Zwei Wahlsieger in Côte d'Ivoire
Verfassungsgericht erklärt Entscheidung der Wahlkommission für ungültig
Von Martin Ling *
Das Verfassungsgericht in Côte d'Ivoire hat Oppositionskandidat Alassane Ouattara den Wahlsieg aberkannt. Stattdessen erklärte das Gericht Amtsinhaber Laurent Gbagbo zum Sieger der Präsidentwahl. Das berichtete der britische Sender BBC am Freitag (3. Dez.).
Von einer Beruhigung der Lage kann in Côte d'Ivoire keine Rede sein. Die 1500 Soldaten der regulären Armee aus dem Süden, die während der Wahlen im Norden Dienst schoben, sind ebenso an ihren eigentlichen Standort zurückgekehrt wie die 1500 Mitglieder aus der Rebellenarmee FN (Neue Kräfte) des Nordens, die im Süden mit darauf achten sollten, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Somit stehen sich Nord und Süd klar getrennt und bewaffnet gegenüber. Zwar trennt formal immer noch eine Pufferzone den Norden vom Süden südlich entlang der Linie Danané-Bouaké-Bondoukou, doch der Rückzug der dort seit 2003 nach dem Bürgerkrieg stationierten 7000 Blauhelme und 3500 französischen Soldaten ist seit 2007 im Gang. Ob die UN-Mission für die Côte d'Ivoire (ONUCI) im Ernstfall einen neuen Waffengang unterbinden könnte, ist fraglich. Das wäre das düsterste denkbare Nachwahlszenario.
Nach Angaben der Wahlkommission von Donnerstagabend gewann der Oppositionskandidat Alassane Ouattara mit 54,1 Prozent der Stimmen. In einer ersten Rede nach Verkündung seines Wahlsiegs kündigte Ouattara die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit an, die vom Geist des Friedens und der Vergebung bestimmt sein soll. Der 68-jährige Muslim, der mit einer Französin verheiratet ist, war Premierminister von 1990 bis 1993. Er gilt als Wirtschaftsliberaler und machte Karriere beim Internationalen Währungsfonds.
Der amtierende Präsident Laurent Gbagbo, der auf 45,9 Prozent kam, legte umgehend Protest ein. Das Verfassungsgericht hatte eine Woche Zeit, das Ergebnis zu prüfen, war jedoch schneller. Das Gericht wird von Paul Yao N'Dre geleitet, der von Gbagbo berufen wurde und als Anhänger der Regierungspartei bekannt ist. N'Dre sagte schon kurz nach der Bekanntgabe der Ergebnisse im Fernsehen, dass die Wahlkommission kein Recht habe, »irgendetwas zu verkünden«, da die offizielle Frist abgelaufen sei. Das war in der Tat der Fall. Das Ergebnis hätte laut den Statuten innerhalb von drei Tagen nach den Wahlen bekanntgegeben werden müssen und damit spätestens um Mitternacht am Mittwoch. Dass das nicht geschah, lag freilich an den Anhängern von Gbagbo selbst. Seine Gefolgsleute in der paritätisch besetzten Wahlkommission hatten sich geweigert, das Ergebnis zu unterschreiben, und einer von ihnen verhinderte die Bekanntgabe erster Ergebnisse am vergangenen Dienstagabend gar persönlich, indem er dem Kommissionssprecher die Listen entwand und zerriss.
»Bis zum Schluss« werde man für »das wahre Wahlergebnis« kämpfen, erklärte Gbagbos Wahlkampfleiter Pascal Affi N'Guessan vor wenigen Tagen. Er hat beim Verfassungsgericht die Annullierung der Wahl in drei Regionen des Nordens wegen Einschüchterung beantragt. Am Freitag hat das Verfassungsgericht reagiert: N’Dre annullierte die Wahlen in sieben Bezirken des Nordens, Hochburgen Ouattaras. Damit kommt Gbagbo auf 51 Prozent der Stimmen. Entsprechend rief der oberste Verfassungsrichter den Amtsinhaber zum neuen Präsidenten auf.
Um seinen Machtanspruch durchzusetzen, ließ Gbagbo das Land von der Außenwelt abschließen. Der Nationale Rundfunkrat verkündete, dass keine ausländischen Nachrichtensender mehr empfangen werden können, angeblich »zur Erhaltung des sozialen Friedens«. Die Armee schloss die Grenzen zu den Nachbarländern.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen »begrüßte die Ankündigung der vorläufigen Ergebnisse«, doch forderte er alle Parteien auf, den demokratischen Prozess zu respektieren nachdem mindestens vier Menschen seit den Wahlen bei politischer Gewalt ums Leben kamen.
Es waren die ersten Wahlen in Côte d'Ivoire seitdem der Bürgerkrieg 2002/2003 das Land in zwei Fraktionen spaltete. Innerhalb der Bevölkerung herrschte Hoffnung, dass sie die politische und militärische Pattsituation beenden würden. Dafür spricht auch die hohe Wahlbeteiligung von 81,1 Prozent. Doch anstatt zu einer weiteren Aussöhnung beizutragen, scheinen die Wahlen nun die Gegensätze zwischen Nord und Süd wieder zu vertiefen. Mit ungewissem Ausgang.
