Laurent Gbagbo entkommt dem Bunker
Der blutige Machtkampf in Côte d'Ivoire ist vorbei / Abgewählter Präsident in Gewahrsam genommen *
Der laut Wahlkommission abgewählte Präsident Gbagbo wurde fünf Monate nach der
Präsidentenwahl in seiner Residenz festgenommen. Dem international anerkannten Präsidenten
Alassane Ouattara kommt nun die schwierige Aufgabe zu, das Land wieder zu einen.
»Ich habe das Vergnügen, Ihnen die Festnahme von Monsieur Gbagbo bekannt zu geben. Er lebt und ist wohlauf«, sagte Youssoufou Bamba. Er ist UN-Botschafter
von Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) und überbrachte die Botschaft am Montag am Rande der Sicherheitsratssitzung bei den Vereinten Nationen in New York. Gbagbo werde der Justiz überstellt. Derzeit sei er an einem »sicheren Platz«. Wo genau er sich aufhalte, könne aus
Sicherheitsgründen nicht gesagt werden.
Bamba betonte in seiner kurzen Erklärung dreimal, dass Soldaten aus dem Land selbst Gbagbo festgenommen hätten. »Berichte, nach denen es französische Truppen waren, sind falsch. Monsieur Gbagbo wurde von den Streitkräften der Republik Côte d'Ivoire festgenommen.« Er rief dessen
Anhänger auf, sofort die Waffen niederzulegen. »Sie kämpfen jetzt für nichts mehr. Das Töten muss nun ein Ende haben.«
Gbagbos Festnahme bestätigte auch Patrick Achi, der Sprecher des international anerkannten
Wahlsiegers Alassane Ouattara. »Er ist mit seiner Familie und einigen Kollaborateuren hier«, sagte
Achi aus dem Golf Hotel in Abidjan, wo Ouattara seit Dezember sein Hauptquartier hat. Die
französischen Streitkräfte bestritten, an der Überwältigung Gbagbos beteiligt gewesen zu sein. »Zu
keinem Augenblick sind die französischen Soldaten in den Park oder die Residenz des Präsidenten
eingedrungen«, hieß es. Angeblich hatten Ouattaras Republikanische Truppen (FRCI) Gbagbo in
seiner seit fast einer Woche belagerten Residenz festgenommen.
Nach Beendigung des Militäreinsatzes brach in Abidjan Freudentaumel aus. Viele Menschen, die
sich aus Angst vor den Kämpfen seit Tagen in ihren Wohnungen verbarrikadiert hatten, eilten
jubelnd auf die Straße. Die Bevölkerung der Millionenmetropole hatte zunehmend unter Gewalt und
Versorgungsengpässen gelitten.
Bereits in der Nacht zum Montag (11. Apr.) waren französische Soldaten zusammen mit UN-Soldaten und mit
gepanzerten Fahrzeugen gegen die Residenz Gbagbos vorgestoßen. Dort hatte sich Gbagbo mit
schwer bewaffneten Milizen verschanzt. Auch in anderen Stadtteilen der Hafenstadt Abidjan war
französisches Militär auf dem Vormarsch, um Gbagbos Kämpfer aufzuhalten, die am Wochenende
neue Gebiete zurückerobert hatten. Frankreich hat zurzeit etwa 1650 Soldaten in dem
westafrikanischen Krisenstaat.
Ein Berater des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy bestätigte in Paris Medienberichte,
wonach Frankreich am Montag erneut an der Seite der Vereinten Nationen militärisch eingegriffen
hätte. Henri Guaino betonte im TV-Sender France 2, Aufgabe der französischen Soldaten sei die
Vermeidung eines Blutbads: »Diese militärische Intervention Frankreichs wurde von der UNO
erbeten, um die Zivilbevölkerung zu schützen.« Laurent Gbagbo und seine Anhänger dürften das
anders sehen.
* Aus: Neues Deutschland, 12. April 2011
Laurent Gbagbo gefangengenommen
Laurent Gbagbo befindet sich seit Montag nachmittag (11. Apr.) in den Händen seiner Gegner. Wie mehrere Agenturen übereinstimmend meldeten, wurde der Präsident von Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) von Elitesoldaten der französischen »Opération Licorne« (Operation Einhorn) auf dem Gelände der Präsidentenresidenz in Abidjan gefangengenommen. Die Vertreter der ehemaligen Kolonialmacht haben ihn demnach den Rebellentruppen von Alassane Ouattara übergeben. Dieser war nach den Präsidentschaftswahlen Ende November 2010 vor allem im Westen als Sieger bezeichnet worden.
Seit Sonntag abend hatten zunächst Kampfhubschrauber der Blauhelmtruppe UNOCI und der Franzosen das Gelände, auf dem sich Gbagbo aufhielt, sturmreif geschossen. Die Gebäude seien zum Teil zerstört worden, hieß es. Am Montag morgen waren dann etwa 30 Panzerfahrzeuge der »Licorne«-Einheiten aus ihrem Stützpunkt auf das Präsidentengelände im Zentrum Abidjans vorgerückt. Auch Rebellen der Ouattara-Armee seien an dem Angriff beteiligt gewesen, berichteten Anwohner. Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy und der Leiter der UNOCI, Choi Young Jin, hätten die militärische Offensive mit der Begründung genehmigt, Gbagbos Truppen setzten weiterhin »schwere Waffen gegen die Zivilbevölkerung« ein. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon persönlich hätte die Luftschläge gebilligt. Gbagbos Jugendminister Charles Blé Goudé wies am Montag im TV-Sender France 24 die Vorwürfe zurück, wonach sich schwere Waffen in der Residenz befunden hätten. Ein Präsidentensprecher warf Frankreich vor, Gbagbo »ermorden« zu wollen.
