Côte d'Ivoires langer Weg zum Frieden
Nach Machtwechsel gilt die Armee als Unsicherheitsfaktor
Von Markus Schönherr, Kapstadt *
Zwei Jahre sind vergangen, seit mit
dem Stichwahlsieg Alassane Ouattaras
gegen Amtsinhaber Laurent
Gbagbo der Führungswechsel in Côte
d'Ivoire eingeleitet wurde. Das Land
schlitterte damals monatelang am
Rande eines neuen Bürgerkrieges.
Die Lage hat sich beruhigt, doch die
Probleme bleiben.
Ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk
sieht anders aus: Der Bericht
der International Crisis Group
(ICG) über die Lage in Côte d'Ivoire
(Elfenbeinküste) war für Präsident
Alassane Ouattara keine reine
Freude. Zwei Tage vor dem Jahrestag
seines Sieges bei der Stichwahl
am 28. November 2010 veröffentlichte
die Organisation ihr Werk »Côte d’Ivoire: Spannungen
abbauen«. Demnach könnte die
größte Bedrohung für die Stabilität
aus seiner eigenen Armee erwachsen.
Die ICG warnt in ihrem Report,
bei den derzeitigen Streitkräften
handele es sich um eine tickende
Zeitbombe, denn sie seien tief gespalten.
Auf der einen Seite stünden
Soldaten, die dem ehemaligen
Gbagbo-Regime die Treue geschworen
hatten, auf der anderen
Seite ehemalige Rebellen, die verschiedenen
Ideologien anhängen.
»Die Überzahl der letzteren bildet
ein großes Hindernis für eine echte
Versöhnung«, sagt Gilles Yabi,
Westafrika-Direktor der ICG. Berichte
über Menschenrechtsvergehen
der Armee hätten gezeigt, wie
wenig Fortschritte es bisher gibt.
Im November 2010 hatte der
seit 2000 amtierende Präsident
Laurent Gbagbo gegen Oppositionsführer
Ouattara verloren. Internationale
Wahlbeobachter hatten
seine Niederlage bestätigt.
Gbagbos Weigerung zurückzutreten,
endete jedoch in einem Blutbad,
das in den folgenden Monaten
3000 Menschenleben forderte.
Im April 2011 wurde Gbagbo festgenommen
und an den Internationalen
Strafgerichtshof in Den Haag
ausgeliefert, wo er seither auf seinen
Prozess wegen Kriegsverbrechen
wartet. Tausende seiner Unterstützer
waren ins Ausland geflüchtet.
Seitdem findet Côte
d'Ivoire langsam zur Ruhe. Anschläge
und Kämpfe zwischen den
politischen Lagern beweisen jedoch,
wie unausgereift die Versöhnung
noch ist.
Am wenigsten tragen die staatlichen
Sicherheitskräfte dazu bei,
die Situation zu entschärfen. In einer
Mitteilung beschuldigte Human
Right’s Watch (HRW) die Armee
letzte Woche Dutzender Menschenrechtsvergehen.
»Razzien in Restaurants, Busstationen und
Privatwohnungen« wären an der
Tagesordnung. Im Visier habe der
rebellische Teil der Armee vor allem
Gbagbo-Anhänger. HRW berichtet
von Festnahmen, bei denen
die Gefangenen »geschlagen, ausgeraubt
und in überfüllte Zellen
gedrängt« würden.
Viele Unterstützer des Expräsidenten
flohen nach der Gewalt in
das östlich gelegene Ghana. Dessen
Flüchtlingsamt zählt rund
1000 Ivorer allein in der Hauptstadt
Accra. Die meisten leben als
»urbane Flüchtlinge« außerhalb
von Flüchtlingscamps. In letzter
Zeit berichten afrikanische Medien
jedoch, wie Ivorer zunehmend
auch in die Lager an der Grenze
strömen und sie »infiltrieren«.
Menschenrechtsorganisationen
beschuldigen radikale Gbagbo-
Treue, Unterstützer zu suchen, um
die Rebellion in ihrer Heimat fortführen
zu können. 43 von ihnen
nahmen die ghanaischen Sicherheitskräfte
im Oktober fest, als sie
die Flüchtlingscamps durchsuchten.
Die ivorische Regierung lastet
den Exilpartisanen an, seit August
mindestens zehn Anschläge auf
Polizei- und Militärstützpunkte in
Côte d'Ivoire verübt zu haben.
Mehrere Soldaten waren dabei
ums Leben gekommen. Die Rebellion
findet auch an der ideologischen
Front statt, durch zahlreiche
Internet- und Printmedien, die
zum Sturz der Regierung aufrufen.
Das angespannte Verhältnis
verschärfen sogenannte Dozos,
berichtet die ICG. Die traditionellen
Jäger entstammen verschiedenen
Ethnien Westafrikas. In Côte
d'Ivoire spielten sie in den letzten
50 Jahren zunehmend eine politische
Rolle. Hoch geschätzt für ihre
kämpferischen Fähigkeiten, wurden
Dozos im Bürgerkrieg von
2002 bis 2005 als Söldner angeheuert.
Spätere Präsidenten, darunter
Gbagbo, hatten versucht,
die Kämpfer zu entmachten – vergebens.
Bei ihrer Rebellion sollen
auch sie Menschenrechte verletzt
haben.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 29. November 2012
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