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Mißhandelter Gbagbo im Unterhemd:

Côte d’Ivoire am "Beginn einer neuen Ära" *

Das Foto von Laurent Gbagbo, das am Montag abend (11. April) um die Welt ging, erinnerte an den 20. Mai 2005. An dem Freitag präsentierte das britische Boulevardblatt The Sun unter der Schlagzeile »Tyrann in Unterhose« Saddam Hussein – Bild zog tags drauf nach. Die Sieger des Irak-Kriegs hatten ihn doch noch »geschnappt«, den Präsidenten, und nunmehr führten sie ihre Beute vor, »heimlich« abgelichtet im Knast der Besatzungstruppen. Anderthalb Jahre danach, am 30.12.2006, henkten ihn die Scharfrichter des Regimes, eine Zeremonie begleitet von Spott und Hohn.

Was mit Gbabgo, dem am Montag »geschnappten«, in das Hauptquartier seines Gegners verbrachten Präsidenten Côte d`Ivoires geschehen wird, blieb bisher unklar. Er ist nicht Saddam, der vom Westen zum Hitler unserer Zeit dämonisiert worden war. Doch bekam Gbagbo, der »international nicht anerkannte Machthaber« (FAZ) und »Sozialist« (SZ), unmittelbar zu spüren, was ihm drohen könnte: Deutliche Mißhandlungsspuren im Gesicht – Auge und Backe dick geschwollen, was von »der Ohrfeige eines Soldaten stammen« könnte (Berliner Zeitung) – vermittelten einen Eindruck davon, wozu die Sieger fähig sind. Oder einen Vorgeschmack davon?

Bekannt ist, daß Vergewaltigungen, Mißhandlungen und mindestens ein Massaker den Vormarsch der selbsternannten »Republikanischen Streitkräfte« (FRCI) begleiteten. Nun debattieren die dafür Verantwortlichen um Alassane Ouattara, des als »Präsidenten« gefeierten neuen starken Manns, was sie mit Gbagbo anstellen werden. Eine Überstellung nach Den Haag, wo am Internationalen Strafgerichtshof der als westlicher Sachwalter im Süden der Welt längst diskreditierte Chefankläger Luis Moreno-Ocampo sein Unwesen treibt? Oder ein Prozeß im eigenen Land, was »möglicherweise zu weiteren Unruhen führen« kann, wie der Washingtoner Afrika-Experte Richard Downie fürchtet? Jedenfalls wird um Gbagbos Haut gefeilscht im »Hôtel du Golf«, der Ouattara-Zentrale.

Dorthin hätten französische Legionäre der »Opération Licorne« (Operation Einhorn) den langjährigen Präsidenten – die ihm vorgelegte Abdankungsurkunde hatte er am Dienstag noch nicht unterschrieben – gebracht und den Ouattara-Leuten übergeben, hieß es am Montag. Das Dementi erfolgte umgehend. Es sei nicht ihre Aufgabe, ihn »mit militärischen Mitteln zu vertreiben«, meinte Henri Guaino, »Sonderberater« von Nicolas Sarkozy.

Tatsächlich versucht Frankreich, sein zuallererst in Westafrika allzeit präsentes Image als unbelehrbare Kolonialmacht nicht noch weiter zu fördern. Allerdings wird das Dementi nicht helfen: Die Kampfflugzeuge, Panzer, Elitesoldaten, ohne die der Vormarsch der Rebellenarmee auf den Präsidentenpalast nicht möglich gewesen wäre, lassen sich nicht wegleugnen. Und auch nicht das gemeinsam mit UN-Blauhelmen durchgesetzte erklärte Kriegsziel, also Sturz des unbotmäßigen Gbagbos und Inthronisierung des für den Westen pflegeleichten Exbankers Ouattara.

Dieser wurde durch einen internationalen Militärputsch unter Führung Frankreichs und der USA inklusive UN-Generalsekretär Ban Ki Moon inzwischen zum Staatschef gemacht. Er wird sich dankbar erweisen – »Beginn einer neuen Ära« (O-Ton Ouattara, 12. April 2011).

* Aus: junge Welt, 13. April 2011


Ouattaras Hypothek

Von Martin Ling **

Einen letzten Dienst hat Laurent Gbagbo seinem Land geleistet: Er rief seine Anhänger nach seiner Festnahme per Fernsehbotschaft dazu auf, nun die Kämpfe ruhen zu lassen. Auch wenn noch nicht sicher ist, ob die Botschaft schnell verfängt, dürfte der offene Bürgerkrieg, wie er in den letzten Wochen in Côte d'Ivoire wütete, ad acta gelegt sein. Damit wird der Notstand in Abidjan für die Zivilbevölkerung bald vorbei sein. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass der blutige Machtkampf nach der Stichwahl von November 2010 jene Gräben wieder aufgerissen hat, die das Land nach dem Bürgerkrieg 2002 nur mühsam und nur unter ausländischem Druck kosmetisch zugekleistert hatte – inklusive einer von UN-Blauhelmen gesicherten Pufferzone zwischen Nord und Süd, die die einstigen Bürgerkriegsparteien voneinander trennte.

Gbagbos Kontrahent Alassane Ouattara aus dem Norden tritt das Amt des Präsidenten mit einer schweren Hypothek an: Das Land ist extrem polarisiert, die Gewalt hat neue offene Rechnungen entstehen lassen, wo die alten noch nicht mal beglichen waren. Dass Ouattara nach südafrikanischem Vorbild eine Wahrheits- und Versöhnungskommission auf den Weg bringen will, kann ein Schritt in eine bessere und friedfertige Zukunft von Côte d'Ivoire sein. Aber nur dann, wenn dort auch die Verbrechen von Ouattaras Truppen selbst auf den Tisch kommen. Denn dass es auf beiden Seiten Gräueltaten gab, ist offenkundig.

** Aus: Neues Deutschland, 13. April 2011 (Kommentar)


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