Ist Côte d'Ivoires Machtkampf entschieden?
Verhandlungen über Rückzug Gbagbos und einen dauerhaften Waffenstillstand in vollem Gange *
Der blutige Machtkampf in Côte d'Ivoire steht offenbar vor dem Ende. Auch die Armeeführung will
nicht länger für den abgewählten Präsidenten Laurent Gbagbo kämpfen. Derweil sind eine Million Menschen auf der Flucht.
Fünf Monate nach der Wahlniederlage des früheren
Präsidenten Laurent Gbagbo begannen am Dienstag Verhandlungen über einen dauerhaften
Waffenstillstand in Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste). Gbagbo soll sich mit seiner Familie in seine
Residenz geflüchtet haben. Seine Getreuen hielten sich weitgehend an eine Waffenruhe. Anhänger
und Einheiten des von der internationalen Gemeinschaft anerkannten Präsidenten Alassane
Ouattara feierten den Sieg.
»Der Krieg ist vorbei«, sagte Alcide Djedje, der in die französische Botschaft geflüchtete
Außenminister Gbagbos, dem britischen Rundfunksender BBC. Es werde über einen dauerhaften
Waffenstillstand verhandelt.
Die Spitzen der Armee, der Polizei und der Präsidentengarde ordneten eine Waffenruhe an. Ein UNSprecher
berichtete, die Generäle hätten die Vereinten Nationen telefonisch über die Feuerpause
unterrichtet.
Die Soldaten, darunter auch die bisherigen Eliteeinheiten des abgewählten Präsidenten Gbagbo,
sollen sich den UN-Friedenstruppen ergeben und ihnen ihre Waffen übergeben. Zunächst war
unklar, ob auch die paramilitärischen Milizen den Kampf einstellen.
In der seit Tagen umkämpften Hafenstadt Abidjan waren am Nachmittag kaum noch Schüsse zu
hören. Ally Coulibaly, der Pariser Botschafter des von der internationalen Gemeinschaft anerkannten
gewählten Präsidenten Alassane Ouattara sagte französischen Medien, Gbagbo verhandele über
einen Rückzug.
Das jedoch hatte Gbagbos Sprecher am Dienstagmorgen (5. Apr.) noch dementiert: »Im Moment ist er nicht
an diesem Punkt«, sagte Ahoua Don Mello.
Ouattara, von der ivorischen Wahlkommission erklärter Sieger der Wahl im November, wird seit
Montagnachmittag auch von Einheiten der UN und französischen Streitkräften unterstützt, die vor
allem zum Schutz der Zivilbevölkerung eingreifen.
Russland hat aus Protest gegen die Beteiligung von UN-Soldaten an den Kämpfen in Côte d'Ivoire
eine Dringlichkeitssitzung des Weltsicherheitsrates verlangt. Dabei will Moskau vor allem die Angriffe
von Blauhelmsoldaten und französischen Truppen gegen Stellungen Gbagbos untersuchen lassen.
Die UN-Soldaten seien nach ihrem Mandat zu Neutralität und Unparteilichkeit verpflichtet, meinte
der russische Außenminister Sergej Lawrow.
Auch die Afrikanische Union (AU) hat das militärische Eingreifen der UNO und Frankreichs verurteilt.
Es müsse Afrika überlassen werden, seine Angelegenheiten selbst zu regeln, sagte AU-Präsident
Teodoro Obiang Nguema am Dienstag in Genf. Er bezog sich dabei sowohl auf die Lage in Côte
d'Ivoire als auch auf den Libyen-Konflikt. Er forderte den Rücktritt von Gbagbo. Dies bedeute aber
nicht, dass dies durch »eine Intervention einer ausländischen Armee« erzwungen werden solle.
* Aus: Neues Deutschland, 6. April 2011
Feuer frei für Blauhelme
Côte d’Ivoire: UNO und Frankreich greifen militärisch zugunsten der Rebellen in die Kämpfe ein. Präsidentenresidenz unter Beschuß. Internationale Kritik an Intervention.
Von Gerd Schumann **
Die UNO ist seit Montag nacht (4. Apr.) Kriegspartei in Côte d’Ivoire. An der Seite der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich griffen zunächst Kampfhubschrauber der über 10000 Mann starken Blauhelmtruppe UNOCI Sitz und Residenz des amtierenden Präsidenten Laurent Gbagbo sowie Armeestützpunkte an. Dabei soll es »viele Tote« gegeben haben. Am Dienstag dann unterstützten die ausländischen Soldaten auch am Boden die Rebellentruppen (FRCI) von Alassane Ouattara, des häufig als »rechtmäßigen Präsidenten« bezeichneten Gbagbo-Konkurrenten.
