.
Lager sortieren sich
Ließ der erste Buchtitel noch den einen oder anderen unbekümmerten, sprich unbedarften Leser oder Wähler auf eine Art Abenteuer hoffen, auf ein nicht unangenehmes Kribbeln, das der Name Sarkozy versprechen könnte, so ist der Titel des neuen Badiou-Buches nicht mehr rätselhaft sondern ganz und gar realistisch. Er enthält in einem Satz die ungeschlachte Wahrheit, die der Philosoph dann auf den folgenden nur 48 Seiten im Detail erläutert. »Sarkozy - pire que prévu! Les autres: Prévoir le pire!« (Sarkozy - schlimmer als erwartet. Die anderen: Mit dem Schlimmsten ist zu rechnen.) Die anderen, das sind Sarkozys Konkurrenten für den ersten Wahlgang am 22. April - François Bayrou, dieser konservative schwatzhafte Liebling der ängstlichen Kleinbürger und Favorit der in der Partei »Modem« sich sammelnden gemäßigten Rechten; die quicklebendige, mit rauchiger Stimme Grobheiten austeilende superblonde Rechtsnationalistin Marine Le Pen mit ihrem »Front National« (FN); schließlich der alte Chiracist und Sarkozy-Hasser Dominique de Villepin, eleganter Freizeitpoet und Traummann der gehobenen Bourgeoisie.
Der eigentliche Widersacher ist natürlich der Sozialdemokrat François Hollande, ihn meint Badiou, wenn er den Leuten rät, sich auf »das Schlimmste« vorzubereiten. Er hält ihn für einen windelweichen Karrieristen, ein Halbschattengewächs aus der berüchtigten Eliteschule ENA (école normale d’administration), für alles andere als einen anständigen Sozialisten also. Hollande, der, wie es heißt, vor dem Spiegel die Geste seines großen Vorbildes François Mitterrand einstudiert hat, will - wie alle anderen auch - »die Republik verändern«, er will zurückgeben, was Sarkozy dem Sozialstaat genommen hat (Renteneintrittsalter, Lehrer, Studienplätze, Forschungsmittel), doch das sind die üblichen Heuler im Kampf um Stimmen. Die Leute wissen, daß sich unter einem Präsidenten Hollande nicht so sehr die Inhalte als vielmehr der Stil ändern würde. Unterstützt würde Hollande wohl, sollte er mit Sarkozy in die Stichwahl am 6. Mai ziehen, von den Ökologen der ehemaligen Richterin Eva Joly, die gegenwärtig alle Erwartungen der grünen Wählerschaft mit der ihr von jeher in allen Lebenslagen eigenen Konsequenz unterbietet: Sie krebst mit zwei bis drei Prozent der Stimmen durch die wöchentlichen Umfragen und ist so chancenlos wie lange kein grüner Politiker mehr in Frankreich.
Besser steht der Mann der eigentlichen Linken da. Jean-Luc Mélenchon führt den Zusammenschluß aus Kommunisten und der von ihm gegründeten »Parti Gauche«, er ist bei sieben Prozent angekommen, Tendenz eher steigend. Daß es ihm für den zweiten Wahlgang reichen könnte, hält er öffentlich zwar kategorisch für »nicht ausgeschlossen«. Seine gepflegte Antipathie für den Kandidaten Hollande wird ihn aber nicht davon abhalten, seinem Lager die Wahl des Sozialdemokraten zu empfehlen - um Sarkozy zu verhindern. Die Linke habe sich in Frankreich am Ende noch immer hinter eben diese Partei der Mitterrands, Jospins und Royals gestellt, wenn es gegen die Rechte zu wählen galt, gegen all die Giscards, Chiracs und Sarkozys ...
Fischzug im dunklen
Der Kampf, den der amtierende Präsident zunächst gewinnen muß, ist der gegen das eigene rechte Lager - gegen den Intimfeind de Villepin und den als eher weiches Ziel empfundenen Bayrou auf dem gemäßigten Flügel. Sowie gegen die als bedeutend gefährlicher eingestuften Rechtspopulisten Marine Le Pens. Um einiges eleganter, aber mit der gleichen Härte tritt die Tochter des Alten, des Front-National-Stammvaters Jean-Marie Le Pen, dem regierenden Establishment mit den alten Parolen gegenüber. In engen schwarzen Jeans schreitet sie auf Zwölf-Zentimeter-Stilettos weite Bühnen ab, bisweilen drohend, frenetisch beklatscht von einem Publikum, in dem die Rentner überwiegen. Im vergangenen Jahr hatte sie den FN in einigen Umfragen schon über die 20 Prozent gehoben, war einmal bis auf einen Punkt an den bei 23 Prozent dümpelnden Präsidenten herangerückt, bevor sie in diesen Tagen auf die eher realistischen 13 bis 15 Prozent zurückfiel. Gleichwohl ist es hauptsächlich sie, die dem weitgefächerten Lager Sarkozys dort Stimmen nimmt, wo es für seine Rechte gilt, den ersten Wahlgang zu überstehen. Bei den Alten, den unzufriedenen Kleinbürgern, den »Neger«-Hassern und jenen Arbeitern, die von den Kommunisten oder von Mélenchon nicht erreicht werden - aus welchen Gründen auch immer.
