Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Terror nach dem Sieg

Côte d’Ivoire: Verhaftung von politischen Gegnern statt Lösung drängender Probleme

Von Simon Loidl *

Knapp sechs Monate nach der Verhaftung des ehemaligen Präsidenten von Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste), Laurent Gbagbo, kämpft das Land nach wie vor mit zahlreichen ungelösten politischen, administrativen und ökonomischen Problemen. Während sich die Regierung des neuen Präsidenten Alassane Ouattara bemüht, den Anschein einer rechtsstaatlichen Aufarbeitung der Ereignisse von Anfang des Jahres zu erwecken, berichtete die UNO vergangene Woche von willkürlichen Verhaftungen und Hinrichtungen in dem westafrikanischen Land. So zählte der für Menschenrechtsfragen zuständige UN-Vertreter in Côte d’Ivoire allein zwischen 11. Juli und 10. August 26 Fälle außergerichtlicher Hinrichtungen und »85 willkürliche Festnahmen und illegale Inhaftierungen«. Die Übergriffe werden den »Republikanischen Streitkräften« Ouattaras zugeschrieben. Diese wurden erst im März dieses Jahres gegründet und setzen sich zum überwiegenden Teil aus Angehörigen der vormaligen Rebellenarmee zusammen, die zwischen 2002 und 2007 den Norden des Landes kontrollierte. Opfer der von der UNO geschilderten Übergriffe sind in der Regel Anhänger des gestürzten Expräsidenten Gbagbo.

Unterdessen sind 62 Angehörige der Streitkräfte Gbagbos wegen Verbrechen in der Zeit nach der Präsidentschaftswahl angeklagt worden, unter ihnen auch der frühere Chef der republikanischen Garde, General Brunot Dogbo Blé. Den Angeklagten, von denen 40 sogar verhaftet wurden, werden ganz ähnliche Taten vorgeworfen, die laut dem UN-Bericht derzeit von den Sicherheitskräften der neuen Regierung verübt werden. Anklagepunkte sind unter anderem illegale Festnahmen und Freiheitsberaubung mit Todesfolge.

Nach den von Unregelmäßigkeiten geprägten Wahlen vom November 2010 hatten sich sowohl Ouattara als auch Gbagbo zum Sieger erklärt. Der ehemalige hochrangige Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds Ouattara konnte auf die Unterstützung des Westens rechnen, der Verfassungsrat des Landes wiederum entschied zugunsten Gbagbos. Der Westen unter Führung der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich antwortete mit Sanktionen und schließlich militärischer Intervention. Im März wurde Gbagbo verhaftet, zwei Monate später ließ sich Ouattara als Präsident von Côte d’Ivoire vereidigen.

Auf politischer Ebene ist es Ouattara bislang nicht gelungen, die Spaltung des Landes zu überwinden und die aus dem 2007 beendeten Bürgerkrieg herrührenden Konflikte, die mit den Wahlen 2010 wieder aufgebrochen waren, beizulegen. Obwohl Ouattara wiederholt Versöhnung und Neuanfang beschwor, betreibt die neue Regierung keine ernsthafte Aussöhnungspolitik. Vor der jetzt erfolgten Verhaftung hochrangiger Militärangehöriger wurden bereits Ende Juni mehrere Haftbefehle gegen frühere Mitglieder der Regierung Gbagbo erlassen, denen die Beteiligung an einer »Rebellion« vorgeworfen wird. Mittlerweile wurden auch die ersten Anklagen erhoben.

Neben der immer noch alltäglichen Gewalt durch Sicherheitskräfte und Milizen machen der Bevölkerung des Landes vor allem große Mängel in der Verwaltung zu schaffen, die die Korruption befördern. Nach wie vor fehlt beispielsweise ein einheitliches Steuersystem. Dies nutzen etwa Angehörige der ehemaligen Rebellenarmee im Norden des Landes aus und kassieren Abgaben in in die eigene Tasche.

Hinzu kommen die Nachwirkungen des monatelangen Ausfuhrstopps für Kakao, dem wichtigsten Produkt des Landes. Im Verlauf der Auseinandersetzungen hatte Ouattara Anfang des Jahres die internationalen Konzerne, die den Kakaovertrieb Côte d’Ivoires kontrollieren, zu einem Exportboykott aufgefordert. Die Maßnahme sollte dem Gegenspieler Laurent Gbagbo ökonomischen Spielraum nehmen und führte zu einem Einbruch der Staatseinnahmen, von denen die gesamte Bevölkerung bis heute betroffen ist.

Den Ausweg aus den Problemen sieht Ouattara offenbar in einer noch stärkeren Anbindung an den Westen. Bereits Ende Juli wandte er sich mit einem Hilferuf an die Weltöffentlichkeit: Die ivorische Wirtschaft würde aufgrund der politischen Krise des Landes um sieben Prozent schrumpfen, internationale Hilfe sei dringend nötig, das Land brauche »viel Geld«. Einige Tage später traf er mit US-Präsident Barack Obama und den Spitzen des IWF und der Weltbank zusammen, um die »Unterstützung« auf den Weg zu bringen.

* Aus: junge Welt, 13. August 2011


Zurück zur Seite "Elfenbeinküste" (Côte d'Ivoire)

Zurück zur Homepage