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"Schicksalswahl" und Konfrontation

Die Spaltung Côte d’Ivoires soll am Sonntag mit dem Stimmzettel überwunden werden

Von Raoul Wilsterer *

Am Sonntag (28. Nov.) soll in der westafrikanischen Republik Côte d’Ivoire über die zukünftige Präsidentschaft abgestimmt werden. In einer Stichwahl stehen sich zwei Kandidaten gegenüber, die die erste Abstimmungsrunde am 31. Oktober überstanden hatten: Der seit zehn Jahren amtierende Präsident Laurent Gbagbo, der 38 Prozent erhielt, und der frühere Premier Alassane Ouattara (1990–1993). Der ehemals hochrangige Funktionär des Internationalen Währungsfonds (IWF) kam vor vier Wochen auf ein Ergebnis von etwa 32 Prozent. Allerdings blieb selbst unmittelbar vor dem als »Schicksalswahl« gehandelten Ereignis unsicher, ob es stattfinden wird; und falls ja, ob es danach zu einem Bürgerkrieg kommt.

Noch am Mittwoch (24. Nov.) beschäftigten den UN-Sicherheitsrat anhaltende Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der beiden gegnerischen Lager. Man zeigte sich in New York nicht nur »besorgt«, sondern beschloß eine umgehende Verstärkung der seit 2004 durchgeführten »Operation der Vereinten Nationen in Côte d’Ivoire (ONUCI) um bis zu drei derzeit in Liberia stationierte Infanteriekompanien. Diese sollen mit den 8500 ONUCI-Blauhelmen sowie 4500 Soldaten der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich (bis 1960) für Ruhe sorgen: Die Abstimmung, so das UN-Ziel, müsse unbedingt durchgeführt werden, um »das Land wiederzuvereinigen« (BBC news, 23.11.).

Die Chancen hierfür stehen nicht gut. Der im März 2007 zwischen der Regierung in Abidjan einerseits und Vertretern des seit 2002 abgespaltenen Nordens auf der anderen Seite geschlossenen Friedensvertrag sorgte zwar für eine Entspannung der Lage, aber nicht für das Ende der Konfrontation. Wie tief der Spalt quer durch das staatliche Gebilde Côte d’Ivoire nach wie vor ist, demonstrierten noch einmal eindringlich die Ergebnisse vom 31. Oktober: Quattaras Hochburgen liegen ausschließlich im Norden, wo er Stimmanteile von 80 Prozent erreichte. Für Gbagbo gilt Ähnliches, allerdings auf den Süden bezogen. Die Abstimmung am Sonntag könnte folglich statt der Vereinigung die Spaltung befördern – ein denkbar ungünstiges Signal für die einst von Kolonialinteressen diktierten Grenzziehungen in Afrika.

In Côte d’Ivoire hatte Frankreich insbesondere im vergangenen Jahrzehnt versucht, die unsicher gewordenen Ausbeutungsverhältnisse zu stabilisieren. Zwar war der Staat am Golf von Guinea auch nach der geschenkten Unabhängigkeit von 1960 zunächst fest in französischer Hand geblieben. Aufstände dagegen, an denen auch der junge Laurent Gbagbo beteiligt war – er saß dafür zwei Jahre im Gefängnis und mußte später ins Exil –, veränderten den neokolonialen Status nicht. Côte d’Ivoire boomte als größter Kakaoproduzent der Welt und bedeutender Kaffeeanbauer.

Erst die Wirtschaftskrise der 1980er Jahre und die verfallenden Kakaopreise auf dem Weltmarkt erschütterten das Land, sorgten für Verschuldungen und den Einzug des IWF inklusive dessen strenge Auflagen: Privatisierung, Sozialabbau, eine schleichende Verelendung waren die Folge. Die Regierenden nutzten ethnische und konfessionelle Unterschiede im Einwandererland – 26 Prozent der Bevölkerung sind Migranten – zur Herrschaftssicherung: Ein Großteil der Kakaoarbeiter stammt aus Nachbarländern, vor allem aus Burkina Faso, und ist, anders als der Süden, überwiegend muslimisch.

Nach der Jahrtausendwende kam es zum Bürgerkrieg, 2002 zum offenen Aufstand von Teilen des Militärs gegen den 2000 gewählten Präsidenten Gbagbo, 1994 zur faktischen Nord-Süd-Teilung des Landes. Im November 2004 ergriffen die französischen Fremdenlegionäre offen Partei für die Nordrebellen und zerstörten die kleine ivorische Luftwaffe. Dieses wiederum führte zu massiven antikolonial geprägten Protesten, in deren Folge ein Großteil der 14000 in Côte d`Ivoire lebenden Franzosen das Land verließen. Seit über drei Jahren stellen die »Forces Nouvelles« des Nordens mit ihrem Chef Guillaume Soro den Premierminister in Abidjan, Gbagbo blieb im Präsidentenamt. Er setzte zuletzt auf eine Entschärfung der ethnischen Konflikte, was indes nichts an deren Ursachen änderte. Die Weltmarktpreise für Kakao sind weiter im Keller, die Hälfte der 22 Millionen Einwohner lebte unter der Armutsgrenze.

* Aus: junge Welt, 27. November 2010


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