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Elfenbeinküste nach der Wahl

Juntachef flüchtet ins Exil - Wahlbetrug gescheitert

Zehntausende von Personen haben am Mittwoch in Côte d'Ivoire gegen General Guéïs Versuch des Wahlbetrugs protestiert und den Juntachef mit ihrer Todesverachtung ins Exil getrieben. Teile der Armee und die Gendarmerie waren zuvor zu den Demonstranten übergelaufen. Guéïs Herausforderer Gbagbo will eine neue Regierung bilden.

win. Nairobi, 25. Oktober

Zehntausende von Personen sind am Mittwoch trotz der Ausrufung des Ausnahmezustands in der Wirtschaftsmetropole Côte d'Ivoires, Abidjan, auf die Strasse gegangen und haben den Juntachef Guéï, der sich am Vortag zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt hatte, ins Exil verjagt. Dass Guéï mit seinem Versuch des Wahlbetrugs auf grösseren Widerstand stossen würde, deutete sich bereits in den frühen Morgenstunden an, als eine gepanzerte Einheit der Armee die Kaserne von Akouédo angriff, wo die «brigade rouge» stationiert ist, die Prätorianergarde General Guéïs. Augenzeugen berichteten von einem längeren Gefecht, in dem auch schwere Waffen eingesetzt wurden. Der Angriff wurde zwar abgewehrt, doch er bewies, dass Guéï nicht einmal auf die gesamte Armee zählen konnte. Die Gendarmerie stand völlig abseits, was Guéï den Ernst der Lage hätte erkennen lassen müssen. Aus der Hafenstadt San Pedro im Westen berichtete die Agentur Reuters zudem, das Geschäftsleben sei von Demonstranten völlig lahmgelegt worden. San Pedro ist neben Abidjan der wichtigste Umschlagplatz für Kakao, und Côte d'Ivoire ist weltweit der grösste Kakaoproduzent.

Zunehmend isoliert

Nach dem Ende der Ausgangssperre strömten dann auch in Abidjan Tausende von Anhängern des Front populaire ivoirien (FPI) auf die Strassen, wo sie dem Einsatz von Feuerwaffen durchGuéï-treue Soldaten trotzten und laufend Verstärkung von weiteren aufgebrachten Frauen, Männern und sogar Kindern erhielten. In geschichtsträchtiger Anlehnung an Ereignisse im OstenDeutschlands skandierten auch die Demonstranten in Abidjan, sie seien das Volk. Auch in anderen Städten Côte d'Ivoires wurde gegen Guéïsillegitimen Machtanspruch demonstriert, im Gegensatz zu Abidjan allerdings friedlich.

Es wurde in der Folge auch immer klarer, dass wichtige Teile der Sicherheitskräfte - darunter die Polizei und die Gendarmerie - die Seite gewechselt hatten. Bis am Abend gab es keine zuverlässigen Berichte darüber, wie viele Personen imKugelhagel der letzten Junta-treuen Militärs umkamen. Laut der Agentur Reuters sollen mindestens zwanzig Personen Schussverletzungen davongetragen haben. Gegen Ende des Vormittags distanzierten sich prominente Mitglieder der Junta von Guéï, unter ihnen der Premier- und der Informationsminister. Sie berichteten übereinstimmend, dass der FPI-Kandidat Gbagbo diePräsidentenwahl vom Sonntag tatsächlich gewonnen habe.

Guéï hatte am Dienstag angesichts dieser für ihn bösen Überraschung die Wahlkommission auflösen, verhaften und sich selber zum Sieger ausrufen lassen. Am Abend setzte sich der General dann in einer Rede am Fernsehen als erster Präsident der Zweiten Republik ins Amt. Gbagbo reagierte damit, dass auch er sich zum Staatschef erklärte und die «Patrioten im ganzen Land» aufforderte, auf die Strasse zu gehen. Mehrere tausend Personen folgten dem Ruf bereits am Dienstag. Sicherheitskräfte versuchten, der Lage mitdem Einsatz von Tränengas und scharfer Munition Herr zu werden. Laut dem FPI kamen dabei elf Demonstranten ums Leben. Die Agentur AFP berichtete, zuverlässige Quellen hätten von fünf Leichen berichtet, welche am Dienstagmorgen aus der Lagune gefischt worden seien. Gbagbo hatte in seiner Ansprache auch die Übergangsregierung für aufgelöst erklärt, in der seine Partei immer noch mehrere Ministerposten besetzt gehalten hatte. Dann tauchte der 55-jährige Geschichtsprofessor unter; seine Partei erklärte bloss, Gbagbo sei in Sicherheit gebracht worden.

