Ausweisung mit Todesfolgen
Frankreichs Behörden gehen gegen "illegale" Einwanderer vor
Von Ralf Klingsieck, Paris *
Frankreichs Regierung plant Abschiebungen »en masse« und eine Einwanderung »à la carte«. Menschenrechtsorganisation sprechen von einer
»Radikalisierung der Menschenjagd«.
Ein zwölfjähriger Junge stürzte in der vergangenen Woche in Amiens aus dem vierten Stock und
verletzte sich lebensgefährlich. Er wollte seinem Vater auf der Flucht von Balkon zu Balkon folgen.
Vor der Wohnungstür der Familie aus Tschetschenien stand die Polizei, um sie in Abschiebehaft zu
bringen. Ihre Anträge auf Asyl waren abgelehnt worden. Den Behörden zufolge sei der Polizei kein
Vorwurf zu machen. Sie hätte sich »weisungsgemäß« verhalten.
Hilfsvereine für »illegale« Ausländer sprechen inzwischen von einer »Radikalisierung der
Menschenjagd«. Sie haben erfahren, dass die Polizei seit einigen Monaten durch das
Einwanderungs- und das Innenministerium angewiesen ist, die »Illegalen« in ihrer Wohnung
aufzusuchen und zu verhaften. Ist die Adresse nicht bekannt, sollen Eltern beispielsweise in der
Nähe des Kindergartens oder der Schule, wo sie ihre Kinder abholen, »abgefangen« werden. Die
bisher übliche Vorladung zur Ausländerbehörde habe nur zu oft dazu geführt, dass diese Menschen
»vorgewarnt« werden und »abtauchen«. Das gefährdet offenbar die Planung von Präsident Nicolas
Sarkozy, immer mehr »illegale« Ausländer abzuschieben.
Als fatal für die Betroffenen hat sich die »Legalisierungskampagne« vom Juni 2006 erwiesen. Auf
die Aussicht hin, eine gültige Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen, haben tausende
Ausländerfamilien einen Antrag gestellt, der natürlich auch ihre Adresse enthielt. Doch die meisten
Anträge wurden abgelehnt, die Familien müssen jetzt mit der Abschiebung rechnen. Die Polizei weiß
nun, wo sie wohnen. In Paris beispielsweise wurden 9248 Anträge gestellt, von denen nur 1606
genehmigt wurden.
Im laufenden Jahr sollen 25 000 Ausländer abgeschoben werden. Im Hinblick darauf wurde Ende
2006 die Zahl der Plätze in den Abschiebehaftanstalten von 700 auf 1600 aufgestockt. Weil es
immer öfter zu Zwischenfällen mit empörten Passagieren kommt, wenn Ausländer mit Linienflügen in
ihre Heimat verbracht werden, organisiert man jetzt regelmäßig spezielle Charterflüge. Darüber
hinaus hat das Innenministerium von einer privaten Gesellschaft ein Flugzeug auf Dauer gemietet,
das von Polizeipiloten gesteuert wird. Nun soll »Air Expulsion«, wie sie in den Medien spöttisch
genannt wird, ein zweites Flugzeug bekommen.
Brice Hortefeux, Minister für Einwanderung, Integration und Nationale Identität, arbeitet an der von
Sarkozy vorgegebenen strategischen Orientierung, die »Einwanderung von Ausländern
entsprechend den wirtschaftlichen Bedürfnissen zu steuern«. So wurden 2005 insgesamt 185 000
Aufenthaltsgenehmigungen erteilt, davon 94 500 im Rahmen von Familienzusammenführungen und
49 000 für Studenten, aber nur 13 000, also gerade sieben Prozent, für Einwanderer, die in
Frankreich arbeiten wollen. »Dieses Missverhältnis muss umgekehrt werden«, erklärte der Minister.
Während »illegale« Einwanderung mit immer perfekteren Methoden verhindert und die trotzdem ins
Land gelangten Menschen so schnell wie möglich wieder abgeschoben werden sollen, will die
Regierung künftig für bestimmte »Mangelberufe« jährliche Einwanderungsquoten festlegen.
Unternehmen, die Ausländer ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis beschäftigen, müssen mit
empfindlichen Strafen rechnen. Die Arbeitsschutzinspekteure wurden bereits angewiesen, jeden von
ihnen beobachteten Fall sofort zu melden. Gegen das Ansinnen, sie zu Polizeispitzeln zu machen,
hat die Gewerkschaft der Arbeitsschutzinspekteure protestiert und Streiks angedroht.
Auch das Nachholen von Familienangehörigen der bereits in Frankreich lebenden und arbeitenden
Ausländer wird drastisch erschwert. Ehefrauen und Kinder ab 16 Jahren müssen sich in ihrer Heimat
beim französischen Konsulat einem Test in Französisch unterziehen und bei Bedarf einen
Sprachkurs absolvieren. Der bereits in Frankreich lebende Familienvater muss ein ausreichendes
Einkommen nachweisen können, das für ein Paar ohne Kinder das 1,2-fache des Mindestlohns
beträgt und pro Kind um 20 Prozent aufgestockt wird. Ist die Einreise der Angehörigen genehmigt,
muss sich der Familienvorstand zudem verpflichten, bestimmte Auflagen für die Integration zu
erfüllen.
* Aus: Neues Deutschland, 14. August 2007
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