Mistral in Richtung Osten
Frankreich baut Hubschrauberträger für Russland – und verärgert damit die NATO
Von Ralf Klingsieck, Paris *
Erstmals liefert Frankreich in großem Maße Militärtechnik an Russland. Die NATO zeigt sich
brüskiert, hält sich aber mit Kritik zurück. Schließlich hatte Präsident Sarkozy das Projekt persönlich
forciert.
Für die auf den Bau von Luxuskreuzfahrtschiffen spezialisierte Werft von Saint-Nazaire hatte die
aktuelle Krise zahlreiche Stornierungen von Aufträgen zur Folge. Daher wurde hier der kürzlich
unterzeichnete Vertrag über den Bau von zwei Hubschrauberträgern für Russland mit Erleichterung
aufgenommen. Mit dem Projekt werden 1000 Mitarbeiter vier Jahre lang ausgelastet sein. Der
Auftrag hat einen Gesamtwert von 1,12 Milliarden Euro. Darin eingeschlossen sind 220 Millionen
Euro für den Technologietransfer, der die Konstruktionsunterlagen für diesen Schiffstyp sowie für
seine neuartigen Steuerungs- und Kommunikationssysteme umfasst.
Dieses Schiffbauprojekt ist ein ungewöhnliches Beispiel industrieller und militärtechnischer
Kooperation. So kommen für das erste Schiff 20 Prozent und für das zweite 40 Prozent der
Metallstrukturen als Zulieferungen aus Russland. Das erste soll innerhalb von 18 Monaten und das
zweite in 36 Monaten fertiggestellt werden und dann Saint-Nazaire in Richtung Sankt Petersburg
verlassen, wo die Waffentechnik aus russischer Produktion montiert wird. Zwei weitere Schiffe sollen
dann dort nach den französischen Plänen gebaut werden, wobei diesmal für das eine 40 Prozent
und für das zweite 20 Prozent der Zulieferungen aus Frankreich kommen.
Über die ungewöhnliche Form der Kooperation hinaus ist es vor allem das erste Mal, dass ein NATOMitgliedsland
derart moderne und »sensible« Militärtechnik an Russland liefert. Das Schiffsdeck
dient als Start- und Landebasis für sechs Hubschrauber, im Unterdeck finden 16 weitere
Hubschrauber, 60 gepanzerte Fahrzeuge sowie Landungs- oder Tragflächenboote Platz. Das Schiff
lässt sich darüber hinaus auch als Kommandozentrale für einen Flottenverband einsetzen und kann
außerdem eine 450 bis 600 Mann starke Landetruppen-Einheit an Bord nehmen. Frankreich verfügt
über zwei Schiffe dieses Typs, die »Mistral« und die »Tonnerre«, die sind gegenwärtig abwechselnd
beim NATO-Einsatz vor der Küste Libyens im Einsatz.
Russland bekundete schon seit Jahren Interesse an solchen Schiffen und vor allem an den
Technologien für deren Bau. Die entscheidenden Gespräche wurden auf höchster Ebene zwischen
Präsident Nicolas Sarkozy, seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedjew und dem russischen
Premier Wladimir Putin geführt. Parallel dazu musste Sarkozy die Vorbehalte gegenüber einem
solchen Deal bei der NATO zerstreuen. Offiziell ist ihm das gelungen.
Doch sind keinesfalls alle Bedenken in Frankreich und bei seinen europäischen Verbündeten
ausgeräumt. Schließlich sollen nach dem Willen der russischen Führung die Schiffe der »Mistral«-
Klasse und möglichst weitere Lizenzen westlicher Militärtechnik den großen technologischen
Rückstand der einstigen Großmacht verringern, der sich anschaulich beim Fünf-Tage-Krieg gegen
Georgien gezeigt hatte. Der Oberbefehlshaber der russischen Flotte, Admiral Wladimir Wissotski,
hat das offen ausgesprochen: »Alles, wofür wir damals 26 Stunden benötigten, kann dieses Schiff in
40 Minuten erledigen.« Entsprechend ist die Kritik Georgiens an dem Deal besonders groß. Auch die
baltischen Republiken sind besorgt über die Ausrüstung der Marine ihres Nachbarn mit diesen
modernen Kriegsschiffen. Die litauische Verteidigungsministerin kleidete die Besorgnis diplomatisch
in Worte: »Die Entscheidung, fortgeschrittene Angriffstechnik an Russland zu exportieren, zeugt von
einem besonderen Vertrauen Frankreichs gegenüber Russland. Ich möchte Russland empfehlen,
ein ähnliches Vertrauen gegenüber der NATO an den Tag zu legen und die Allianz nicht wie in
seiner neuen Militärdoktrin als eine ›Bedrohung der Sicherheit Russlands‹ zu bezeichnen.«
NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärte zu dem »Mistral«-Geschäft, er »halte es
für selbstverständlich, dass Russland diese Kriegstechnik nicht gegen einen unserer Verbündeten
einsetzen wird«. Er versäumte aber nicht hinzuzufügen, dass »die Allianz jedes ihrer Mitglieder zu
schützen imstande ist«. Was den hochsensiblen Technologietransfer betrifft, so ließ ein
hochrangiger NATO-Vertreter durchblicken, man sei »von Sarkozy praktisch vor vollendete
Tatsachen gestellt« worden. Was umso ärgerlicher sei, da es sich zum Teil um Technologien
handelt, die bisher auf der Embargo-Liste standen.
* Aus: Neues Deutschland, 12. August 2011
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