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Eritrea: Ein Land igelt sich ein

Von Dominic Johnson *

Das kleine Eritrea am Roten Meer hat sich in 15 Jahren Unabhängigkeit von einem Modell der Befreiung in ein Modell der Unterdrückung verwandelt. Die Regierung hält das Volk in einer Dauermobilmachung gegen Äthiopien. Seit Abzug der UNO-Mission wird der schwelende Grenzkrieg mit dem großen Nachbarn erneut angeheizt.

Was ist der Unterschied zwischen Eritreern und Äthiopiern? Da muss der eritreische Betreiber eines äthiopischen Restaurants, der schon seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, lange nachdenken. "Ist doch das Gleiche", meint er schließlich und hebt zu einer nostalgischen Erinnerungsrede an die gute alte Zeit vor der äthiopischen Revolution von 1974 an, als im und um das verschlafene äthiopische Kaiserreich von Haile Selassie noch Frieden und Gemächlichkeit geherrscht habe. Dann fällt ihm doch ein Eindruck von seiner jüngsten Reise in die Heimat ein. "Wir Eritreer sind, anders als die Äthiopier, von der italienischen Kolonialzeit geprägt: wir reden gerne viel und laut", erklärt er, und da kann man ihm nur zustimmen. "Aber heute? Heute flüstern die Menschen nur noch."

Eritrea hat sich in den letzten fünfzehn Jahren von einem Modell der Selbstbestimmung in das Modell eines Garnisonsstaates verwandelt. 1991 übernahm die damalige Befreiungsbewegung EPLF (Eritreische Volksbefreiungsfront) nach jahrzehntelangem Krieg gegen äthiopische Besatzung die Kontrolle und führte Eritrea 1993 mit massiver Zustimmung der Bevölkerung in die Unabhängigkeit. Heute regiert die EPLF als Diktatur und schottet ihre viereinhalb Millionen BürgerInnen stärker von der Außenwelt ab als jeder andere Staat Afrikas. Unabhängige Medien und Parteien sind verboten, Auslandsreisen sind für Eritreer, Männer und Frauen, zwischen 16 und 47 Jahren nur mit staatlicher Sondergenehmigung erlaubt, damit sich niemand dem Militärdienst entzieht. Sogar Reisen durch das Land enden meist zehn Kilometer außerhalb der Hauptstadt an Straßensperren.

Die Regierung des ehemaligen Guerillaführers und heutigen Präsidenten Isaias Afewerki wähnt sich im permanenten Abwehrkampf gegen den zwanzigmal größeren Nachbarn Äthiopien, dessen herrschende Elite den Verlust seiner Küstenprovinz nie wirklich verwunden hat. Afewerki hält das Volk in einer Dauermobilmachung. Die Militarisierung der Gesellschaft durch die EPLF während des Befreiungskrieges, als die gesamte Bevölkerung mitmachte beim Kampf gegen die Besatzung, ist bruchlos in einen Zwangsstaat übergegangen. In den Anfangsjahren nach der Übernahme der Regierung durch die Guerilla 1991 und der formellen Unabhängigkeitserklärung 1993 nahmen dies viele Eritreer noch hin. Vorrang hatte die Versöhnung der rivalisierenden Guerillabewegungen EPLF und ELF, die schließlich fusionierten; Demokratie hatte Zeit bis später. Eine neue Verfassung im Jahr 1997 legte den politischen Pluralismus fest. Aber als im Mai 1998 die Regierung ihr Volk in einen ebenso sinnlosen wie verlustreichen Bruderkrieg gegen Äthiopien um den Grenzverlauf in der bergigen Wüste führte, war es mit der Demokratisierung vorbei. Der eingeschlagene Weg zur Befreiung erwies sich als Sackgasse.

Die Feindschaft der Regierungen Eritreas und Äthiopiens ist auf den ersten Blick schwer zu verstehen, da beide aus Guerillabewegungen hervorgingen, die bis 1991 gemeinsam gegen die damalige kommunistische Militärdiktatur des Äthiopiers Mengistu Haile Mariam kämpften. Die EPLF in Eritrea und ihr Gegenstück TPLF (Tigray-Volksbefreiungsfront) in der äthiopischen Nachbarregion Tigray, ergänzt um die Oromo-Befreiungfront OLF in anderen Landesteilen Äthiopiens, sorgten gemeinsam für den Sturz Mengistus in Addis Abeba 1991 und handelten unter US-Vermittlung eine Nachkriegsordnung aus: Die TPLF, inzwischen Kern eines gesamtäthiopischen Bündnisses namens EPRDF (Revolutionäre Demokratische Front der äthiopischen Völker), bekam die Macht in Äthiopien, die EPLF bekam Eritrea. Die OLF blieb als weinender Dritter zurück, mit einem eher hypothetischen Sezessionsrecht im zukünftig föderalen Äthiopien abgespeist, was radikale Oromos in den erneuten Krieg auf Seiten des äthiopischen Erzfeindes Somalia und der verarmten somalischen Minderheiten in Äthiopien getrieben hat.

