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"Regierung verehrt Kriegsverbrecher"

Menschenrechtler David Morales zum 15. Jahrestag der Friedensverträge in El Salvador *

Das 20. Jahrhundert war in El Salvador eine Zeit der Diktaturen und der Gesetzlosigkeit. Besonders nach der Phase des Bürgerkrieges 1980-1992 traten die USA als Akteur auf den Plan, um eine formale Demokratie zu installieren. Die Friedensverträge vom 16. Januar 1992 sollten die Gesellschaft befrieden. Über die Lage 15 Jahre danach sprach Tom Beier für ND mit David Morales, Mitarbeiter von Tutela Legal, dem Menschenrechtsbüro des Erzbischofs von El Salvador.

ND: Wie werden die Friedensverträge in El Salvador bewertet?

Morales: Die rechte ARENA-Regierung, die UN und andere internationale Organisationen feiern die Friedensverträge als großen Erfolg. Wir unabhängigen Menschenrechtler in El Salvador lesen die Geschichte anders. Nach meiner Analyse brachten die Friedensverträge drei Errungenschaften: Die Waffen schwiegen, das Militär wurde reformiert, die FMLN-Guerilla wurde demobilisiert und wandelte sich in eine legale Partei um.
Der Apparat des Staatsterrorismus, also die alten Polizeiapparate, die Militärspezialeinheiten wie Atlacatl, der alte militärische Geheimdienst, wurden aufgelöst, die Zwangsrekrutierung abgeschafft. Ebenso die Todesschwadronen der militärischen Einheiten sowie die privaten, von reichen Familien bezahlten. Weitere Ergebnisse der Verhandlungen waren die Einberufung einer Wahrheitskommission, die Einrichtung eines Menschenrechts-Ombudsamtes und die Gründung der Zivilen Nationalpolizei PCN.

Das hört sich doch gut an. Wo liegen die Knackpunkte?

Weil die Friedensverträge dies nicht ausdrücklich vorsahen, wurden die Todesschwadronen nie untersucht, nie offiziell aufgelöst, noch wurde jemand vor Gericht gestellt. Es gab zwei Amnestiegesetze. Eines unmittelbar nach Ende der Friedensverhandlungen, mit Zustimmung der FMLN, das nötig war, damit die Guerilla-Kommandanten aus der Illegalität zurückkehren konnten. Später wurde aber – ohne Zustimmung der FMLN, die sich noch nicht als Partei konstituiert hatte – mit den Stimmen der rechten Parlamentsmehrheit ein weiteres Gesetz verabschiedet, das ermöglichte, die Verfolgung von Kriegsverbrechen rückgängig zu machen und eine Generalamnestie auszurufen.

Gibt es Unterschiede zwischen der Wahrheitskommission in El Salvador und der in Südafrika?

Die südafrikanische Wahrheitskommission hatte direkten Einfluss auf das Rechtssystem. Die Wahrheitskommission in El Salvador hat zwar Ross und Reiter genannt, aber das zweite Amnestiegesetz hat bewirkt, dass sämtliche Vorschläge der Wahrheitskommission nicht umgesetzt wurden. Hohe Funktionäre der Regierung haben eine Verantwortung zurückgewiesen, ebenso der Oberste Gerichtshof und die Streitkräfte.

Wie steht die Ex-Guerilla-Partei FMLN zu einer fundierten Suche nach der Wahrheit? Auch ihr werden Kriegsverbrechen – meist gegen »Abweichler« innerhalb der eigenen militärischen Strukturen – vorgeworfen.

Der FMLN-Fraktionsführer Salvador Sanchez Cerén hat mir kürzlich gesagt, dass sie eine Annullierung des zweiten Amnestiegesetzes unterstützen und sich ihren Verbrechen stellen würden. Demgegenüber haben alle Präsidenten seit den Friedensverträgen (sie gehörten alle der rechtskonservativen ARENA-Partei an - d.Red.) betont, dass die Amnestie das Herzstück der Verträge sei, also: Schlussstrich unter die Vergangenheit, jetzt beginnt die Zukunft.

Gibt es noch weitere Indizien für diese Schlussstrich-Mentalität der Rechten?

Schlimmer noch. Die Regierung betreibt eine Verehrung von Kriegsverbrechern. Zum Beispiel General Monterosa, der nachgewiesenermaßen für das Massaker in El Mozote 1981 verantwortlich war, bei dem das Militär über 700 Zivilisten, darunter 300 Kinder, ermordete. Später wurde er bei einem Guerilla-Angriff getötet. Er wird vom Militär verehrt: Die 3. Infanteriebrigade ist nach ihm benannt, im Militärmuseum hat er zwei Säle. Nach dem historischen Führer der ARENA-Partei und Koordinator der Todesschwadronen D’Aubuisson wurde erst kürzlich ein Platz hier in der Hauptstadt San Salvador benannt.

Funktioniert wenigstens die neue zivile Polizei PNC?

Nicht wirklich. Laut Friedensvertrag sollte die PNC zu jeweils 20 Prozent aus Exkämpfern von Guerilla und Militär und zu 60 Prozent aus »Vertretern der Zivilgesellschaft« zusammengesetzt werden. Von dem ursprünglich gedachten Weg zu einer in die Zivilgesellschaft integrierten Polizei ist die PNC abgekommen und wieder eine hierarchisch organisierte Institution geworden, die große Schwächen im Bereich Ermittlung hat. Außerdem gibt es keine Filter gegen das Eindringen von Mitgliedern ehemaliger Repressionsorgane oder früheren Anführern der Jugendbanden. Die Ausbildungsakademie der Polizei ist nicht demokratisch kontrolliert, sie ist direkt der Polizeiführung untergeordnet. Bei Beförderungen etwa werden die alten Seilschaften aus den Repressionsorganen bevorzugt, so dass die Zahl der ehemaligen Guerillas inzwischen unter zehn Prozent liegen dürfte.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Januar 2007

El Salvador a model for others, Ban Ki-moon says on 15th anniversary of peace accords

16 January 2007 – Hailing the fifteenth anniversary of peace accords that brought an end to more than a decade of civil war in El Salvador, Secretary-General Ban Ki-moon today praised the country as a model for others emerging from conflict.

“The groundbreaking accords signed in Mexico City in January 1992 not only set El Salvador on a new course,” Mr. Ban said in a video message marking the occasion. “They also provided precedents and experiences that continue to inspire others who are striving to rebuild their societies following conflict.”

El Salvador was rocked by a civil war that cost some 75,000 lives and forced more than ten times that many people to flee before the Government and the rebel Farabundo Martí Liberation Front (FMLN) signed their peace accords in Chapultepec, México, on 16 January 1992.

In his message today, Mr. Ban noted that the Salvadoran experience has set an example for the UN as it endeavours to aid other countries to achieve peace. Noting that El Salvador has joined the new UN Peacebuilding Commission, established to maintain peace in post-conflict areas, he voiced hope that the country will share its “rich experience” with others.

El Salvador still must surmount obstacles in such fields as public security, social equality and the environment, and the Secretary-General pledged his continuing support in this process. Addressing the country’s people, he said, “I congratulate all of you on what you have accomplished so far, and promise you that the UN will keep working by your side in the years ahead."

Quelle: UN News Centre; www.un.org




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