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Gbagbo nach Den Haag ausgeliefert

Internationaler Haftbefehl gegen ehemaligen Staatschef von Côte d’Ivoire vollstreckt

Von Simon Loidl *

In der Nacht zu Mittwoch ist der Anfang des Jahres gestürzte Präsident von Côte d’Ivoire, Laurent Gbagbo, nach Den Haag ausgeliefert worden. Am Dienstag hatte der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) einen Haftbefehl ausgeschrieben, noch am selben Abend begann die Überstellung, und am Mittwoch gegen vier Uhr früh traf Gbagbo in den Niederlanden ein. Seitens des IStGH hieß es, gegen den ehemaligen Präsidenten würden vier Anklagepunkte in Zusammenhang mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorliegen. Unter anderem wird ihm die Mitverantwortung für Morde und Vergewaltigungen während der monatelangen Kämpfe nach den Präsidentschaftswahlen in Côte d’Ivoire im November 2010 vorgeworfen. Noch am Dienstag hatte Lucie Bourthoumieux vom Anwaltsteam Gbagbos erklärt, vom IStGH nicht über die Anklagepunkte informiert worden zu sein. Bei dem Haftbefehl handelt es sich ihrer Ansicht nach »um eine politische, keine juristische Entscheidung«.

Nach der Abstimmung im vorigen Jahr hatten sich sowohl Gbagbo als auch sein Herausforderer Alassane Ouattara zum Sieger erklärt. Der Verfassungsrat von Côte d’Ivoire stellte sich hinter Gbagbo und erklärte ihn zum Sieger. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, die UNO und westliche Medien hingegen unterstützten Ouattara. Paris verhängte Sanktionen gegen das Land und intervenierte mit Unterstützung von UN-Truppen militärisch gegen Gbagbo. Dieser wurde schließlich im März verhaftet und stand seither unter Hausarrest. Im Mai erklärte sich Ouattara zum neuen Präsidenten. Die ivorische Justiz leitete Untersuchungen gegen das abgesetzte Staatsoberhaupt wegen der Verantwortung für Verbrechen, die im Zuge der bewaffneten Auseinandersetzungen begangen wurden, aber auch wegen »Wirtschaftsverbrechen« während seiner Amtszeit ein.

Gleichzeitig begann eine Repressionswelle gegen Anhänger Gbagbos. Im August berichtete die UNO von zahlreichen willkürlichen Verhaftungen und außergerichtlichen Hinrichtungen. Die Übergriffe wurden vor allem den »Republikanischen Streitkräften« zugeschrieben, die sich zu einem großen Teil aus Angehörigen der vormaligen Rebellenarmee zusammensetzen. Diese hatte zwischen 2002 und 2007 den Norden des Landes kontrolliert.

Auch Amnesty International machte während der vergangenen Monate wiederholt auf die massiven Menschenrechtsverletzungen aufmerksam, die seit dem Amtsantritt Ouattaras auf der Tagesordnung stünden. Die Organisation appellierte an den Präsidenten, seine Sicherheitskräfte von Verbrechen abzuhalten und Inhaftierten den Besuch von Anwälten und Angehörigen zu ermöglichen.

Die Überstellung Gbagbos nach Den Haag ist der vorläufige Höhepunkt der einseitigen juristischen Aufarbeitung des Konflikts. Viele Beobachter sprechen von »Siegerjustiz« und warnen davor, daß die Auseinandersetzungen in Côte d’Ivoire nach Gbagbos Auslieferung erneut aufbrechen könnten. Seine Partei, die Ivorische Volksfront (FPI), will aufgrund der Repressionen gegen ihre Anhänger die im Dezember stattfindenden Parlamentswahlen boykottieren. Auch der Ausgang der Präsidentschaftswahlen ist nach wie vor zentrales Thema. Erst kürzlich berichtete die Internetseite ivoireleaks.de von einer neuerlichen Analyse des Ergebnisses, die zu dem Schluß kommt, daß Gbagbo vor einem Jahr die Mehrzahl der Stimmen erhalten hat.

* Aus: junge Welt, 1. Dezember 2011


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