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Finnland mit neuer Regierungschefin

Nach einem Schmiergeldskandal warf Ministerpräsident Vanhanen das Handtuch

Von Andreas Knudsen, Kopenhagen *

Finnland hat zum zweiten Mal seit seiner Unabhängigkeitserklärung eine Regierungschefin. Nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Matti Vanhanen wurde gestern die bisherige Kommunalministerin Mari Kiviniemi in Helsinki zur Nachfolgerin gewählt.

Die finnische Politik ist seit 2003, als Matti Vanhanen Ministerpräsident wurde, nicht langweilig gewesen. Obwohl er mehr einem grauen Bankangestellten gleicht, kann der 54-Jährige auf mehrere Seitensprünge und eine Scheidung in seiner Amtszeit verweisen. Das trug aber eher zu seiner Popularität bei und damit, wie so mancher Kommentator meint, irgendwie auch zum bürgerlichen Wahlsieg 2007, durch den die damaligen Koalitionspartner Linkspartei und Sozialdemokraten auf die Oppositionsbänke verwiesen wurden. Ein seit Monaten schwelender Schmiergeldskandal jedoch ließ Vanhanens Zentrumspartei in den Meinungsumfragen auf Platz drei abstürzen und eine Wahlniederlage im April nächsten Jahres immer wahrscheinlicher werden. Auf einem Parteikongress wurde Vanhanen deshalb durch Mari Kiviniemi ersetzt, die nun auch als Regierungschefin das Ruder herumreißen soll.

Die 41-Jährige gilt als Bindeglied zwischen dem ländlichen Finnland, in der die Zentrumspartei ihre Wurzeln hat und wo sie geboren wurde, und dem modernen, urbanen Finnland, in dem sie ihr Erwachsenleben verbracht hat. Mari Kiviniemi kündigte an, die bisherige Wirtschafts- und Sozialpolitik im Wesentlichen fortsetzen zu wollen. Kleinere Änderungen insbesondere in der Steuer- und Beschäftigungspolitik soll es jedoch geben. Welche Akzente das konkret sind, führte sie allerdings nicht weiter aus, sondern verwies auf ein Seminar, das im August nach der parlamentarischen Sommerpause stattfinden werde. Dazu lud sie auch die Oppositionsparteien ein.

Eine solche lagerübergreifende Politik kannte Vanhanen nicht, und diese Einbeziehung in den Entscheidungsprozess wurde auch von Sozialdemokraten und Sozialisten begrüßt. Finnlands Arbeitslosenrate ist in Folge der Krise auf knapp zehn Prozent gestiegen, und wirksame Maßnahmen, die über ein Wahldatum hinausreichen, sind dringend gefragt.

Neben der Krisenbekämpfung wird Mari Kiviniemi dieselben Politikschwerpunkte haben wie ihr Vorgänger. Zu Deutschland hat sie ein enges Verhältnis und spricht nach mehreren Studienaufenthalten auch sehr gut Deutsch. Die Beziehungen zu Russland bedürfen der Verbesserung, Wladimir Putins Besuch im Mai wurde als wichtiger Schritt dazu angesehen. Wichtig für Finnland ist es darüber hinaus, dass die »Nördliche Dimension« der EU über die Krisenbewältigung insbesondere in Südeuropa nicht in Vergessenheit gerät. Auch in der Energiepolitik, die auf Atomkraft als stabile Energiequelle setzt, wird es keine entscheidenden Änderungen geben. Hier herrscht weitgehender politischer Konsens, zu dem nur die Sozialisten in Opposition stehen.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Juni 2010


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