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Druck auf Ecuador

USA versuchen Entscheidung über Asylantrag Julian Assanges zu beeinflussen

Von Jürgen Heiser *

Im Fall von Julian Assange, dem Mitbegründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, erhöhen die USA offenbar den Druck auf die Regierung Ecuadors. Am 21. Juni 2012 hatte Assange in der Londoner Botschaft des lateinamerikanischen Landes politisches Asyl beantragt. Sibel Osmonds, Gründerin der »National Security Whistleblower Coalition«, erklärte am Freitag in Washington D.C. gegenüber dem TV-Sender Russia Today, Ecuador erhalte zwar sehr viele »Schreiben und Petitionen von Aktivisten aus aller Welt«, gleichzeitig aber auch »eine Liste von Ultimaten seitens der Vereinigten Staaten«. Hinter den Kulissen verdeutliche das US-Außenministerium dem Land »die Konsequenzen, die es zu gewärtigen hat, seien sie nun ökonomisch oder politisch«, so Osmonds.

In diesem Zusammenhang erinnerte Osmonds daran, daß auch Außenministerin Hillary Clinton 2010 durch die Enthüllungen von Wikileaks in Bedrängnis geraten sei. Es sei der Beweis erbracht worden, wie Clinton US-Diplomaten zur Spionage gegen UNO-Offizielle eingesetzt habe. Spürbare Reaktionen auf diesen »äußerst massiven Übergriff« seien jedoch ausgeblieben, weil dem US-Außenamt »zahlreiche Knüppel verschiedenster Art zur Verfügung stehen, mit denen es anderen Nationen drohen und sie warnen kann, es sich zweimal zu überlegen, bevor sie ein Wort sagen«, so Osmonds.

In einem Interview mit »Public Radio International« (PRI) in Minnesota hatte zuvor schon John Quigley, Juraprofessor an der Ohio State University, eine ähnliche Einschätzung geäußert. Zwar gebe es kein Auslieferungsabkommen zwischen Ecuador und den USA, das auch politische Delikte einschließe. Würde Assanges Asylantrag jedoch entsprochen, dann würden die USA Ecuador sicher zur Auslieferung zwingen wollen. Ecuador sei in vielerlei Hinsicht abhängig von den Vereinigten Staaten. »Ökonomisch haben die USA unter Umständen ziemlich viel Einfluß auf Ecuador«, erlärte Quigley.

Um eine Anklage gegen Assange festzuklopfen, müsse die US-Justiz nach den Worten des Juraprofessors genau nachweisen können, daß er die US-Dokumente veröffentlicht hat und den USA damit schaden wollte. Sprecher von Wikileaks befürchten deshalb, der weitere Verlauf des Militärgerichtsverfahrens gegen den als »Whistleblower« angeklagten US-Obergefreiten Bradley Manning könnte auch unmittelbare Auswirkung auf das Vorgehen gegen Assange haben.

Doch derzeit genießt Assange den sicheren Schutz der Botschaft Ecuadors.

Für dessen Regierung bekräftigte Präsident Rafael Correa in einer Fernsehsendung, sein Land handle unabhängig. »Die Anwälte von Herrn Assange begründeten das Asylersuchen ihres Mandanten an Ecuador damit, daß unser Land nicht unter dem Druck eines Imperiums oder einer Macht stehe«, erklärte Correa. »Wir treffen souveräne Entscheidungen, die auf Prinzipien, Wahrheit und Gerechtigkeit beruhen«, so Correa. Dabei würden auch die britischen Interessen berücksichtigt. Ecuadors Botschafterin in London, Anna Alban, war deshalb kürzlich in die Hauptstadt Quito zurückberufen worden. Die Diplomatin sagte nach ihrer Landung im staatlichen Fernsehen, ihre Botschaft versorge Assange mit Essen und gebe ihm die Möglichkeit, Menschen zu treffen, die ihn besuchen wollten. In Quito arbeite man nun »an einer Entscheidung, die der Linie unserer Regierung entspricht«, so Alban.

Einer Ladung Scotland Yards, sich »zur Einleitung seines Auslieferungsverfahrens« am letzten Freitag in einer Polizeiwache zu melden, war Assange nicht nachgekommen. Gegenüber der BBC bekräftigte er telefonisch, weiter »an seinem Asylersuchen wegen politischer Verfolgung« festzuhalten. Das Asylrecht habe »sowohl international als auch in Großbritannien Vorrang vor Auslieferungsrecht«.

Assange soll nach Schweden ausgeliefert werden, obwohl dort kein offizielles Strafverfahren gegen ihn läuft und er nach Angaben der schwedischen Justiz wegen angeblicher Sexualdelikte »nur verhört werden soll«. Dagegen wehrt sich der 40jährige Australier seit eineinhalb Jahren vor britischen Gerichten. Er befürchtet, von Schweden in die USA ausgeliefert zu werden, wo ihm wegen Geheimnisverrats oder Spionage lebenslange Haft oder gar die Todesstrafe drohen könnten.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 4. Juli 2012


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