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Alles spricht für eine Volksbefragung

Karin Gabbert über die ecuadorianischen Diskussionen rund um die Erdölförderung im Yasuní-Nationalpark *


Karin Gabbert leitet das Lateinamerika-Referat der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin. Die Ecuadorexpertin ist derzeit in Quito und hat einst den ersten Artikel zu der ITT-Initiative im Yasuní-Nationalpark in Deutschland veröffentlicht. Der Name ITT beruht auf den drei bei Probebohrungen entdeckten Ölquellen Ishpingo, Tambococha und Tiputini. Über die Entwicklung seit der Aufgabe des Yasuní-Projektes durch die Regierung sprach mit ihr für »nd« Martin Ling.


Ecuadors Regierung hat das Yasuní-Projekt, das einen Verzicht auf Ölförderung gegen finanzielle Teilentschädigung vorsah, wegen mangender Finanzzusagen ad acta gelegt. Wie wurde das in der Gesellschaft aufgenommen?

Die Enttäuschung ist zu spüren – in Zeitungen, Radios und sozialen Netzwerken, in der Regierung selbst und auf der Straße – überall wird kontrovers diskutiert. Zeitgleich mit der Entscheidung wurde eine Umfrage veröffentlicht, die kurz vorher ergeben hatte, dass mehr als 90 Prozent der Stadtbevölkerung die ITT-Initiative unterstützt und 66 Prozent dagegen sind, dass das Öl dort ausgebeutet wird. Die Regierung hat ja durch ihre großen Informationskampagnen für das Projekt dazu beigetragen. Aber auch Umweltgruppen und vor allem Jugendliche, die sich engagiert haben. Auch in Ecuador wurde Geld gesammelt für Yasuní – Kinder haben ihr Erspartes gegeben und andere überzeugt, mitzumachen. In den letzten sechs Jahren hat sich in Ecuador dank dieser Initiative ein ganz besonderes ökologisches Bewusstsein entwickelt. Im Fall von ITT geht es auch um die Menschenrechte der dort lebenden indigenen Völker. Besonders beeindruckend zu sehen ist, wie in Ecuador soziale und ökologische Fragen ganz praktisch untrennbar sind. Der ITT-Amazonas wird in Ecuador mittlerweile als ein einzigartiger Reichtum betrachtet, auf den man stolz ist und der nicht zerstört werden darf, weil das unumkehrbar wäre. Das hat auch bewirkt, dass diskutiert wird, wer bestimmt, was arm und was reich ist.

Ecuadors Präsident Rafael Correa betont, dass die Yasuní-Biosphäre durch die Erschließung von Ölfeldern nicht in Gefahr sei. Nur 190 Hektar einer Fläche von über einer Million Hektar, das heißt, nur 0,02 Prozent des Gebietes seien für die Ölförderung vorgesehen. Wie wird das von den indigenen und Umweltorganisationen gesehen?

Dahinter steht die Illusion von sauberen Technologien. In der Tat wird in Ecuador viel darüber geredet, ob es möglich ist, das Öl umweltschonend auszubeuten. Einige meinen, es sei möglich, das Öl über kleine Flächen zu fördern und die giftigen Flüssigkeiten, die dabei entstehen auszufliegen. Andererseits gibt es die Erzählung von den sauberen Technologien schon immer, die Erfahrung ist eine andere – auch in jüngster Zeit. 2003 wurde die OCP-Pipeline in Betrieb genommen. Es sei auch unter Umweltgesichtspunkten in der Geschichte Ecuadors das meistkontrollierteste Projekt rühmt sich das Unternehmen. Diese Pipeline für Schweröl – solches wie das im Yasuní – läuft aber immer wieder aus, in den letzten Monaten dreimal. Auch die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko hätte nicht passieren dürfen, wenn Hochtechnologie vor Umweltschäden schützt.

Außerdem greift nicht nur die Ölförderung selbst das Ökosystem im Yasuní an. Bisher ist das Gebiet nur über Wasserwege erreichbar, doch sobald es Straßen gibt, kommen auch Siedler und zerstören den Wald und verdrängen die Indigenen, die mit dem Wald leben.

Die indigenen Organisationen haben für Dienstag zu einer Demonstration aufgerufen. Was ist die Zielsetzung?

Seit der Entscheidung gibt es ständig viele kleinere Demonstrationen im ganzen Land. Was die Demonstration am Dienstag angeht, ist im Augenblick wenig zu erfahren. Entscheidend finde ich, dass diese Frage nicht in die in Ecuador herrschende Polarisierung eingeordnet wird: Wer ist für und wer ist gegen die Regierung? Die Umfragen zeigen ja, dass auch viele Anhänger der Regierung nicht mit dieser Entscheidung einverstanden sind – insbesondere viele junge Leute. Es wäre eine echte Chance für die Demokratie und für dieses konkrete Projekt mit utopischem Gehalt, wenn es jenseits politischer Differenzen als gemeinsames Interesse verstanden würde.

In der Verfassung ist seit 2008 die Natur als eigenständiges Rechtssubjekt verankert. Zudem eröffnet sie den Weg für Referenden. Was spricht gegen eine Volksabstimmung über die Erdölförderung im Nationalpark?

Es spricht alles dafür, denn vor allem sollte es eine umfassende, demokratische Diskussion geben, was die Bevölkerung Ecuadors will. Im Augenblick dominiert die Sichtweise von Regierungen, die sich die Schuld zuschieben. Dabei hat Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) sich mit seiner ablehnenden Politik gegen die Finanzierung des ITT-Projektes ja sogar über den mehrheitlichen Willen des Bundestages hinweggesetzt. Das Projekt bot eine einzigartige Möglichkeit, etwas gegen die historische Umweltschuld des Nordens zu tun. Nun sind die Ecuadorianer gefragt, wie sie allein damit umgehen wollen. Dafür ist eine Volksbefragung ideal. Präsident Correa hat erklärt, er werde sich an das Ergebnis einer Volksbefragung halten.

Ist Ecuador nicht auf die Einnahmen aus der Ölförderung angewiesen, um seine Sozialpolitik weiter auszubauen?

Diese Frage erzeugt leicht einen falschen Gegensatz, der leider häufig hergestellt wird. Dann wird die Armut derjenigen, die Sozialleistungen erhalten gegen die Armut derjenigen ausgespielt, deren Lebensgrundlagen dafür zerstört werden. Auch hier scheint mir die gesellschaftliche Debatte in Ecuador weiter zu sein. Es ist unumstritten, dass Ecuador Einnahmen für Sozialpolitik braucht. Im Ringen darum, ITT auch ohne internationale Kompensation zu erhalten, kommen viele Vorschläge. Aus der Regierung selbst kam die Idee, die Benzinsubventionen abzuschaffen, jedenfalls den allergrößten Teil, der nur den Reichen zugute kommt. Auch eine Steuerreform wurde vorgeschlagen. Bisher zahlen die 110 größten Unternehmen, die 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften nur drei Prozent der Steuern. Würden diese auf zehn Prozent erhöht, ergäbe das mehr Einnahmen als der Verkauf des Öls im ITT Gebiet. Andere schlagen vor, den Handymarkt zu verstaatlichen oder die Militärausgaben zu reduzieren. Dies sind nur einige Vorschläge. Ich finde, sie zeigen sehr deutlich, wie viel den Menschen dieses Projekt wert ist und dass es Alternativen gibt.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 27. August 2013


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