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El Salvadors neuer Präsident Sánchez Cerén steuert anderen Kurs als sein Vorgänger. Annäherung an Venezuela und Rußland

Von André Scheer *

Seit knapp sechs Wochen ist Salvador Sánchez Cerén Präsident von El Salvador. Nach fünf Jahren als Vize seines Vorgängers Mauricio Funes hat er nun die Chance, eigene politische Akzente zu setzen – und die scheint er nutzen zu wollen.

Funes war 2009 für die frühere Guerillaorganisation und heutige Linkspartei FMLN (Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí) an die Spitze des zentralamerikanischen Staates gewählt worden. Doch zur Enttäuschung der Parteibasis orientierte sich der Präsident, der erst kurz vor der Wahl der FMLN beigetreten war, lieber auf eine enge Kooperation mit den USA als auf Bündnisse mit den fortschrittlich regierten Staaten Lateinamerikas. Für linke Losungen blieb Sánchez Cerén zuständig, der zu Großveranstaltungen etwa in Caracas oder Havanna reiste und bei Kundgebungen in El Salvador an die kämpferischen Zeiten der Befreiungsfront erinnerte.

Salvador Sánchez Cerén gehört der FMLN seit Jahrzehnten an. Als »Comandante Leonel González« hatte er ab 1983 als Generalsekretär an der Spitze der »Volksbefreiungskräfte« (FPL) gestanden, die zusammen mit vier weiteren Gruppierungen die FMLN bildeten, um ab 1980 einen Guerillakrieg gegen das damals El Salvador beherrschende Militärregime zu führen. »Comandante Leonel« war Mitglied des Oberkommandos der Befreiungsfront und gehörte 1992 in deren Namen zu den Unterzeichnern des Friedensabkommens von Chapultepec, das den Bürgerkrieg beendete. Ab 2000 vertrat er seine inzwischen legale Partei im salvadorianischen Parlament und übernahm nach dem Tod des legendären Comandante Schafik Handal 2006 den Fraktionsvorsitz.

In der vergangenen Woche empfing der neue Staatschef in San Salvador Venezuelas Außenminister Elías Jaua und unterzeichnete bei dieser Gelegenheit den Beitrittsvertrag seines Landes zu Petrocaribe. Dieses 2005 durch Hugo Chávez ins Leben gerufene Bündnis hat sich die Zusammenarbeit der Karibikstaaten im Energiebereich zum Ziel gesetzt. Konkret liefert Venezuela den Partnerstaaten Erdöl zu vergünstigten Preisen. Zudem können die Rechnungen über mehrere Jahre abbezahlt werden. Dieser Allianz haben sich nicht nur linke Regierungen Zentralamerikas und der Karibik angeschlossen, sondern auch bürgerliche, die den finanziellen Vorteil der Zusammenarbeit sehen. Im Falle El Salvadors gilt diese Entscheidung allerdings als erster Schritt zu einem Anschluß an die Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA), die 2004 von den damaligen Präsidenten Venezuelas und Kubas, Hugo Chávez und Fidel Castro, in Havanna gegründet worden war. Die FMLN fordert seit Jahren den Beitritt zu diesem antiimperialistischen Bündnis, was Funes jedoch immer verweigert hatte.

Möglich, daß Sánchez Cerén den am 28. Juli bevorstehenden 60. Geburtstag des im vergangenen Jahr verstorbenen Hugo Chávez zum Anlaß nimmt, die Mitgliedschaft anzukündigen. Er werde an diesem Tag zu den Feierlichkeiten nach Caracas reisen, kündigte er am Dienstag (Ortszeit) im Rundfunksender der FMLN, Radio Maya Visión, an. Allerdings müßte er eine Allianz mit den linken Regierungen Lateinamerikas – neben Kuba und Venezuela gehören ALBA derzeit Ecuador, Bolivien, Nicaragua und mehrere Inselstaaten in der Karibik an – gegen den erbitterten Widerstand des salvadorianischen Unternehmerverbandes ANEP durchsetzen, dem schon der Beitritt zu Petrocaribe zu weit geht. Als Antwort darauf hob der neue Präsident die Unterstützung Kubas und Venezuelas für zentrale Projekte seiner Regierung hervor, etwa eine Alphabetisierungskampagne und die verbesserte Gesundheitsversorgung. Er kann dafür bereits auf Erfahrungen zurückgreifen, die Kommunen seines Landes in den vergangenen Jahren gemacht haben. Mehrere von der FMLN gestellte Lokalregierungen hatten eigene Kooperationsverträge mit Petrocaribe abgeschlossen und dadurch Sozialprogramme finanzieren können.

Sánchez Cerén versicherte am Dienstag jedoch auch, er suche das Bündnis mit möglichst vielen Ländern weltweit und lasse sich dabei nicht von ideologischen Vorgaben leiten. Für November kündigte er seine erste Europareise als Staatschef an. Die einzige Station, die auf dieser Tour offenbar bislang feststeht, ist Rußland.

* Aus: junge Welt, Freitag, 11. Juli 2014


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