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Erste Aufgabe ist die Versöhnung

Reggae-Musiker Tiken Jah Fakoly über den blutigen Krieg in seiner Heimat Côte d'Ivoire *


Aus Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) kommen Berichte über grausame Massaker. Im Westen des Landes, in Duékoué, sollen Anfang vergangener Woche bis zu 1000 Menschen getötet worden sein, als Truppen des international anerkannten Wahlsiegers Alassane Ouattara die Stadt eroberten. Massengräber wurden auch an anderen Orten entdeckt. Am Wochenende setzten Ouattaras Truppen ihre Offensive gegen die Anhänger des bisherigen Präsidenten Laurent Gbagbo in der Millionenstadt Abidjan fort. Einer der bekanntesten Reggae-Musiker der Welt, Tiken Jah Fakoly, ist Ivorer. Wegen seines Engagements gegen soziale Ungerechtigkeit und Korruption in seiner Heimat wurde er mit dem Tode bedroht. Nachdem mehrere seiner Freunde umgebracht worden waren, entschied er sich 2007 für das Exil in Mali. Am Rande eines Konzerts in Berlin befragte ihn Claudia Altmann für das Neue Deutschland (ND) zu den jüngsten Ereignissen in Côte d'Ivoire.

ND: Ihr Heimatland ist Schauplatz erbitterter Kämpfe. Was empfinden Sie in diesen Momenten?

Fakoly: Ich bin traurig darüber, dass sich die Menschen gegenseitig umbringen. Es gab Wahlen und alle dachten, damit fände das Land seine Stabilität wieder. Doch der scheidende Präsident klammert sich an die Macht. Mit diesem politischen Banditentum muss endlich Schluss sein, sonst hält die Demokratie niemals in Afrika Einzug. Wir dürfen nicht zulassen, dass jedes Mal nach einer Abstimmung der Abgewählte an seinem Stuhl klebt. Deshalb muss Laurent Gbagbo abtreten, auch wenn das mit Todesopfern verbunden ist. Es ist nicht hinnehmbar, dass er den Willen des Volkes mit Füßen tritt.

Ist Gbagbos Rivale Alassane Ouattara die Lösung?

Es gab eine Wahl und einen Wahlsieger, also muss der alte Präsident den Stuhl räumen. Wenn sich zeigt, dass Ouattara unsere Erwartungen nicht erfüllt, werden wir ihn in fünf Jahren abwählen, so wie wir das mit Gbagbo getan haben. So sehe ich das. Das heißt nicht, dass ich Ouattara unterstütze. Er selbst sagt, dass er die Lösung der Probleme sei. Wir werden sehen. Sicher steht er vor einer sehr schweren Aufgabe, denn die Ivorer waren schon einmal versöhnt – ich habe 2007 auch dazu beigetragen. Aber jetzt wurden sie erneut gespalten. Ouattara muss zuerst die Versöhnung in Angriff nehmen. Das wird vielleicht sechs Monate oder länger dauern. Aber dann muss man an die Arbeit und die Entwicklung des Landes gehen.

Warum kommt Ihr Heimatland nicht zur Ruhe?

Es sind die machthungrigen Politiker, die das Volk spalten, um es leichter beherrschen zu können. Auch vom einstigen Oppositionellen Gbagbo dachten wir, er träte für einen Wandel an. Aber alles wurde noch schlimmer. Die Ivorer müssen aufwachen und verstehen, dass man diese Politiker gemeinsam bekämpfen muss. Unsere Zerstrittenheit kommt denen doch zupass. Wir müssen uns gegen die Strategie der Spaltung vereinen.

Wie können Sie als Musiker dazu beitragen?

