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Sarkozys Rohrkrepierer

Empörung über Roma-Vertreibung von der EU bis zum Papst

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Die Ende Juli von Präsident Sarkozy mit einer Brandrede in Grenoble gestartete »Sicherheitskampagne« und die in diesem Zusammenhang ausgelöste Hetzjagd auf Roma in Frankreich fällt ihm nzwischen selbst auf die Füße. Der innen- und außenpolitische Schaden ist beträchtlich und dürfte noch lange nachwirken.

Wenn Sarkozy damit gerechnet hatte, dass die Sozialisten vehement in die Polemik einsteigen würden und sich damit eine Rechts-Links-Auseinandersetzung über Sicherheitsprobleme ergeben würde, wie sie in der Vergangenheit so oft den Rechten in die Hände gespielt hat, weil die Linken die naiven Menschenfreunde abgegeben haben und die Rechten ihre Rolle als Hüter von Recht und Ordnung herausstellen konnten, so hat er sich dieses Mal gründlich verrechnet. Die PS hat ihre historische Lektion gelernt und ist nicht in die Falle gegangen. Zwar haben führende PS-Politiker gegen die grobschlächtige Sicherheitshysterie und vor allem die Behandlung der Roma protestiert, aber zugleich haben sie darauf aufmerksam gemacht, dass Sarkozy und seine Regierung wesentlich für die um sich greifende Unsicherheit verantwortlich sind, weil sie Mittel gekürzt und die Zahl der Polizisten verringert haben. Die Auswirkungen bekommen nur zu oft sozialistische Bürgermeister und Abgeordnete in den von ihnen regierten Städten und Regionen zu spüren.

Linke Politiker, die nach mehr Polizisten rufen! Damit war das Kalkül durchkreuzt, mit dem sich Sarkozy dem rechten Rand der Wählerschaft und vor allem den älteren Franzosen andienen und seine bei 30 Prozent dümpelnde Popularitätsrate aufbessern wollte. Doch es kam noch schlimmer, denn nun brach auch eine Welle der Proteste unter rechten Politikern los. Eine Gruppe von UMP-Abgeordneten distanzierte sich von Sarkozys Vorgehen, die Ex-Ministerin Christine Boutin, die den christlich-sozialen Flügel der Regierungspartei repräsentiert, dachte laut über den Austritt aus der UMP nach, und der ehemalige Regierungschef Jean-Pierre Raffarin brachte die Sorge über das Abdriften der Partei und des Präsdenten nach rechts zum Ausdruck.

Doch der Gipfel war ein Artikel des ehemaligen Premierministers Dominique de Villepin in der Zeitung »Le Monde«, wo er schrieb, der Umgang der Regierung mit den Roma und den Jugendlichen ausländischer Herkunft sei »ein Schandfleck auf unserer Fahne«. Scharf kritisierte er Sarkozys Absicht, Straftätern ausländischer Herkunft die französische Staatsangehörigkeit aberkennen zu lassen, wenn sie Anschläge auf Polizisten oder andere Amtspersonen verüben. »Wir wissen, dass solche Vorhaben, wenn sie denn umgesetzt werden, an den alltäglichen Problemen unserer Mitbürger nichts ändern würden.« Sarkozys Vorhaben diene allein »der Provokation und der Spaltung, um den Machterhalt zu sichern«.

Da musste der amtierende Premierminister François Fillon in die Bresche springen, um den Schaden zu begrenzen. Nach einer Sondersitzung über die Räumung von Lagern der Roma und ihre Ausweisung in ihre osteuropäische Heimat mahnte Fillon in einem Kommuniqué, das Problem »nicht zu instrumentalisieren, weder von der einen noch von der anderen Seite«. Sarkozy und seine Regierung fühlen sich also in der Klemme, nicht nur im eigenen Land.

Nach dem Nichtdiskriminierungskomitee der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf und der EU-Kommission in Brüssel, die auf die Reisefreiheit der rumänischen und bulgarischen Roma innerhalb der EU aufmerksam gemacht haben, schaltete sich auch der Papst ein. In einer Ansprache in französischer Sprache an Pilger aus Frankreich mahnte er zur »Gleichbehandlung aller Menschen, egal welcher Herkunft«. Das löste umgehend eine Welle entsprechender Stellungnahmen von französischen Katholiken und Geistlichen aus.

Die Rechtsregierung versucht jetzt in ihrer Not, den »Schwarzen Peter« weiterzureichen. Die EU-Kommission sollte »Rumänien dazu zwingen, die Auswanderung von Roma zu stoppen«, schrieb Ministerpräsident Francois Fillon in einem Brief an Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso. Die Union müsse »sicherstellen, dass die jährlich vier Milliarden Euro EU-Finanzhilfe für Rumänien dort auch und nicht zuletzt für die Eingliederung der Roma eingesetzt« würden. Frankreich sei überzeugt, dass »die Massenauswanderung aus Rumänien zu einem europäischen Problem geworden ist«.

* Aus: Neues Deutschland, 28. August 2010

Kritik an Diskriminierung der Roma

UN-Ausschuß kritisiert Massenabschiebungen aus Frankreich. Regierung in Paris unter Druck **

Der UN-Ausschuß für die Beseitigung von Diskriminierung hat Frankreich aufgefordert, keine Gruppen von Roma mehr abzuschieben. Der Ausschuß der Vereinten Nationen sorgte sich darüber, daß Frankreich die Roma »auf Gemeinschaftsbasis« in ihre Heimat zurückschicke, statt die Umstände jedes einzelnen zu prüfen, erklärte am Freitag (27. Aug.) einer der 18 Fachleute, die dem Gremium angehören. Ganz allgemein sei der UN-Ausschuß beunruhigt über »politische Reden diskriminierender Natur in Frankreich«. Zugleich seien jüngst »Handlungen und Kundgebungen mit rassistischem oder ausländerfeindlichem Charakter« zu beobachten gewesen. Frankreich solle die »kollektive Ausweisung« von Roma vermeiden und sich um »langfristige Lösungen« bemühen, verlangte der Ausschuß.

Auch die Kirche, die sich sonst aus dem politischen Tagesgeschäft heraushält, kritisierte den Umgang der Regierung mit den Roma. Das Innenministerium will nun den Vorsitzenden der französischen Bischofskonferenz, Andre Vingt-Trois, zu einem klärenden Gespräch empfangen. Der hatte die aktuelle Situation als »sehr ungesund« bezeichnet. Innenminister Brice Hortefeux sagte, er wolle dem Kardinal erklären, »daß wir nur geltendes Recht umsetzen – europäisches Recht«. Die konservative Regierung unter Staatschef Nicolas Sarkozy geht seit Wochen hart gegen Roma vor. Sie ließ Dutzende Roma-Siedlungen auflösen und schickte vergangene Woche mehrere hundert Menschen zurück nach Rumänien. Seit Jahresbeginn schob Frankreich über 8000 Roma in ihre Heimat ab, vergangenes Jahr waren es fast 10000 Menschen.

** Aus: junge Welt, 28. August 2010




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