Laurent Gbagbo bangt um die Macht
Präsidentschaftsstichwahl in Côte d'Ivoire
Von Uwe Kerkow *
In Côte d'Ivoire findet am Sonntag die Stichwahl um das Präsidentenamt statt. Das Land erhält einen
neuen Präsidenten – wenn auch mit fünf Jahren »Verspätung«. Dafür sorgten ein Militärputsch und
ein Bürgerkrieg.
Die Fronten sind die alten: Nord gegen Süd. Der Konflikt, der 2002, zwei Jahre nach den
vergangenen Präsidentschaftswahlen, in einen Bürgerkrieg mündete, spiegelt sich auch in der
Stichwahl am Sonntag wider. Denn im ersten Wahlgang vor einem Monat hatten sich zwei alte
Widersacher durchgesetzt: Der Kandidat des Südens, der amtierende Präsident Laurent Gbagbo,
erhielt rund 38 Prozent der Stimmen und verwies Alassane Dramane Ouattara auf den zweiten
Platz. Ouattara – der letzte Premierminister unter dem 1993 verstorbenen Gründungspräsidenten
Félix Houphouët-Boigny – ist der Kandidat des Nordens. Der Muslim kam auf 32 Prozent.
Unmittelbar vor der Wahl bemühten sich die beiden Kandidaten um Mäßigung. In einer
Fernsehdebatte am Donnerstagabend versprachen Amtsinhaber Laurent Gbagbo und der vor allem
in den ehemaligen Rebellengebieten unterstützte Alassane Ouattara vor allem, die Armut an der
Elfenbeinküste zu bekämpfen. Noch in den vergangenen Tagen hatten die Kandidaten sich
gegenseitig Putschversuche vorgeworfen.
Das Rennen ist offen, zumal Henri Konan Bédié, Expräsident und Drittplatzierter im ersten
Wahlgang, eine Empfehlung zu Gunsten Ouattaras abgegeben hat. Das entbehrt nicht einer
gewissen Ironie, denn Bédié und seine Partei waren es, die Mitte der 90er Jahre das Konzept der
»Ivoirité« entwickelten: Mit der Begründung, dass seine Eltern aus Burkina Faso stammen, er
folglich kein »wirklicher« Bürger des westafrikanischen Landes sei, wurde Ouattara 1995 und 2000
an einer Kandidatur für das Präsidentenamt gehindert. Kein Wunder ist es deshalb auch, dass
Gbagbo die Wahlempfehlung Bédiés, der ebenfalls aus dem Süden stammt, als »unnatürlich«
geißelt.
Der friedliche Verlauf des ersten Wahlgangs und vor allem die hohe Beteiligung von 80 Prozent
haben gezeigt, wie sehr sich die Menschen in Côte d'Ivoire die Rückkehr zur Normalität wünschen.
Doch ist damit keineswegs sichergestellt, dass es auch friedlich bleibt. Auf allen Seiten stehen
paramilitärisch organisierte, radikale Gruppen bereit, die jederzeit in der Lage sind, Unruhen zu
entfesseln. Für den Wahlausgang wird entscheidend sein, ob die Bédié-Wähler eher den ethnischen
Vorgaben folgen oder doch – Bédiés Wahlempfehlung entsprechend – Ouattara wählen.
Wer die Abstimmung gewinnt, wird in erster Linie vor die – fast unmöglich scheinende und nur
langfristig lösbare – Aufgabe gestellt, das Land wieder zu vereinen. Wie schwierig das werden
dürfte, zeigte zuletzt das Wochenende vor der Wahl: Anhänger der beiden Konkurrenten lieferten
sich Straßenschlachten. Auch die Schlammschlacht im Wahlkampf erreichte eine neue Qualität:
Zunächst beschuldigte Gbagbo seinen Kontrahenten, »für alle vier Putschversuche« verantwortlich
zu sein, die im Laufe der vergangenen Jahre gegen ihn unternommen wurden. Ouattara konterte
prompt mit dem Vorwurf, Gbagbo sei für die Ermordung von General Robert Guei verantwortlich.
Guei hatte den Putsch von 1999 orchestriert und war 2002 umgebracht worden.
Die beiden Kontrahenten sind politische Veteranen, und sie kennen und bekämpfen sich seit den
90er Jahren. Beide haben den Weihnachtsputsch von 1999 politisch genauso überlebt wie den
Bürgerkrieg, der zu einer De-facto-Teilung des Landes in einen Nord- und einen Südteil führte. 2007
wurde ein Friedensvertrag geschlossen, der eine Teilung der Macht bestimmte. Auch wurde die
Pufferzone zwischen Nord und Süd mittlerweile aufgelöst, doch blieben die UN-Truppen bis heute im
Lande.
Wenn alles ruhig bleibt, könnten die Blauhelme frühestens Ende März 2011 abziehen. Das
gegenwärtige Jahresbudget der Mission beläuft sich auf 485 Millionen US-Dollar. 69 Soldaten haben
auf Seiten der UN im Rahmen dieses jetzt fast sechs Jahre andauernden Einsatzes ihr Leben lassen
müssen. Auch für die UNO ist der Sonntag also ein Tag der Weichenstellung.
* Aus: Neues Deutschland, 27. November 2010
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