Sarkozys Strategie war daher von Anfang an klar: Er fischt in den trüben Gewässern des Front National, denn wenn er dem Le-Pen-Clan Stimmen abjagt, darf er, da ist sich der Präsident sicher, in die Stichwahl mit Hollande - der einzige, an dessen Einzug ins Finale bislang niemand zweifelt. Die Drecksarbeit, denn das ist dieser Fischzug im dunklen, läßt Sarkozy freilich andere machen. Vor allem einen Mann, der sich für nichts zu schade ist und alles, aber auch alles für seinen Gönner tut: Claude Guéant, ehemaliger Präfekt, dann Kabinettchef im Elysée und nun, seit einigen Monaten, als Innenminister für alles zuständig, was die äußerste Rechte am meisten umtreibt: Minderheiten, Sicherheit, Polizei, Geheimdienste. Ganz in Sarkozys Sinn und Kalkül nannte die Tageszeitung Libération Guéant schon im vergangenen November »die Stimme Le Pens«.
Keine Rede mehr von der vorher gern unterstützten und akzeptierten »diversité«, der »Verschiedenheit« der Bürger, vereint in einer Nation mit humanistischen Werten. Keine Gesichter mehr wie das der Rachida Dati, Tochter maghrebinischer Eltern und frühere Justizministerin Sarkozys. Oder wie der dunkelhäutigen Rama Yade, längst abtrünnige ehemalige Staatssekretärin, der das Treiben des Gespanns Sarkozy-Guéant immer unerträglicher erscheint. Noch bevor der Präsident seine erneute Kandidatur auf das Präsidentenamt verkündete, ließ er seinen Minister auf die Pauke hauen: Es gebe Zivilisationen, erklärte der seinen mehrheitlich komplett verwirrten Landsleuten wie aus heiterem Himmel, die seien weniger wert als andere, so sei das eben, und das beschäftige einen Mann wie ihn auch noch abends nach Dienstschluß. Besonders in der Krise. Die Universalität der Menschenrechte und der Menschenwürde, Errungenschaften der französischen Revolution, in Frage gestellt? Guéant ist ein Mann, dem das alte deutsche Wort »heischen« gut zu Gesicht steht. Wenn er vor Publikum auftritt, seien es schwer bewaffnete Elitepolizisten oder Hausfrauen in einer Markthalle, legt er den Kopf mit der randlosen Bürokratenbrille schief, und setzt seine Beifall heischende Miene auf. Er wirkt dann harmlos, fast schüchtern, demütig gar - und spricht mit leiser Stimme schlimmste Tabubrüche aus, ganz im Geiste seines Meisters und sicher auch mit diesem abgesprochen.
Ein zarter Wink
Kaum hatte sich der Zorn der Linken über Guéants Reflektionen zu »wertvollen« und »weniger wertvollen« Zivilisationen gelegt, da trat der Chef selbst ins Rampenlicht. Seine Kandidatur ließ er die rechtskonservative Zeitung Le Figaro verkünden, dort arbeiten die treuesten seiner Anhänger aus dem Lager der Journalisten, dort ist Sarkozy nicht »Sarko« sondern der Herr Präsident, dort ist er Staatsmann, und was er sagt, ist fast schon Religion. In einem ganz nach den Wünschen Sarkozys geführten Interview für das Figaro Magazine, der Wochenendbeilage der Zeitung, präsentierte der Präsident dem Volk Endgültiges: »Meine Werte für Frankreich« - und das für die nächsten fünf Jahre, weniger sollte es diesmal nicht sein.
