Anschlag auf jüdische Schule
Mordterror in Frankreich forderte bereits sieben Todesopfer
Von Ralf Klingsieck, Paris *
Eine Serie rätselhafter Mordanschläge erschüttert die französische Öffentlichkeit. Bereits acht Menschen fielen ihr zum Opfer.
Kaltblütig hat ein Mann am Montagmorgen vor einer jüdischen Privatschule im Norden von Toulouse vier Menschen erschossen - einen Religionslehrer, dessen 3 und 6 Jahre alte Kinder sowie eine 8-jährige Schülerin. Ein 17-jähriger Schüler wurde schwer verletzt und schwebt nach einer Notoperation in Lebensgefahr.
Das Vorgehen des Täters und vor allem die Art der Waffe verweisen auf Parallelen zu zwei ähnlichen Verbrechen, die in den vergangenen Tagen ebenfalls in Toulouse und im nahen Montauban verübt wurden.
Begonnen hatte die Mordserie am 11. März in Toulouse, als ein Fallschirmjäger auf offener Straße ohne erkennbaren Anlass erschossen wurde. Der Täter verwendete eine Pistole vom Kaliber 11,43 mm. Dieselbe Waffe wurde am vergangenen Freitag im 50 Kilometer entfernten Montauban benutzt, wo der Mordschütze zwei Soldaten in Uniform in unmittelbarer Nähe ihrer Kaserne erschoss. Wie Augenzeugen berichteten, war der Täter auch dort mit einem schwarzen Motorroller »Yamaha« vorgefahren, hatte die schwere Maschine abgestellt, war auf die Militärs zugegangen und hatte ihnen vor einer Bank aus nächster Nähe in den Kopf geschossen. Anschließend bestieg er gelassen seinen Motorroller und fuhr davon.
»Ich habe kurz einen Teil seines Gesichts gesehen«, berichtete eine Zeugin. »Seine Augen ruhten kurz auf mir. Er machte einen völlig ruhigen Eindruck.« Die Zeugin berichtete ferner von einer Narbe oder Tätowierung auf einer Wange des Täters. Solche Details sind äußerst wichtig für die Polizei, die sonst kaum Anhaltspunkte für die Identifizierung des Mannes hat. Ein in Montauban von ihm am Tatort zurückgelassenes, leergeschossenes Pistolenmagazin wies keinerlei Fingerspuren auf. Die Videoaufzeichnungen vor der Bank in Montauban und vor der Schule in Toulouse zeigen zwar den Tathergang, doch weil das Gesicht des Täters nicht zu sehen und das Nummernschild des Motorrollers nicht zu erkennen sind, ist ihr Wert begrenzt.
Da die Polizei seit Tagen in der Region nach einem schwarzen Motorroller dieses Typs sucht, wurde am Wochenende der Fahrer eines solchen Rollers, der bei einer Straßenkontrolle nicht anhalten wollte, sofort verfolgt. Im dichten Stadtverkehr konnte er dem Auto der Polizisten allerdings unerkannt entkommen.
Die Ermittler gehen davon aus, dass es sich um einen Mann handelt, der im Umgang mit Waffen erfahren und möglicherweise militärisch ausgebildet ist. Völlige Unklarheit herrscht noch über die Motive des Täters. Weil Einheiten der Regimenter, denen die von ihm erschossenen Mordopfer angehören, zeitweise in Afghanistan eingesetzt waren oder sind, kann ein politischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden. Da es sich um einen einzelnen Terroristen oder das Mitglied einer Gruppe handeln kann, wurden bereits die Untersuchungsrichter einer Antiterrorabteilung des Innenministeriums hinzugezogen.
* Aus: neues deutschland, 20. März 2012
Franzosen extrem beunruhigt
Nach den Terrortaten geht im Süden die Angst um
Von Ralf Klingsieck, Paris **
Nach dem dritten Mordanschlag binnen
Tagen im Südwesten Frankreichs
ist das Land in einem Schockzustand.
Den bisherigen Ermittlungen zufolge
kann es sich bei dem Täter
auch um einen Amok laufenden
Rassisten handeln, denn alle erschossenen
Militärs waren nordafrikanischer
Abstammung und
ein von ihm in Montauban lebensgefährlich
angeschossener
Soldat hat schwarze Hautfarbe.
Diese Hypothese erhielt jetzt
durch die gezielte Tat gegen eine
jüdische Schule neue Nahrung. Die
Militärs aller Standorte in Südfrankreich
sollen bis auf Weiteres
möglichst in den Kasernen bleiben
oder diese zumindest nicht in Uniform
verlassen. Der Polizeischutz
vor den jüdischen Schulen wird in
ganz Frankreich verstärkt und
auch auf die muslimischen Privatschulen
ausgedehnt.
Der Verband der Rabbiner in
Europa forderte mehr Sicherheitsvorkehrungen
für jüdische
Einrichtungen. Das Pariser Innenministerium
ordnete eine verschärfte
Überwachung jüdischer
Einrichtungen in Frankreich an.
Für diesen Dienstagmorgen hat
Präsident Nicolas Sarkozy für alle
Schulen im Lande eine Gedenkminute
angeordnet.
Es konnte nicht ausbleiben,
dass das tragische Ereignis Gegenstand
des auf vollen Touren
laufenden Präsidentschaftswahlkampfes
wurde. So hat Sarkozy,
der um seine Wiederwahl kämpft,
der Schule in Toulouse bereits am
Montagvormittag einen Besuch
abgestattet, um den Lehrern,
Schülern und Eltern sein Mitgefühl
und die Solidarität aller Franzosen
zu bekunden.
Mit demselben Anliegen fuhren
dort im weiteren Verlaufe des Tages
auch die Kandidaten der Sozialistischen
Partei und des Zentrums,
François Hollande und
François Bayrou, vor. Die rechtsextreme
Kandidatin Marine Le Pen
erklärte, die Ereignisse hätten sie
so stark bewegt, dass sie einen für
den Abend geplanten Fernsehauftritt
abgesagt habe.
Das Verbrechen in Toulouse gilt
als einer der mörderischsten Anschläge
auf eine jüdische Einrichtung
seit drei Jahrzehnten. 1982
hatte ein Mordkommando im jüdischen
Viertel in Paris in der Rue
des Rosiers in einem Restaurant
sechs Menschen umgebracht.
In der Region geht unterdessen
die Furcht vor weiteren Anschlägen
um. Der Bürgermeister von
Toulouse, Pierre Cohen, hob im
TV-Nachrichtensender BFM die
Kaltblütigkeit des Täters hervor:
»Wir sind extrem beunruhigt.«
Vertreter jüdischer Gemeinden
und der jüdische Weltkongress
(JWC) äußerten sich entsetzt. JWCPräsident
Ronald Lauder sprach
von einem »verabscheuungswürdigen
Terroranschlag« und sprach
den Familien der Opfer sein Beileid
aus.
Israels Ministerpräsident Benjamin
Netanjahu erklärte, es könne
nicht ausgeschlossen werden,
dass es sich bei dem »verabscheuungswürdigen
Mord an Juden,
darunter kleine Kinder«, um
einen Akt »gewaltsamen und mörderischen
Antisemitismus'« handele.
Außenministeriumssprecher
Jigal Palmor sagte, Israel vertraue
auf die Ermittlungsbehörden, dass
»alles ans Licht kommt«.
** Aus: neues deutschland, 20. März 2012
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