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"Es gibt in El Salvador kein vergleichbares Archiv"

Der Jurist Saúl Baños über die dubiose Schließung des Menschenrechtsbüros Tutela Legal *


Am 30. September hat der Erzbischof von San Salvador, José Luis Escobar Alas, das Menschenrechtsbüro Tutela Legal geschlossen, in dem mehr als 50 000 Zeugenaussagen über Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkrieges (1980 bis 1992) archiviert wurden. Über die Hintergründe und Folgen der Schließung sprachen Michael Krämer und Tobias Lambert für das »nd« mit dem salvadorianischen Menschenrechtsverteidiger Saúl Baños. Er ist Jurist und arbeitet bei der Menschenrechtsorganisation Fespad in San Salvador.


Im Menschenrechtsbüro Tutela Legal war das Archiv, in dem Menschenrechtsverletzungen aus dem Bürgerkrieg und darüber hinaus gesammelt wurden. Mit welcher Begründung hat Erzbischof Escobar Alas es geschlossen?

Der Bischof hat unterschiedliche, sich teils widersprechende Begründungen gegeben. Unter anderem hat er behauptet, es habe bei Tutela Legal administrative Unzulänglichkeiten gegeben und sogar die Veruntreuung von Geldern erwähnt. Er hat aber nichts unternommen, um diese Vorwürfe untersuchen zu lassen. Später hat er dann plötzlich gesagt, er wolle Tutela Legal in veränderter Form wiedereröffnen, aber ohne die bisherigen Mitarbeiter, die er von einem Tag auf den anderen ausgesperrt und entlassen hat.

Was glauben Sie, steckt tatsächlich hinter der Schließung?

Am 20. September hat die Verfassungskammer des Obersten Gerichtes eine Klage zugelassen, mit der die Verfassungsmäßigkeit des Amnestiegesetzes von 1993 überprüft werden soll. Wir denken, dass daraufhin Druck auf den Erzbischof ausgeübt wurde. Und zwar von Leuten, die verhindern wollen, dass wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelt wird, beziehungsweise von konservativen Sektoren im Land.

In El Salvador hat ein Erzbischof eine starke Stellung. Wie kann es sein, dass er sich einem solchen Druck beugt? Die Kirche und konservative Sektoren stehen sich politisch nahe. Der Erzbischof Escobar Alas gehört zum Opus Dei, das seit Jahren die Kirchenhierarchie in El Salvador kontrolliert. Der Erzbischof gibt jeden Sonntag nach der Messe eine Pressekonferenz, auf der er immer auch politische und gesellschaftliche Themen anspricht. Seine Positionen stimmen stets mit denen konservativer Politiker überein. Es würde uns daher nicht wundern, wenn das auch bei der Schließung von Tutela Legal der Fall ist.

Was hat das eine mit dem anderen zu tun?

Das Archiv von Tutela Legal enthält mehr als 50 000 Zeugenaussagen und andere Dokumente vor allem aus der Zeit des Krieges. Sollte das Amnestiegesetz für verfassungswidrig erklärt werden, könnten Prozesse gegen die Verantwortlichen schwerer Menschenrechtsverletzungen eröffnet werden. Wenn die Informationen von Tutela Legal nicht zugänglich sind oder zerstört werden, fehlen dafür wichtige Beweise. Denn in El Salvador gib es kein vergleichbares Archiv.

Glauben Sie denn, dass das Amnestiegesetz wirklich aufgehoben wird? Das ist völlig offen. Im Land wird derzeit eine riesige Angst davor geschürt, dass dann gegen alle ermittelt würde. Dabei geht es vor allem um moralische Wiedergutmachung gegenüber den Opfern. Die Konservativen behaupten, es würden Wunden aufgerissen, die nicht verheilt sind. Aber die Opfer und deren Angehörigen haben ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Nur dann können sie auch vergeben und eine wirkliche Versöhnung wird möglich.

Das Militär fürchtet eine Aufhebung des Amnestiegesetzes wahrscheinlich zu Recht.

Auf jeden Fall. Der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof hat den salvadorianischen Staat zum Beispiel für das Massaker von El Mozote schuldig gesprochen, bei dem 1981 an die 1000 Menschen ermordet wurden. Das ist nicht zuletzt der Arbeit von Tutela Legal zu verdanken. Ohne Amnestiegesetz könnten auch die konkreten Täter belangt werden, nicht nur ganz allgemein der Staat.

Es gibt Gerüchte, dass eine Aufhebung des Amnestiegesetzes auch dazu genutzt werden könnte, dem ehemaligen Guerilla-Kommandanten und aktuellen Präsidentschaftskandidaten der Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN), Salvador Sánchez Cerén, zu schaden. Was ist da dran?

Verschiedene ehemalige Mitarbeiter von Tutela Legal haben erklärt, dass Salvador Sánchez Cerén in den Archiven gar nicht erwähnt wird. Durch die Schließung besteht allerdings die Gefahr, dass die darin enthaltenen Informationen manipuliert werden, um den Kandidaten zu belasten und ihm politisch zu schaden.

Vergangene Woche wurde ein Brandanschlag auf das Büro der Menschenrechtsorganisation Pro-Búsqueda in San Salvador verübt. Die Organisatin versucht, das Schicksal von während des Krieges verschwundener Kinder aufzuklären. Wie ist dieser Anschlag zu bewerten?

Es ist gut möglich, dass auch dieser Anschlag mit der Klage gegen das Amnestiegesetz zu tun hat. Auch Pro-Búsqueda hat wichtige Beweismittel, die nun teilweise zerstört wurden. So einen Anschlag gab es seit den Zeiten des Krieges nicht mehr. Es besteht die Gefahr, dass rechte Kreise vor den Wahlen im Februar noch mehr Anschläge verüben, um Angst zu schüren und die Menschen zu verunsichern.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 19. November 2013


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