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Sarkozy und Libyen: Anruf vom Kriegsphilosophen

Von Dmitri Babitsch, RIA Novosti *

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy ist bekanntlich der erste und einzige westliche Politiker, der die libysche „Alternativregierung“ der Aufständischen anerkannt hat.

Der Mann, der ihn dazu überredet hat, hatte in den späten 1990er Jahren vergeblich versucht, die Westeuropäer zur Anerkennung des so genannten tschetschenischen „Präsidenten“ Aslan Maschadow und dessen „Ministerpräsidenten“ Schamil Bassajew zu überreden. Den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili bezeichnete er nach dem Konflikt in Südossetien im Sommer 2008 als „den größten Kriegsgegner, den ich je kannte.“

Angesichts dessen ist unklar, auf welche Informationsquellen sich die Anti-Gaddafi-Koalition stützt.

Sarkozys Informant heißt Bernard-Henri Levy. Er ist Journalist, Millionär, und gibt dem deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in seiner ständigen Residenz im Pariser Hotel „Rafael“ ein Interview; neben ihm steht sein Diener. Seine Einschätzungen sind knallhart und kategorisch. „Als Außenminister ist er nutzlos, Ihr solltet ihn loswerden“, sagt Levy über Guido Westerwelle, der gegen die Beteiligung am Libyen-Einsatz gestimmt hatte. „Jetzt wird Deutschland es schwer haben, seinen langjährigen Traum zu erfüllen und ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats zu werden.“

Es klingt so, als würde der Herrscher des Weltalls sprechen, aber kein bescheidener „Aktivist der Volksdiplomatie, der keine Vollmachten außer denen hat, die ihm sein Gewissen verleiht“ (so hatte sich Levy einst in einem Online-Chat mit Lesern der Zeitung „Le Monde“ beschrieben). Die Wahrheit ist aber, dass Levy die Weltpolitik in den letzten Wochen viel stärker als die 27 EU-Außenminister zusammen geprägt hat.

Als Levy Anfang März das von Unruhen erfasste Bengasi besucht, telefonierte er mit Präsident Sarkozy und schlug ihm vor, die Führer des interimistischen Rebellenrats in Paris zu empfangen. Sarkozy stimmte sofort zu, ohne seinen Außenminister Alain Juppe darüber zu informieren. Am 10. März verkündete Sarkozy persönlich, dass Frankreich den libyschen Nationalrat als legitime Repräsentanten Libyens anerkennt. Juppe wurde von Sarkozy überrumpelt.

„Zum ersten Mal in der Geschichte der Fünften Republik haben wir über eine wichtige außenpolitische Entscheidung aus dem Ausland erfahren“, empörte sich ein französischer Diplomat, der anoynm bleiben wollte, gegenüber der Zeitung „Le Monde“. Eine Gruppe französischer Diplomaten folgte einige Tage später Levy nach Bengasi. Erst dann erfuhren sie von den Libyern, dass dort schon ein sehr wichtiger Gast aus Frankreich, ein „persönlicher Vertreter des Präsidenten“, geweilt und die Rebellenführer nach Paris gebracht hatte.

„Ich habe dem Präsidenten nur vorgeschlagen, die Vertreter des freien Libyens zu empfangen“, sagt Levy bescheiden, nachdem sein Vorschlag eine neue Runde des Bürgerkriegs in Libyen ausgelöst hatte und die westliche Koalition sich zum militärischen Eingreifen veranlasst sah. Nicht vergessen werden darf, dass sich Levy auf diese Weise auch für die Anerkennung Aslan Maschadows in Tschetschenien ausgesprochen hatte. Das war im Jahr 1999, bereits nachdem Maschadow Dagestan überfallen hatte.

Levy zufolge hätte der Westen den tschetschenischen Separatisten anerkennen müssen, um das russische „Stalin- und Hitler-Regime“ zu ärgern. Leider haben die Franzosen nicht schon damals den Vorstoß des „Philosophen“ (so nennt er sich selbst) Levy entsprechend bewertet und ihm eine andere Unterkunft angeboten, wo er viel besser als in dem Pariser Luxushotel aufgehoben wäre. Vielleicht würde ihn Alain Juppé persönlich in eine solche Anstalt kutschieren, der bereits während seiner ersten Amtszeit als Chefdiplomat (von 1993 bis 1995) den „Philosophen“ kennenlernen musste. Damals weilte Levy in Sarajevo und verlangte von den Nato-Ländern sofortige Luftattacken auf die serbischen Stellungen. Das hätte aber die Bemühungen der französischen und deutschen Diplomaten (die so genannte Kinkel-Juppé-Initiative) um eine friedliche Konfliktregelung in Jugoslawien zum Scheitern gebracht.

Beim Betrachten der Fernsehbilder mit den libyschen Oppositionskämpfern kommen Erinnerungen an tschetschenische Banditen und afghanische Mudschaheddins, an den bosnischen Freischärler Alija Izetbegovics und natürlich an den georgischen Präsidenten Saakaschwili hoch – allesamt Lieblinge des französischen Autoren. Am 20. August 2008, wenige Tage nach dem Krieg in Südossetien, schrieb Levy über Saakaschwili: „Er ist frankophil und frankophon. Er kennt sich in der Philosophie aus. Er ist Demokrat und Europäer. Er ist liberal, so wie die Europäer und Amerikaner diesen Begriff verstehen. Unter allen Widerstandskämpfern, die ich jemals in meinem Leben kennengelernt habe, ist Saakaschwili der größte Gegner des Kriegs, seiner schrecklichen Rituale und Symbole.“

Bernard-Henri Levy mag ein Gegner von Kriegssymbolen sein, aber er scheut sich nicht, neue Kriege zu entfesseln. Dabei handelt der „Philosoph“ immer nach ein und demselben Modell: Zunächst findet er einen Konflikt, dann beginnt er seine Rhetorik über die Menschenrechtsverletzung und verlangt schließlich eine militärische (anders geht es nicht, und der Kampf sollte dabei bis zum letzten Bluttropfen gehen!) Lösung.

„Na los, wühlt mal richtig in meinem Unterbewusstsein!“ forderte er die „Le Monde“-Leser auf, als sie seine Vorliebe zu Extremisten auf die noch von Sigmund Freud erforschten Komplexe zurückführten. Oder sollten vielleicht lieber die USA, die EU und vor allem Frankreich in ihrem eigenen Unterbewusstsein wühlen, um festzustellen, warum ausgerechnet Personen wie Levy die öffentliche Meinung prägen und als „Europas Gewissen“ geehrt werden. Und ob man solchen Personen zuhören sollte. Und zugleich den von Levy empfohlenen Gesprächspartnern aus Russland, Kosovo und Libyen…

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 1. April 2011


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