Mit der Unabhängigkeit Eritreas stand aber die EPRDF-Regierung in Äthiopien gegenüber dem eigenen Volk als Verräter da, der ein Stück des Landes freiwillig weggibt. Sie musste danach ebenso rhetorisch gegen den früheren Verbündeten mobilmachen wie die EPLF in Eritrea selbst jeden Verdacht von sich weisen musste, sie habe das Land nicht wirklich alleine befreit, sondern von den neuen äthiopischen Machthabern sowie den USA geschenkt bekommen. Dieser beiderseitige Entfremdungsdruck war Motor der Dynamik, die 1998 in den Grenzkrieg führte. Die meisten BeobachterInnen wunderten sich damals, wieso ein paar Fetzen Wüste damals so blutige Kämpfe verursachen konnten, und hielten das für ein Höchstmaß an Irrationalität. In Wahrheit bestand genau darin die Rationalität des Krieges: er konnte nur deswegen so heftig und unerbittlich geführt werden, weil es um nichts Reelles ging - nur um das Prestige zweier Regierungen. Nur auf Grundlage der Sicherheit, nichts Wichtiges zu verlieren zu haben, konnten Eritrea und Äthiopien so unbekümmert hunderttausende SoldatInnen gegeneinander in die Schlacht werfen.

Der zweijährige eritreisch-äthiopische Krieg, ein Stellungskrieg mit schwerer Artillerie, kostete 70.000 Menschenleben und endete erst, als Äthiopiens viel größere Armee die eritreischen Stellungen überrannte und den Gegner angesichts des drohenden Zusammenbruchs zum Waffenstillstand zwang. Das darauffolgende Friedensabkommen vom Dezember 2000 wurde nie vollständig umgesetzt und die Gefahr einer neuen Kriegsrunde nie gebannt. Die UNO stationierte eine Beobachtermission, die den Waffenstillstand überwachen und die Markierung des Grenzverlaufs ermöglichen sollte. Ende Juli dieses Jahres hat der UN-Sicherheitsrat jedoch den kompletten Abzug dieser Blauhelmtruppe beschlossen. Die neue Kriegsgefahr ist damit so real und bedrohlich geworden wie seit Jahren nicht mehr.

Es besteht wenig Zweifel, dass Eritrea diese am meisten geschürt hat. Die eritreische Regierung hat die UN-Mission im Laufe der letzten zwei Jahre per Salamitaktik praktisch vertrieben - ständige Einschränkungen der Bewegungsfreiheit erst am Boden und dann in der Luft machten der UN-Truppe die Arbeit allmählich völlig unmöglich. Eritrea hat es nicht verwunden, dass die Blauhelme seit 2001 in einer Pufferzone patrouillieren, mit der die äthiopischen Vorstöße während des Krieges praktisch anerkannt sind, aber nicht die im April 2002 von einer internationalen Schiedskommission festgelegte äthiopisch-eritreische Grenze durchsetzen. Diese hätte Eritreas Territorium gegenüber dem Vorkriegszustand sogar vergrößert. Äthiopien setzt sich über den Schiedsspruch in der Praxis hinweg, aber das bleibt folgenlos. Beide Länder haben nun Truppen zusammen gezogen, wobei Eritreas Armee Teile der Pufferzone besetzt hat und bis kurz in Sichtweite der äthiopischen Linien vorgerückt ist.

Die diktatorischen Zustände in Eritrea spiegeln die Bedingungen eines Friedens wider, den der Staat so nicht will. Die Innenpolitik hat sich parallel zu den internationalen Bemühungen verhärtet, das Friedensabkommen mit Äthiopien umzusetzen. Das heißt aber nicht, dass jetzt Tauwetter einsetzt, bloß weil diese Bemühungen mit dem UN-Abzug beendet sind. Präsident Isaias Afewerki sieht sich damit eher bestätigt und zieht die Zügel fester an, sofern das überhaupt noch geht. Ende 2001 hätte es erstmals Wahlen geben müssen - sie wurden damals ersatzlos abgesagt, und bis heute gibt es keinen neuen Termin. Der Militärhaushalt bleibt der größte Posten der Staatsausgaben, das Wirtschaftswachstum ist gering, Hunger nimmt zu. Die Regierung lehnt jede innere und äußere Kritik als Subversion ab und verweigert ausländische Hilfe als Anschlag auf die Selbständigkeit.

Als Ersatz für den wohl doch zu riskanten Krieg mit Äthiopien hat Eritrea jetzt einen militärischen Grenzstreit mit dem kleinen Nachbarn Dschibuti vom Zaun gebrochen - eritreische Truppen sind im April in ein verlassenes dschibutisches Wüstengebiet eingerückt. Ob das ein Probelauf sein soll für den Kampf gegen den größeren Gegner, bleibt abzuwarten. Eritreas Regierung kann die Vertreibung der UNO als Errungenschaft seiner Unbeugsamkeit darstellen - aber es müsste diese Errungenschaft dann immer noch mit militärischen Mitteln in messbare Erfolge verwandeln, also in territoriale Gewinne. Das wissen und fürchten viele Eritreer, und deshalb mehren sich Fluchtbewegungen in den benachbarten Sudan und von da aus über Libyen und das Mittelmeer Richtung Europa. Im letzten Jahr waren es schon 25.000, in jüngster Zeit überqueren täglich 50 Menschen die Grenze zum Sudan, viele davon entkräftet und von Hunger gezeichnet. Viele der Leichen afrikanischer Flüchtlinge, die im Juli und August 2008 vor den Küsten Maltas oder Lampedusas aufgefunden wurden, waren Eritreer. Ein beredteres Zeugnis für das Scheitern einer einst international bewunderten Befreiungsbewegung kann es nicht geben.

* Dominic Johnson ist Afrika-Redakteur der Berliner Tageszeitung taz.


* Dieser Beitrag erschien in: Südwind-Magazin, Heft 10 (Oktober) 2008

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