Zur Religion und an die wachsende Gemeinde der Muslime gerichtet: »Frankreich hat christliche Wurzeln, ja sogar jüdisch-christliche, das ist eine historische Tatsache, und es wäre absurd, das zu leugnen« - Wurzeln also, die eben jenen des Kandidaten Sarkozy und dessen Vorfahren aus dem katholischen Ungarn und dem sephardischen Thessaloniki entsprechen. An die Wählerschaft des Front National gerichtet, dessen Kandidatin Le Pen noch immer nicht die 500 Unterschriften französischer Bürgermeister zusammen hat, die erst zur Teilnahme an der »Présidentielle« berechtigen: »Ich stelle fest, daß eine politische Strömung, die bei jeder Wahl mehrere Millionen Bürger auf sich vereinigt, auch bei der Präsidentschaftswahl vertreten sein muß.« Ein zarter, aber deutlicher Wink an seine Leute in den Rathäusern des Landes, der französisch-nationalen Frontfrau endlich über die vom Gesetz aufgestellte Hürde zu helfen. Und zur Beruhigung der strengen Katholiken in der »France profonde«, dem tiefen, bäuerlichen Frankreich: »Legalisierte Euthanasie (etwa Sterbehilfe) würde uns in gefährliche Randzonen führen, sie wäre gegen unsere (politischen) Konzepte und das Gegenteil dessen, was wir unter der Würde des Menschen verstehen.«
Daß der Präsident im Figaro zwei Referenden, zwei Volksabstimmungen ankündigte - eine zu den Rechten der Arbeitslosen (die er selbstverständlich einschränken will) und eine zweite zum Status jener bunten Menge von Einwanderern ohne rechtlich abgesicherte Arbeitserlaubnis, die »sans papiers« - hat ihm bei den liberalen Zeitungen jenseits des Figaro endlich den Schimpfnamen eingebracht, den nicht er selbst, wohl aber Marine Le Pen fürchtet: »Le Reac«, titelte nach des Präsidenten Wertesermon die Libération, »der Reaktionär«. Daß die Strategie nicht ganz ungefährlich ist, verdeutlichte am Tag danach Modem-Führer Bayrou: Das angekündigte Referendum »gegen die Arbeitslosen« - unter denen Sarkozy übrigens regelmäßig und öffentlich Tausende »Sozialbetrüger« entdeckt haben will - sei ein Spiel mit dem Feuer, in das der Präsident nun Benzin gegossen habe. Er halte es für »undenkbar«, daß die Gaullisten des Sozialflügels (des ehemaligen Umweltministers Jean-Louis Barloo) oder die Zentristen des Modem »nicht vom Zug abspringen«. Von Sarkozys Wahlzug, soll das heißen, um sich hinter dem für wählbar gehaltenen Hollande zu verbergen und zu versammeln.
Republikanische Ungleichheit
Daß der Präsident mit großen Erfolgen aufwarten könnte, wird landauf, landab mehrheitlich verneint. Der zentrale Slogan seiner Kampagne von 2007 - »Travailler plus pour gagner plus«, mehr arbeiten, um mehr zu verdienen –, der ihm vor allem im Unternehmerlager großen Beifall sicherte, ist zur Lachnummer verkommen. Die Kaufkraft ist ständig gesunken unter Sarkozy, die Gewerkschaften plakatieren ihre Protestzüge längst mit den Varianten »Weniger arbeiten um weniger zu verdienen« (was die wachsende Arbeitslosigkeit beschreibt) oder »Mehr arbeiten, um weniger zu verdienen« (was die zunehmende Ausbeutung mit Hilfe von Zeitverträgen und Leiharbeit verdeutlicht). Ein Satz, den Nicolas Sarkozy im November 2004 ausgesprochen hat, markierte den Anfang dieser von ihm selbst forcierten Debatte über den Wert der Arbeit und der Kaufkraft: »Republikanische Gleichheit (zu verwirklichen), das heißt, daß der, der mehr arbeitet, auch mehr verdienen muß.« Nach knapp fünf Jahren Präsidentschaft hat Sarkozy dieses Credo nicht nur variiert, sondern auch kompliziert: »Nehmen wir ein Unternehmen, das dabei ist, seinen Markt zu verlieren - sollen wir da das Lohnniveau halten, alle Vorteile, und am Ende wird entlassen? Oder behalten wir alle (Arbeitskräfte) und alle stecken zurück?« Soll heißen: Senkt die Löhne, dann habt ihr auch morgen noch Arbeit!
Daß dieses Konzept so gut wie nie funktioniert, weiß im Lande jeder. Was Sarkozy besser weiß und ohne Scheu für sich nutzt, ist die Formel: Die Hoffnung stirbt zuletzt. So zieht er durchs Land und durch die Studios der TV-Kanäle, lädt respektgeblähte Hofberichter zu sich in den Elysée und verkündet, wie ein Prediger in der Wüste der Unwissenheit, daß »die 35-Stunden-Woche uns ruiniert hat«, daß diese Erfindung der Gewerkschaften und des Sozialisten Lionel Jospin »die eigentliche Katastrophe« gewesen sei, an deren Folgen das Land, die Regierung und am meisten er selbst leide, weil er sich dieses Elend nun jeden Tag als Staatschef anschauen müsse.