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"Menschen statt Märkte"

Ecuador: Rafael Correa feiert überwältigenden Wahlsieg. "Bürgerrevolution" soll Demokratie in ganz Amerika festigen

Von André Scheer *

Ecuador bleibt links. Bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag konnte sich Amtsinhaber Rafael Correa mit überwältigender Mehrheit gegen sieben Mitbewerber durchsetzen. Den ersten offiziellen Hochrechnungen des Nationalen Wahlrates (CNE) zufolge entfielen auf den Kandidaten der Linksbewegung Alianza PAIS 56,7 Prozent der Stimmen, ein Vorsprung von mehr als 30 Punkten vor dem Zweitplazierten, dem neoliberalen Banker Guillermo Lasso. Alle übrigen Kandidaten erreichten zusammen nur 20 Prozent der Stimmen. Auch bei den parallel durchgeführten Wahlen zur Nationalversammlung zeichnete sich eine absolute Mehrheit für Correas Partei ab.

Schon unmittelbar nach Schließung der Abstimmungslokale, als die Nachwahlbefragungen ein Ergebnis von bis zu 61 Prozent für Correa ergeben hatten, stellte sich der Staatschef bei einer Pressekonferenz den Fragen der Journalisten. Das Resultat zeige, daß die unter seiner Führung in Ecuador begonnene »Bürgerrevolution« (Revolución Ciudadana) von niemandem aufgehalten werden könne. Es müsse jetzt darauf ankommen, den Veränderungsprozeß weiter zu vertiefen, damit »mächtige Gruppen das Volk nicht unterwerfen« können. Sein Erfolg sei ein Sieg des ecuadorianischen Volkes, das er niemals betrügen werde. »Wir bauen das kleine Heimatland Ecuador und das große Heimatland Unser Amerika auf«, sagte er mit Blick auf die wachsende Einheit des Kontinents. »Wir festigen die Demokratie nicht nur in Ecuador, sondern in unserem gesamten Amerika. Wir müssen die revolutionären Prozesse, die in Argentinien, Bolivien, Venezuela, Uruguay, Brasilien und in allen Völkern Amerikas ablaufen, konsolidieren.« Nur durch die Einheit Lateinamerikas sei es möglich, dem internationalen Kapital zu widerstehen: »Unsere Völker und nicht das Kapital müssen entscheiden, die menschlichen Gesellschaften und nicht die Märkte!«

Besonders deutlich fiel die Unterstützung für Correa unter den in Spanien lebenden ecuadorianischen Migranten aus. Nicht weniger als 80 Prozent stimmten hier den vorläufigen Ergebnissen zufolge für den Amtsinhaber – bei einer Wahlbeteiligung, die sich mit rund 50 Prozent gegenüber der letzten Abstimmung praktisch verdoppelt hat. Hintergrund dieses großen Erfolgs ist offensichtlich der Einsatz der ecuadorianischen Regierung für die von der Wirtschaftskrise in der ehemaligen Kolonialmacht betroffenen Mitbürger. So hatte Quito im Januar beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg Klage gegen die Zwangsräumungen von Wohnungen in Spanien eingereicht. Hunderttausende Menschen haben in dem südeuropäischen Land seit 2008 ihre Unterkunft verloren, weil sie die Zinsen für die bis dahin zur Wohnraumfinanzierung üblichen Bankkredite nicht mehr bezahlen konnten. Dadurch werden sie nicht nur obdachlos, sondern stehen auch finanziell am Abgrund, denn durch den Verlust der Wohnung ist der Bankkredit nicht getilgt. Zu den Betroffenen gehören nach Angaben der Nachrichtenagentur ANDES auch bis zu 15000 Ecuadorianer. Um deren Lage zu erleichtern, hat Quito inzwischen auch ein Rückkehrerprogramm für die eigenen Bürger in Gang gesetzt. »Es hat noch keine Regierung gegeben, die mehr für die Migranten getan hat, als unsere«, sagte Correa dazu am Sonntag. »Als Wirtschaftswissenschaftler schämte ich mich dafür, mich in einem Land Ökonom zu nennen, dessen einzige Exportware Menschen waren«, erinnerte er an die Situation bis vor wenigen Jahren. »Diese Situation hat sich geändert, heute kehren jedes Jahr Tausende Migranten zurück, denn sie sehen, daß sich unser Land verändert hat.«

