Solidarität mit Illegalen bald straffrei
Französische Linksregierung überarbeitet Passus in Ausländergesetz zu Hilfen für »papierlose« Ausländer
Von Andrea Klingsieck, Paris *
In Frankreich wird eine Novelle des
Ausländergesetzes diskutiert, mit
dem das »Solidaritätsdelikt« abgeschafft
werden soll. Flüchtlingsinitiativen
sehen darin vor allem Symbolpolitik.
Noch bevor Innenminister Manuel
Valls seinen Entwurf einer Neufassung
des Ausländergesetzes
überhaupt dem Parlament zugeleitet
hat, wird bereits breit in
Frankreich über ihn diskutiert. Er
ist von symbolischer Bedeutung,
weil sich die Linksregierung unter
Präsident François Hollande damit
von der zuvor unter Nicolas Sarkozy
verfolgten repressiven Ausländerpolitik
absetzen will. So soll
die so genannte »Straftat Solidarität
« abgeschafft werden, die bisher
all jenen droht, die Ausländern
ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung
zu Hilfe kommen.
Die breite Öffentlichkeit entdeckte
das »Solidaritätsdelikt«
2009 durch den Film »Welcome«
von Philippe Lioret, in dem es ein
Schwimmlehrer mit der Polizei zu
tun bekommt, weil er einen 17-
jährigen Kurden dabei unterstützt,
über den Ärmelkanal nach England
zu schwimmen.
Der von Hilfsverbänden als
»Delikt Solidarität« bezeichnete
Tatbestand bezieht sich auf einen
Paragrafen des französischen
Ausländergesetzes. Diesem zufolge
drohen fünf Jahre Gefängnis
und eine Geldstrafe von 30 000
Euro, wer einem Ausländer »direkt
oder indirekt« die »Einreise
oder den Aufenthalt in Frankreich
« erleichtert. Der vage formulierte
Gesetzestext existiert bereits
seit 1945 und sollte vor allem
dazu dienen, gegen Schlepperringe
vorzugehen. Unter der Rechtsregierung
von Sarkozy wurde er
jedoch immer häufiger missbraucht,
um Hilfeleistungen für
Ausländer ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung
zu kriminalisieren
und solidarisch handelnde
Mitbürger zu schikanieren.
Absurde Beispiele gingen immer
wieder durch die Presse. Da
wurden Bürger durch die Polizei
eingeschüchtert, weil sie im Winter
bei Minusgraden obdachlose
Flüchtlinge beherbergten. Sozialarbeiter
wurden vorübergehend
festgenommen, weil sie die Handys
von »papierlosen« Ausländern
aufgeladen hatten. Zwar endeten
fast alle diese Fälle mit der Einstellung
des Verfahrens, die zermürbende
Einschüchterung durch
die Polizei und die Drohung rechtlicher
Schritte erschwerte trotzdem
die Arbeit der Hilfsverbände.
In seiner Gesetzesnovelle will
Valls dem betreffenden Paragrafen
nun eine »Immunität« für »alle
natürlichen oder juristischen Personen
« hinzufügen, die »einem
Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis
Hilfe leisten«, solange diese
»allein dazu dient, menschenwürdige
Lebensbedingungen aufrecht
zu halten«. Dies würde de
facto dem Delikt ein Ende setzen.
Für Nan Suel, Leiter der
Flüchtlingsorganisation Terre
d’errance, bleibt die Maßnahme
jedoch rein symbolisch: »Das bedeutet
nicht mehr, als dass der
Staat uns offiziell gestattet, das zu
tun, was eigentlich seine Arbeit
wäre, ohne uns dafür zu belangen.
« Auch Cécile Bossy von Médecins
du Monde (Ärzte der Welt)
ist nicht sicher, dass die Ausländerpolitik
der seit Mai amtierenden
Linksregierung »radikal anders
sein wird als die ihrer Vorgänger«.
Nicht gerade vielversprechend
ist in dieser Hinsicht die ebenfalls
im Gesetzesprojekt vorgesehene
Neuregelung für das Festsetzen
von »papierlosen« Ausländern. Sie
soll den früheren Polizeigewahrsam
ersetzen, der im vergangenen
Juli vom Appellationsgericht, der
höchsten juristischen Instanz, für
rechtsungültig erklärt wurde. Seitdem
darf ein Ausländer, der keine
gültige Aufenthaltsgenehmigung
vorweisen kann, von der Polizei
nicht mehr wie früher 24 Stunden,
sondern nur noch vier Stunden
lang festgehalten werden – eine
Zeitspanne, die in der Regel ausreicht,
um die Identität einer Person
zu überprüfen, nicht aber um
eine eventuelle Abschiebeprozedur
in die Wege zu leiten. Aus diesem
Grunde sieht die Gesetzesnovelle
die Schaffung eines neuen
Rechtsstatus' vor, der es ermöglichen
soll, »papierlose« Ausländer
16 Stunden lang festzuhalten. Die
Hilfsverbände prangern das als
»Ausnahmeregelung« an und kritisieren,
dass Ausländer damit
nicht dem gemeinen Recht unterliegen.
Sie fordern eine globale
Reform für das System des Festsetzens
von illegalen Ausländern
in Frankreich.
* Aus: neues deutschland, Samstag, 27. Oktober 2012
Strafverfahren
2011 wurden in Frankreich gegen
fast 100 000 Ausländer
Strafprozeduren für illegalen
Aufenthalt eingeleitet. 60 000
von ihnen wurden in Polizeigewahrsam
genommen. Jährlich
werden etwa 500 Ausländer
wegen illegalen Aufenthalts
verurteilt, 200 von ihnen zu
Freiheitsstrafen.
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