Den Angreifern gelang es zunächst auch am sechsten Tag des Sturms auf Abidjan nicht, die Handelsmetropole am Golf von Guinea einzunehmen. Vor allem im Süden der Stadt war Gefechtslärm zu hören. Das Schicksal Gbagbos war bis jW-Redaktionsschluß offen. Wie es seitens der UNO hieß, habe er sich zuletzt in einem Bunker seiner Residenz aufgehalten. Das Gebäude sei von Rebellen eingenommen worden. Der langjährige ivorische Präsident und Gründer der der Sozialistischen Internationale angehörenden Partei FPI (Ivorische Volksfront) verhandelte laut der französischen Nachrichtenagentur AFP über »seinen Abgang«, derweil Frankreichs Außenminister Alain Juppé bemerkte, er sei jederzeit »über die Gespräche auf dem laufenden«.
Bereits Mitte vergangener Woche hatten die Rebellen erklärt, daß sie sich Gbagbo »holen werden«. Ouattara ließ am Montag abend (4. Apr.) verlauten, daß sein Rivale nach dessen »zu erwartender« Gefangennahme unmittelbar dem Internationalen Strafgerichtshof überstellt werden würde. Gbagbos Sprecher Ahoua Don Mello erklärte, daß dieser »die Tür für Verhandlungen« niemals geschlossen habe. Unterdessen kündigten dpa zufolge die auf seiten Gbagbos stehenden Oberkommandierenden von Armee, Polizei und Republikanischer Garde einen »Waffenstillstand« an. Die Soldaten sollten sich den UN-Truppen ergeben und ihnen ihre Waffen übergeben.
Während UN-Generalsekretär Ban Ki Moon das militärische Eingreifen seiner Blauhelme mit dem »Schutz der Zivilbevölkerung« begründete, wuchs die internationale Kritik daran. Teodoro Obiang Nguema, derzeit Chef der Afrikanischen Union und Präsident von Äquatorial-Guinea, verurteilte die ausländische Einflußnahme in Côte d’Ivoire – ebenso wie die in Libyen. »Afrika muß seine Probleme selbst lösen«, so Nguema am Dienstag (5. Apr.). Die AU dränge Gbagbo weiter zum Rücktritt, aber nicht mit Waffen oder gar »Intervention einer ausländischen Armee«. Rußlands Außenminister Sergej Lawrow bemerkte, daß die UN-Truppen »zur Neutralität verpflichtet« seien. Moskau habe um eine entsprechende Auskunft beim Sicherheitsrat ersucht, aber noch keine »konkreten Antworten« erhalten.
Unterdessen wuchs die Angst der in Abidjan verbliebenen Menschen weiter. Befürchtet wurden Übergriffe von Soldaten und neue Massaker. Während des Vormarschs von Ouattaras FRCI waren verschiedenen Angaben zufolge bis zu tausend Menschen in der Stadt Duékoué getötet worden. Die Kinderhilfsorganisation UNICEF rief am Dienstag zu einem Ende der Gewalt auf. Die »humanitäre Situation« verschlechtere sich Tag für Tag. »Hunderttausende Menschen sind inzwischen auf der Flucht vor den Kämpfen im Land – zwei Drittel davon sind Kinder und Frauen«.
** Aus: junge Welt, 6. April 2011
Bärendienst für die AU
Von Martin Ling ***
Die Fälle ähneln sich und sind doch nicht gleich: In Côte d'Ìvoire hat die militärische Intervention der UNO und Frankreichs den laut der ivorischen Wahlkommission abgewählten Präsidenten Laurent Gbagbo so gut wie aus dem Amt gezwungen, in Libyen wird mit dem in Ungnade gefallenen Despoten Muammar al-Gaddafi selbiges versucht – auch wenn die UN-Resolutionen nur dem Schutz der Zivilisten dienen sollen.