Der für das »Plurinationale Linke Bündnis«, einem Zusammenschluß der maoistisch orientierten Demokratischen Volksbewegung (MPD) und der Indígena-Partei Pachakutik, angetretene Alberto Acosta erkannte das Ergebnis »als Demokrat« an. In einer Stellungnahme über den Internetdienst Twitter schrieb der mit 3,2 Prozent weit hinter den eigenen Erwartungen zurückgebliebene frühere Präsident der verfassunggebenden Versammlung Ecuadors und einstige Mitstreiter Correas, die Wähler hätten sich mehrheitlich für das unter seiner Leitung ausgearbeitete Grundgesetz ausgesprochen: »Wir fordern, daß das Ergebnis bedeutet, die strukturellen Veränderungen, die das ecuadorianische Volk erwartet, Realität werden zu lassen.«

* Aus: junge Welt, Dienstag, 19. Februar 2013


Grüne Welle für roten Rafael

Ecuadors Präsident Correa geht deutlich gestärkt in die zweite Amtszeit

Von Harald Neuber **


Mit knapp 57 Prozent der Stimmen wurde der linksgerichtete Ökonom Rafael Correa am Sonntag für eine zweite Amtszeit als Präsident Ecuadors bestätigt.

Der 49-jährige Amtsinhaber vereinte nach dem vorläufigen Endergebnis der Wahlbehörde CNE rund fünf Prozentpunkte mehr auf sich als bei den Wahlen im Jahr 2009. Tausende Anhänger feierten das Ergebnis in einem Meer grüner Fahnen des Correa-Bündnisses Alianza País in der Hauptstadt Quito. »Dank Gott und dem ecuadorianischen Volk schreiben wir in dieser Nacht Geschichte«, rief Correa seinen Anhängern zu.

Das Ergebnis ist auch ohne das übliche lateinamerikanische Pathos beachtlich. Der Staatschef hat sich seit 2007 in sieben unterschiedlichen Abstimmungen behauptet. Während er seinen Vorsprung stetig ausbaute, driftete die Opposition aller Lager immer wieder in die Krise. Der Bankier Guillermo Lasso als stärkster Gegenkandidat kam gerade einmal auf 23,6 Prozent. Der 2005 gestürzte Autokrat Lucio Gutiérrez hatte beim Wahlgang 2009 noch knapp 30 Prozent der Stimmen einfahren können. Jetzt erhielt er ganze 6,2 Prozent. Den linken Oppositionellen Alberto Acosta traf es noch schlimmer. Der ehemalige Mitstreiter Correas versank mit lediglich 2,9 Prozent der Stimmen in der parteipolitischen Bedeutungslosigkeit. Der Amtsinhaber wird weiter seinen kapitalismuskritischen Kurs steuern können. Zuletzt hatte Correa die Banken des Landes unter Kontrolle gebracht und die Handelskontakte aufgefächert. Vor allem die Wirtschaftsbeziehungen zu China wurden ausgebaut. Dutzende Erdölverträge wurden seit 2007 neu verhandelt, 60 Milliarden US-Dollar in soziale Projekte und Infrastrukturmaßnahmen investiert. Doch die größte Aufgabe steht noch bevor: die Lösung vom US-Dollar und von der Erdölökonomie.

Politisch hat die linkssozialdemokratische Alianza País nun die Möglichkeit, die Demokratisierung der in Ecuador als Bürgerrevolution bezeichneten Reformen voranzutreiben. Der Machttransfer von den bürgerlich- parlamentarischen Strukturen an die Basis ist in Ecuador bisher weniger ausgeprägt als in Bolivien und vor allem in Venezuela. Der deutliche Sieg verschafft der Führung nun mehr Handlungsspielraum. Nach dem vorläufigen Ergebnis hat die Regierungspartei in der Nationalversammlung eine absolute Mehrheit errungen.

Schließlich wird Correas Sieg die staatliche Integration Lateinamerikas und der Karibik stärken. Man werde nun das »kleine Vaterland« Ecuador und das »große Vaterland« Amerika aufbauen, sagte Correa, der seinen Erfolg dem erkrankten Kollegen Hugo Chávez widmete – wenige Stunden vor dessen Rückkehr nach Venezuela.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 19. Februar 2013