Nach Bekanntwerden der Gefangennahme trat der UN-Sicherheitsrat am Montag zu einer sofortigen Sondersitzung zusammen. Untergeneralsekretär Alain Le Roy gab einen Lagebericht. Der Franzose ist Chef aller UN-Soldaten weltweit. Die Blauhelme in Côte d`Ivoire hatten in den vergangenen Wochen offen auf seiten der Rebellen Partei ergriffen und deren Vormarsch auf Abidjan unterstützt.
(dapd/AFP/jW)
* Aus: junge Welt, 12. April 2011
Der Militärputsch
Côte d’Ivoire: UNO-Generalsekretär befiehlt Angriff auf Präsidentenresidenz. Französische Bodentruppen rücken vor
Von Raoul Wilsterer **
Seit nunmehr einer Woche steht fest: Die Blauhelmtruppen der Vereinten Nationen (UNOCI) und die französische Eliteeinheit »Opération Licorne« (Operation Einhorn) in Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) sind Kriegspartei. Bei dem Einsatz der etwa 11000 UN-Soldaten und 1650 Legionäre, mit dem ursprünglich und nach offiziellem Sprachgebrauch eine »friedliche Konfliktlösung« in dem gespaltenen westafrikanischen Land bewirkt werden sollte, handelt es sich um eine internationale Militäraktion, die den Charakter eines Staatsstreichs angenommen hat.
Am Sonntag abend (10. Apr.) nahm UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon höchstpersönlich das Heft in die Hand und befahl kurzerhand einen Angriff von UNOCI- und Licorne-Kampfhubschrauber auf Palast und die Residenz des Präsidenten in der Hafenmetropole Abidjan. Offiziell begründete Ban die Luftattacke mit der notwendigen »Neutralisierung« von »schweren Waffen«, mit denen »Zivilisten bedroht« würden. Auch seien diese beim Beschuß des Hauptquartiers von Oppositionsführer Alassane Ouattara am Sonntag eingesetzt worden.
Tatsächlich drängt sich angesichts des Ziels – wie schon bei den Luftschlägen in der Nacht von Montag auf Dienstag vergangener Woche – der Eindruck auf, daß der amtierende, offizielle Präsident des Landes, Laurent Gbagbo, mit allen dafür »notwendigen Mitteln« (Ban) gestürzt werden soll. Dabei wird dessen Tod ebenso in Kauf genommen wie der von Unbeteiligten, vorrangig von Bewohnern der Viertel Le Plateau und Cocody, in denen sich die Gebäude des Präsidenten sowie »Militärlager« befinden. Nicht nur die Residenz Gbagbos sei getroffen worden, sondern »alle Orte, von denen wir wissen, daß dort schwere Waffen gelagert werden«, erklärte am Montag ein UN-Sprecher.
Ebenfalls am Montag (11. Apr.) wurden dann Bodentruppen eingesetzt. Ein Konvoi aus 30 Panzerfahrzeugen der französischen »Einhörner« – die ehemalige Kolonialmacht verfügt im Land über den größten Stützpunkt auf afrikanischem Boden – setzte sich vom Süden der Vier-Millionen-Stadt am Golf von Guinea in Richtung Zentrum in Bewegung, dorthin, wo sich Gbagbo »verschanzt« (dapd) habe. Zuvor war Ouattaras Rebellenarmee beim Versuch, die Präsidentenanlagen zu erstürmen, »kläglich« gescheitert, so der Spiegel (15/2011). Am Donnerstag hatten sie das Gebiet zur »Sperrzone« gemacht und erklärt, Gbagbo und dessen – nach unterschiedlichen Berichten – bis zu tausend Bewaffnete »aushungern« zu wollen. Am Montag zitierte der Spiegel diesbezüglich einen Insider: »Wenn er (Gbagbo) will, kann er Monate dort aushalten.«
Dem vorzubeugen, so scheint es, und Gbagbo zu stürzen, stellen sich die internationalen Truppen im Land erneut an die Seite eines vom Westen gewünschten Präsidenten Ouattara. Dieser habe schließlich die Stichwahl um die Präsidentschaft am 28. November gewonnen, wird seit Monaten gebetsmühlenartig behauptet – und das trotz Unregelmäßigkeiten, Gewalt, offensichtlicher Manipulationen und Streit in der Wahlkommission. Dessen Leiter hatte nicht nur die laut Verfassung vorgegebene Frist zur Verkündung des Ergebnisses überschritten. Auch erhob der Verfassungsrat als »letzte Instanz« Einwände gegen die angebliche Wahl Ouattaras und erklärte schließlich Gbagbo zum Sieger.
Der für seine antikoloniale Haltung insbesondere im Pariser Elysee-Palast unbeliebte Gbagbo genießt nicht nur, aber vor allem im Süden der Republik Côte d’Ivoire einiges Ansehen. Das Image seines Kontrahenten Ouattara, ein ehemals hochrangiger Privatisierer des Internationalen Währungsfonds, litt zuletzt stark. Angst vor dessen Rebellenarmee, deren Vormarsch von Massakern und Vergewaltigungen begleitet ist, geht um. Zudem steht er Nicolas Sarkozy habe. Dieser besprach mit Ouattara »bereits die Zukunft des Landes«, weiß der Spiegel. Es seien die einstigen Kolonialherren, »die nun für Hilfe sorgen müssen«.
* Aus: junge Welt, 12. April 2011
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