Wir müssen das Volk aufrütteln und eine andere Sprache als die Politiker sprechen. Unsere Aufgabe ist es, die Wahrheit ans Licht zu bringen, damit das gegenseitige Morden aufhört. Wir müssen erklären, dass nicht der Nachbar der Feind ist, sondern derjenige, der leere Versprechungen gemacht hat. Ich habe den Eindruck, diese Botschaft ist mittlerweile auch bei den meisten in meiner Heimat angekommen. Das war nicht einfach, weil Gbagbo drei Monate lang das Staatsfernsehen für seine Propaganda missbraucht hat. Viele haben sich von seinen Lügen manipulieren lassen.

Sobald der neue Präsident im Amt ist, werden wir unseren Brüdern die Augen öffnen und ihnen klar machen, dass niemand gewinnen kann, solange Uneinigkeit herrscht. Einigkeit liegt in unser aller Interesse. Wir müssen uns auf demokratische Weise, mit den Stimmen der Gewerkschaften, der Zivilgesellschaft, der Oppositionsparteien äußern, statt uns gegenseitig umzubringen.

Sie werden nicht müde, den Westen zu kritisieren, und dennoch setzen sie auf dessen Modell der Demokratie?

Ja, ich denke, es ist ein gutes Modell, und wir sollten alles Gute übernehmen und das Schlechte zurückweisen. Demokratie bedeutet, dass dem Volk die Stimme gegeben wird und das Volk die Macht übernimmt. Bis jetzt benehmen sich afrikanische Führer, als hätten sie allein die Macht, sie sehen sich als Vertreter Gottes auf Erden. Aber es ist das Volk, das sie ins Amt hebt oder absetzt. Auch bei uns gibt es gute Traditionen wie Brüderlichkeit und Solidarität, die wir bewahren werden. Unsere Vorfahren haben aber auch Traditionen geschaffen, die nicht mehr der heutigen Zeit entsprechen. Schlechtes – etwa die Beschneidung – müssen wir über Bord werfen. Ich bin überzeugt, dass Demokratie in Afrika möglich ist. Es ist letztlich der einzige Weg, unsere Interessen gegenüber dem Westen zu verteidigen.

Wir wissen, dass der Westen zu uns kommt und billig unseren Kaffee, unseren Kakao, unser Gold, unsere Diamanten, unser Kobalt kauft. Wir aber dürfen nicht länger zulassen, dass unsere Bodenschätze verramscht werden. Ich will den Menschen genau das klar machen, damit sie unseren Führern tatsächliche Macht in die Hände geben. Die afrikanischen Führer, die nicht auf Seiten des Westens sind, werden heutzutage dafür bestraft. Sie brauchen die Unterstützung ihrer Völker, um nationale Interessen durchsetzen zu können.

Viele Afrikaner resignieren und fliehen aus ihren Heimatländern...

Ich unterstütze das nicht, ich will, dass die Afrikaner in Afrika bleiben. Niemand wird unseren Kontinent verändern, wenn wir es nicht selbst tun. Das sage ich auch in meinem Album »African Revolution«. Ich bin überzeugt, dass der Platz aller Afrikaner – ob sie gerade in Berlin oder anderswo leben – in Afrika ist. Sie sind dorthin gegangen, wo es Meinungsfreiheit und Demokratie gibt. Jetzt müssen sie nach Hause kommen und helfen, dort dasselbe aufzubauen. Man ändert nichts, wenn man aus der Ferne über die Zustände in Afrika klagt. Deshalb bin ich nicht ins Exil nach Frankreich oder Kanada gegangen, sondern nach Mali. Mein Platz ist in Afrika, dort führe ich meinen Kampf weiter.