Doch während in Libyen die kriegstreibenden Mächte Frankreich, Großbritannien und die USA sämtliche Vermittlungsversuche, ob von Venezuela, der Afrikanischen Union (AU) oder der Türkei, gar nicht auf den Tisch kommen ließen, wurde in Côte d'Ivoire seit November viel versucht, um Gbagbo einen ehrenvollen Abgang zu verschaffen. Die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS und die Afrikanische Union nahmen mehrere Anläufe zur Vermittlung, ohne dass Gbagbo auch nur ansatzweise eine Bereitschaft zum Einlenken zeigte. Selbst Staaten wie Ghana und Südafrika, die vor den Wahlen noch auf Seiten Gbagbos standen, ließen nach der Verkündung des Wahlergebnisses keinen Zweifel daran, dass Gbagbo zugunsten Alassane Ouattaras zu weichen habe. Die AU erwog sogar, im Zweifel mit einer Militärintervention Ouattara an die Macht zu hieven. Das haben nun Frankreich und die UNO übernommen – ohne Zustimmung der AU. So wird eine junge, schwache Institution desavouiert. Ein Bärendienst für künftige Konfliktlösungen auf dem Kontinent.
*** Aus: Neues Deutschland, 6. April 2011 (Kommentar)
Der Sündenfall
UN-Luftangriffe in Côte d’Ivoire
Von Gerd Schumann ****
Die Grenzlinie ist überschritten. Seit Montag abend befinden sich Teile der »Vereinten Nationen« – im Bund mit der Postkolonialmacht Frankreich – im Krieg. Kampfhubschrauber flogen Angriffe auf den Präsidentenpalast von Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste). UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, Protagonist eines beinharten Kurses gegen den amtierenden Präsidenten Laurent Gbagbo, begründet die Aggression wider besseren Wissens mit dem »Schutz der Zivilbevölkerung«. Tatsächlich handelt es sich um nicht weniger als die offene militärische Parteinahme für den Kandidaten des Westens im Rennen um die politische Herrschaft im Land, Alassane Ouattara.
Blauhelme adieu! Der Einsatz von »UN-Missionen« in der Vergangenheit diente offiziell der Schlichtung von Konflikten. Auch wenn jeweils handfeste Interessen meist ökonomischer und geostrategischer Art letztlich die Interventionen in aller Welt, vorrangig jedoch in der südlichen, prägten – die Aufgabenstellung handelte jedenfalls von »Vermittlung«, von Wegen aus der Gewalt, von Problemlösung.
Nun also Côte d’Ivoire. Dort wurde der UN-Sicherheitsrat nach der Stichwahl um die Präsidentschaft am 28. November 2010 selbst zum Problem, als er auf die politische Linie Frankreichs einschwenkte. Die Kolonialisten, immer noch mit ihrer größten Basis auf afrikanischem Boden in dem Land präsent, drängten schon wenige Tage nach der Abstimmung auf den Abtritt Gbagbos. Es folgten: die von Paris und Washington abhängige westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) und am 8.Dezember der UN-Sicherheitsrat. Das alles geschah in einer politisch äußerst fragilen Situation, in der das Wort »Bürgerkrieg« bereits kursierte.
Dabei stand fest, daß bei der Stichwahl vieles nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Kämpfe vorher und am Tag selbst, Urnenkonfiszierungen im separierten Ouattara-Norden, von ebendort Berichte über Manipulationen und Drohungen – die Liste ließe sich erweitern. Auch um die Frage, warum EU-Beobachter, die im Anschluß ein weitgehend »freies und faires« Votum gesehen haben wollten, nicht in den Norden entsandt wurden.
Zwei Kandidaten als Sieger: Der eine vom Verfassungsrat mit gut 51 Prozent geführt, der andere vom Leiter der Wahlkommission mit 54 Prozent. Die UN-Truppen nicht etwa dazwischen, sondern Partei. Einseitig und ultimativ für Ouattara, ehemals treuer Sachwalter des Internationalen Währungsfonds beim neoliberalen Ausverkauf Westafrikas. Programmierte Eskalation der Konfrontation. Verhandlungswege– vorgeschlagen von Südafrika und Angola – blieben unbeschritten.
Gbagbo, der Renitente, muß weg, so das Kalkül. Dazu gehören der Angriff auf den Präsidentenpalast und die Besetzung von Abidjans Flughafen durch Frankreich, aber auch die Tatenlosigkeit der Blauhelme während Massakern von Ouattaras Truppen – jetzt bewaffnet an ihrer Seite. Sündenfall für die »Vereinten Nationen«. Wann folgt die Vertreibung ihres höchsten Gremiums aus dem Amt?
**** Aus: junge Welt, 6. April 2011 (Kommentar)
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