Flucht nach Benin

Am Dienstagmittag verbreitete sich die Kunde, Guéï sei per Helikopter ins Exil geflohen. Nachdem bereits seine Familie in Cotonou, der Hauptstadt Benins, eingetroffen war, bestätigte der Kommandant der Prätorianergarde in einem Interview mit der BBC, dass auch der gestürzte Putschist Guéï dort Zuflucht gesucht habe. Dies war das Zeichen für Laurent Gbagbo, wieder aufzutauchen. In einer Radio- und Fernsehansprache kündigte er an, er werde nun als Staatsoberhaupt die nächste Regierung bilden. Gbagbo zollte jenen Ivoirern Tribut, die während des Aufstands gegen Guéï ihr Leben verloren hatten; er dankte besonders jenen Teilen der Sicherheitskräfte, die sich für die Sache der Demokratie eingesetzt hatten. Er versprach, sich in seinem Amt für die nationale Versöhnung einzusetzen.

In Gbagbos Anspruch auf das Präsidentenamt ist allerdings bereits der Keim neuer Probleme enthalten. Anhänger des vor allem im muslimischen Norden populären Rassemblement des républicains, dessen Präsidentschaftskandidat Ouattara von einem Junta-hörigen Höchsten Gericht disqualifiziert worden war, gingen nämlich am Mittwoch ebenfalls auf die Strasse. Sie demonstrierten aber nicht nur für einen sofortigen Rücktritt Guéïs, sondern auch für eine neue Wahl mit einem Kandidatenfeld, das diesen Namen verdient. Die andere grosse Partei, die sich zum Wahlboykott entschlossen hatte, nachdem alle ihre Kandidaten disqualifiziert worden waren, der Parti démocratique de Côte d'Ivoire, nahm noch nicht Stellung zum überraschenden Machtwechsel. Sie hatte aber nach dem Staatsstreich Guéïs mitteilen lassen, der gesamte Verlauf der Präsidentenwahl sei nur einer Bananenrepublik würdig.


Aus: Neue Zürcher Zeitung, 26. Oktober 2000

Dazu ein Kommentar aus der Frankfurter Rundschau vom selben Tag:

Er klappt nicht mehr, der Staatsstreich an der Urne - nicht auf dem Balkan und auch nicht in Afrika
Von Brigitte Kols

Er klappt nicht mehr, der Staatsstreich an der Urne. Nicht auf dem Balkan und auch nicht in Afrika. Dabei hat Junta-Chef Robert Guéï in Elfenbeinküste beachtliche kriminelle Energie eingesetzt, um sich den Präsidentenjob unter den Nagel zu reißen. Die Konkurrenten hatte er, bis auf einen, schon im Vorfeld ausgeschaltet. Mit freundlicher Unterstützung des obersten Gerichts. Doch der kleine Teil des Volkes, der sein abgekartetes Wahlspiel überhaupt noch mitspielte, erwies sich als harter Kern des politischen Protests, der alles auf den einsamen Gegner des Generals, den Sozialisten Laurent Gbagbo, setzte. Nicht aus herzlicher Zuneigung, sondern zu kühlen Demonstrationszwecken.

Als dessen Sieg durchsickerte, probierte Guéï die früher so bewährten Instrumente der Autokraten durch - bis zur Verhängung des Notstands wider die Aufmüpfigen auf der Straße. Die aber hielten stur, fast nach Belgrader Muster, an dem fest, was hier so schön ziviler Widerstand heißt. Ein erfolgreiches Diktator-Mobbing, diesmal auf Afrikanisch. Als Truppen, sogar Minister überliefen und der Staatssender an die Opposition fiel, setzte sich der große Manipulator, den allein die Ivorer klein gekriegt haben, eilig ins Ausland ab.

Happy End einer demokratischen Lektion der besonderen Art? Nicht ganz. Der Nutznießer des Protests, der Demagoge Gbagbo, macht gegen "Ausländer" und Einwanderer Stimmung und will das Land mittels Grenzschließung zusperren. Er ist auch nicht eben die erste Wahl der Ivorer. Und "saubere" Neuwahlen (etwa nach Belgrader Muster am 23. Dezember?) wird er kaum ansetzen.
Aus: Frankfurter Rundschau, 26. Oktober 2001

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