* Aus: Neues Deutschland, 4. April 2011


Tödliche Hilfe des Westens

Bis zu 1000 Tote bei Massaker in Cote d’Ivoire: UNO und Caritas werfen von Paris und Washington unterstützten Ouattara-Milizen Massenhinrichtungen vor

Von Rüdiger Göbel **


Brandschatzungen und Massenhinrichtungen in Cote d’Ivoire (Elfenbeinküste): Im Westen des afrikanischen Staates sollen Rebellentruppen des vom Westen unterstützten Präsidentschaftsanwärters Alassane Ouattara in der vergangenen Woche Hunderte Menschen ermordet haben. Laut UNO waren in der Stadt Duékoué mehr als 330 Menschen Opfer »außer­gerichtlicher Hinrichtungen«. Die UN-Mission UNOCI spricht von einem »Kriegsverbrechen« und erklärte, die Zahl könne wegen laufender Untersuchungen noch steigen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) geht von über 800 Toten allein am 29. März aus, die Hilfsorganisation Caritas befürchtet mehr als 1000. Die Opfer seien durch Schüsse getötet oder mit Macheten zu Tode gehackt worden.

In Cote d’Ivoire tobt seit den Präsidentschaftswahlen im November ein Machtkampf zwischen dem amtierenden Staatschef Laurent Gbagbo und dessen Herausforderer Ouattara, der international als Wahlsieger anerkannt und unterstützt wird. In der vergangenen Woche hatten Ouattara-Kämpfer, die sich mittlerweile »Republikanische Streitkräfte« (FRCI) nennen, in dem westafrikanischen Land eine Offensive gestartet. Berichten zufolge wurden sie logistisch, mit Waffen und von Militärberatern der früheren Kolonialmacht Frankreich unterstützt.

Korrespondenten der Nachrichtenagentur AP berichteten am Sonntag: »Ivorische Entwicklungshelfer, die in Duékoué waren, erklärten, Überlebende dort machten Ouattara-Kämpfer für die Morde verantwortlich. Als die Truppen in die Stadt gekommen seien, hätten sie Augenzeugenberichten zufolge sofort das Viertel Carrefour angesteuert, das von einer Gbagbo-Miliz kontrolliert worden war. ›Es gab großangelegte Tötungen, sie steckten den Ort in Brand und fackelten das Viertel vollständig ab‹, sagte ein Entwicklungshelfer, der anonym bleiben wollte.«

Die »Regierung« Ouattaras wies die Vorwürfe am Wochenende zurück – mit teilweise widersprüchlichen Begründungen. Alle Getöteten seien bewaffnete Kämpfer und keine Zivilisten gewesen, hieß es etwa. Gleichzeitig wurden die UN-Truppen beschuldigt, die Stadt Duékoué verlassen und die Zivilisten dort »rachsüchtigen« Milizsoldaten Gbagbos überlassen zu haben. Diese hätten dann rund 100 Menschen getötet. Der UN-Menschenrechtsbeauftragte Guillaume Ngata machte am Samstag Anhänger Gbagbos ebenfalls für den Tod von 100 Zivilisten verantwortlich. Indirekt wird damit wiederum bestätigt, wer für das Gros der Morde verantwortlich ist.

Die USA positionierten sich angesichts der Massakerberichte »zutiefst besorgt«: Außenministerin Hillary Clinton forderte Gbagbo zum sofortigen Rücktritt auf. Dieser treibe die Elfenbeinküste »in die Gesetzlosigkeit«. Die Anhänger Ouattaras, deren brutales Vorgehen in anderen Fällen als »Völkermord« bezeichnet und geahndet würde, »mahnte« sie, die Kriegsgesetze zu respektieren und die Angriffe auf Zivilpersonen einzustellen. Die von Washington »Ermahnten« versuchten am Sonntag weiter, den Regierungssitz Abidjan unter Kontrolle zu bekommen. Truppen der französischen Operation »Licorne« übernahmen derweil die Kontrolle über den internationalen Flughafen der Stadt.

Sevim Dagdelen, Sprecherin für internationale Beziehungen der Linksfraktion im Bundestag, erklärte wiederum am Sonntag gegenüber junge Welt : »Frankreich und die UNO tragen durch ihre Parteinahme und Unterstützung für Ouattara mit Schuld an den Massakern seiner Truppen.« (Siehe auch jW vom 2./3. April)

** Aus: junge Welt, 4. April 2011


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