Mit einem Guerillero an der Spitze
Roger Blandino Nerio über Erfolge, Herausforderungen und Strategien der linken FMLN-Partei in El Salvador
Seit vier Jahren ist in El Salvador die linke FMLN-Partei, die früher eine Guerilla war, an der Regierung. Im Februar 2014 finden die nächsten Präsidentschaftswahlen statt. Über das bisher Erreichte und die Aussichten der FMLN auf Regierungserhalt sprach Tom Beier für »nd« mit Roger Blandino Nerio, ehemals Comandante »Jeremias«, in der Hauptstadt San Salvador. Blandino ist inzwischen verantwortlich für die Beziehung der FMLN zu den sozialen Bewegungen.
Die Amtszeit der ersten FMLNRegierung
in El Salvador neigt sich
ihrem Ende. Im Februar 2014 wird
wieder gewählt und Präsident
Mauricio Funes darf laut Verfassung
nicht mehr antreten. Worauf
hat die FMLN ihre Regierungsarbeit
seit Juni 2009 konzentriert?
Die Schwerpunkte lagen in den
Bereichen Erziehung, Gesundheit
und Landwirtschaft. In allen drei
Bereichen können wir große Erfolge
vorweisen. Zum Beispiel haben
wir ein Alphabetisierungsprogramm
aufgelegt, in dessen
Rahmen inzwischen über 10 000
Menschen lesen und schreiben gelernt
haben. Wir haben die Lehrerausbildung
erheblich verbessert und wir haben mit unseren
»Schulpaketen« alle Schüler des
Landes erstmals in der Geschichte
El Salvadors kostenlos mit Schulbüchern,
Schulkleidung und Nahrung
ausgestattet. Jedes Schulkind
bekommt außerdem täglich ein
Glas Milch.
Und was wurde im Gesundheitssektor
bewegt?
Im öffentlichen Gesundheitswesen,
zu dem vorher nicht einmal 50
Prozent der Bevölkerung Zugang
hatten, haben wir durch die
Schaffung von 467 Gesundheitseinheiten
erreicht, dass die Versorgung
nahezu flächendeckend
ist. Zu einer solchen Einheit gehören
ein Arzt, eine Krankenschwester,
Psychologen und freiwillige
Promotoren. Und die gehen
aufs Land, in die entlegensten Regionen.
Ein Beispiel: Früher brauchte
eine Schwangere außerhalb der
Hauptstadt oft über eine Stunde,
um überhaupt zu einem öffentlichen
Transportmittel zu kommen.
Das führte dazu, dass viele Hausgeburten
ohne medizinische Versorgung
stattfanden und die Säuglingssterblichkeit
hoch war. Heute
wird die Frau durch die Gesundheitseinheit
bereits vor der Geburt
und danach regelmäßig untersucht.
Sie sprachen von Fortschritten
im Agrarsektor. Wie steht es inzwischen
um die Abhängigkeit von
Nahrungsmittelimporten?
Wir haben eine deutliche Erhöhung
der Maisproduktion erreicht,
so dass das Land sich inzwischen
fast wieder selbst versorgen kann.
Beim Reis haben wir noch Probleme,
der kommt zu fast 100 Prozent
aus dem Ausland. Durch die neoliberale
Politik während der vorangegangenen
20 Jahre rechter Regierungen wurde die ökonomische
Basis des Landes weitgehend
zerstört. Ein Teil der neoliberalen
Strategie war es, den Staat durch
Privatisierungen zu schwächen
und den Agrarsektor zu vernachlässigen.
Es kam so weit, dass viele
Grundnahrungsmittel importiert
werden mussten: 85 Prozent der
Bohnen, ein Großteil des Gemüses.
Das führte dazu, dass sich die Beschäftigungssituation
verschlechtert
hat und viele Menschen das
Land verlassen haben. Daran haben
wir noch zu knabbern.
Welche Maßnahmen der vorangegangenen
rechten Regierungen
haben am meisten geschadet?
Besonders die Dollarisierung. Seit
2001 hat El Salvador keine eigene
Währung mehr. Es gibt nur noch
eine Währung: den US-Dollar. Das
führt zu verschiedenen Finanzund
Wirtschaftsproblemen. Eigentlich
hat die Dollarisierung nur
den Importeuren und dem Finanzsektor
genutzt. Dagegen hat
das Land seine Souveränität über
geld- und finanzpolitische Entscheidungen
verloren: Ob Zinsen
oder Wechselkurse – alles wird
nun vom Finanzminister der USA
bestimmt.
Gibt es weitere hinderliche Hinterlassenschaften
der Rechten?
Das Haushaltsdefizit. Wir hatten
300 Millionen Dollar vermutet, real
waren es aber 600 Millionen.
Das heißt, wir hatten kaum Handlungsspielräume.
Was wird im Wahlkampf 2014
wichtig?
Die Dollarisierung werden wir
wohl nicht zum Wahlkampfthema
machen, da das schwer zu vermitteln
ist. Dafür werden wir mehr
unsere umfangreicheren außenpolitischen
Beziehungen zu Venezuela,
China und Russland herausstellen.
Früher gab es ja nur
die USA. Im Mittelpunkt aber werden
die sozialen und wirtschaftlichen
Errungenschaften stehen.
Ganz wichtig wird wieder sein,
einen Haus-zu-Haus-Wahlkampf
zu führen. Wir haben eben nicht
die Massenmedien hinter uns.
Deshalb werden wir die Leute
wieder zu Hause, bei ihren Familien
besuchen und unsere Erfolge
erläutern und unsere Ziele verdeutlichen.
Auch mit einer etwa
20-minütigen DVD, die unserem
Präsidentschaftskandidaten Leonel
Gonzalez ein »neues Gesicht«
gibt. Viele Salvadorianer kennen
ihn noch als Guerillakommandanten
oder als Bildungsminister der
derzeitigen Regierung. Ich bin zuversichtlich:
So werden wir die Wahlen gewinnen.
* Aus: neues deutschland, 16. April 2013
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