* Aus: Neues Deutschland, 4. Dezember 2010
Am Rande des Abgrunds
Nach der Stichwahl in Côte d’Ivoire stehen sich Nord und Süd scheinbar unversöhnlich gegenüber. Armee schließt die Landesgrenzen. USA und EU mischen sich offen ein
Von Raoul Wilsterer **
Die Republik Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) steht erneut vor einem Bürgerkrieg. Offensichtlich hat die Armee am Freitag das Kommando übernommen. Agenturberichten zufolge verfügte das Militär eine Schließung der Grenzen. Vieles deutet darauf hin, daß es gemeinsam mit den im Land stationierten fremden Truppen– die UN sind mit etwa 9000 Soldaten präsent, die ehemalige Kolonialmacht Frankreich (bis 1960) unterhält mit 4500 Mann seinen größten Stützpunkt auf dem afrikanischen Kontinent – das am Donnerstag verkündete Ergebnis der Präsidentschaftswahl am Sonntag durchsetzen will. Demnach obsiegte der Mann des Westens, Alassane Quattara, mit 54,1 Prozent über Amtsinhaber Laurent Gbagbo (45,9 Prozent).
Gbagbo hatte allerdings bereits am Montag Einspruch gegen den Abstimmungsverlauf eingelegt. Es sei zu zahlreichen Manipulationen und Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung in den Nordprovinzen gekommen. Ebendort hat Quattara mit seinen aus abgespaltenen Teilen der Armee gebildeten Forces Nouvelle (FN) das Sagen. Der ehemalige Direktor des Internationalen Währungsfonds gilt als »Drahtzieher des fehlgeschlagenen Putsches gegen Gagbo 2002« (AFP, 3.12.), und somit als einer der maßgeblichen Verantwortlichen für den folgenden fünfjährigen Bürgerkrieg.
Das Land war seitdem gespalten in Nord und Süd, die Pufferzone wurde von Truppen der Vereinten Nationen (ONUCI) verwaltet, derweil sich die französische Streitmacht offen auf der Seite des Nordens einmischte: Die Zerstörung der kleinen ivorischen Luftwaffe löste im Dezember 2004 einen Aufstand vor allem junger Leute gegen die als »neokolonial« wahrgenommene Präsenz französischer Staatsbürger aus. 14000 Menschen verließen fluchtartig das Land in Richtung Paris. Alle Versuche, danach Wahlen zu veranstalten, scheiterten.
Schließlich sollte der 2007 unter UNO-Vermittlung abgeschlossener Kompromißfrieden eine Wiedervereinigung ermöglichen. In Abidjan wurde mit Guillaume Soro ein Vertreter des Nordens Premier und teilte sich die Herrschaft mit Gbagbo. Dieser wiederum machte, für viele überraschend, weitgehende Zugeständnisse insbesondere bei der Erstellung des Wählerverzeichnisses
Tatsächlich hatten zu Beginn der 1990er Jahre die regierenden Statthalter Frankreichs in Abidjan angesichts der starken Migrantenströme auf die Plantagen im Norden – Côte d’Ivoire ist der weltweit größte Kakaoproduzent – eine nationalistische »Ivorismus«-Diskussion initiiert. Die Frage unter anderem des Wahlrechts für »Ausländer«, zu Zeiten der Prosperität unbedeutend, spaltete nunmehr das mit 26 Prozent Migrantenanteil größte Einwandererland Afrikas. Dem Fall der Kakaopreise auf dem Weltmarkt in der 1980er Jahren sowie den drastisch-antisozialen Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) folgte eine Massenverelendung vor allem der bäuerlichen Bevölkerung im ganzen Land, im Norden wie im Süden.
Am Donnerstag nun ( 2. Dez.) gab der Präsident der unabhängigen Wahlkommission (CEI), Youssouf Bakayoko, das Ergebnis der Stichwahl eher beiläufig »während einer Begegnung mit Journalisten in einem Hotel in Abidjan« (AFP) bekannt. Der Verfassungsrat verweigerte die Anerkennung der Resultate, während sich die EU bereits am Dienstag und die USA am Donnerstag mit Appellen an »beide Seiten« hervortaten. Washington bot dafür gar den Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, Michael Hammer, auf. Der erklärte: »Die USA rufen alle Parteien auf, das von der Wahlkommission verkündete Ergebnis zu respektieren.« ONUCI und französische Legionäre stehen Gewehr bei Fuß. Der UN-Sicherheitsrat drohte mit »geeigneten Maßnahmen«.
Gbagbo sprach unterdessen von einem »versuchten Putsch«. Ob sich die Armee des Landes gegen den amtierenden Präsidenten wendet, wird sich schnell zeigen. Dieses wäre das Signal zu einem neuen Bürgerkrieg.
** Aus: junge Welt, 4. Dezember 2010
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