Der »Europäer«: Rafael Correa

Von André Scheer ***

Lateinamerika bleibt anders, und daran hat der am Sonntag eindrucksvoll wiedergewählte Rafael Correa besonderen Anteil. Er ist vielleicht der »europäischste« Präsident Lateinamerikas, und das nicht nur, weil er auf dem alten Kontinent Wirtschaftswissenschaften studieren konnte. Auch seine in Belgien geborene Frau Anne Malherbe, die er an der Katholischen Universität im wallonischen Louvain-la-Neuve kennenlernte, hat daran Anteil. Seitdem ihr Gatte 2007 zum Präsidenten Ecuadors gewählt wurde, verweigert sie sich der Rolle als »First Lady«. »Die mit dem Präsidenten verheiratete Person sollte nicht das Recht haben, Staatsfunktionen zu übernehmen, da sie nicht durch das Votum des Volkes gewählt wurde«, hieß es deshalb in einer in den ersten Monaten von Correas Amtszeit offenbar auf ihre Initiative hin veröffentlichten Regierungserklärung.

Die europäischen Erfahrungen des Präsidenten zeigten sich in den vergangenen Jahren auch in seinem besonderen Interesse für die Entwicklungen des krisengeschüttelten Kontinents. Correa gehört zu den schärfsten Kritikern der europäischen Einwanderungs- und Asylpolitik und hat die hierzulande von Menschenrechtsgruppen benutzte Losung »Kein Mensch ist illegal« in den ecuadorianischen Regierungsdiskurs eingeführt. Die Entscheidung, Wikileaks-Gründer Julian Assange Asyl zu gewähren, war und ist ebenso eine Herausforderung Europas wie die Klage gegen die Zwangsräumungen in Spanien vor dem Gerichtshof für Menschenrechte.

Correa ist auch der Hauptverantwortliche für das wirtschaftspolitische Profil des antiimperialistischen Staatenbündnisses ALBA (Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerikas). Es war auffällig, daß Ecuador der 2004 von Venezuela und Kuba gegründeten Allianz erst beitrat, nachdem die Mitgliedsstaaten 2009 festere Strukturen und die Einführung einer gemeinsamen Rechnungswährung vereinbart hatten. Diese trägt den Namen SUCRE, was nicht nur eine Abkürzung und der Name des Unabhängigkeitskämpfers Antonio José de Sucre (1795–1830) ist, sondern auch die ecuadorianischen Währung war, die im September 2000 zugunsten des US-Dollar abgeschafft wurde. Das langfristige Ziel dieser lateinamerikanischen Finanzunion ist so abgesteckt: eine größere Unabhängigkeit von Dollar, Euro und anderen Leitwährungen. Langfristig träumen manche auch schon von einer echten gemeinsamen, stabilen Währung – doch das ist angesichts der tiefen Unterschiede in den Wirtschaftssystemen zwischen den ALBA-Staaten Kuba, Ecuador, Venezuela, Bolivien und Nicaragua – von den kleinen Karibikstaaten ganz zu schweigen – kaum realistisch.

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 19. Februar 2013


Von Quito bis Berlin: »Herzlichen Glückwunsch, Präsident Correa!«

Juan Francisco Torres, Generalsekretär der Kommunistischen Jugend Ecuadors (JCE), kommentierte die Bestätigung von Präsident Rafael Correa im Amt mit Blick auf die Kandidatur Alberto Acostas: »Dieser Wahltag hat dazu gedient, die reaktionären und konservativen Schichten zu bestrafen, die trotz eines linken Diskurses landesweit nicht einmal fünf Prozent der Stimmen erreichen konnten. Das bekräftigt, daß die wahre Linke gemeinsam mit dem souveränen Volk dieses Projekt auf den Weg bringt. Als JCE gratulieren wir zum Sieg von Rafael Correa, der der Sieg aller demokratischen, fortschrittlichen und antiimperialistischen Schichten des Landes ist.«

In der argentinischen Tageszeitung Página/12 kommentierte Atilio A. Borón: »Der überwältigende Sieg von Rafael Correa mit einem Stimmenanteil und einem Abstand zwischen ihm und seinem nächsten Konkurrenten, von dem Obama, Hollande und Rajoy nur träumen können, enthält einige Lehren, die man beachten sollte. (…) Das Projekt der Schaffung einer sozialen Ordnung, die sich auf den Sozialismus des Sumak Kawsay, des ›guten Lebens‹ unserer originären Völker, stützt, erfordert schnelles und entschlossenes Handeln. Das aber wissen auch die einheimische Rechte und der Imperialismus, und deshalb kann man voraussagen, daß diese ihre Anstrengungen verdoppeln werden, um die Konsolidierung der ›Bürgerrevolution‹ zu verhindern. (…) Die Zeiten haben sich geändert. Die plebiszitäre Bestätigung eines Präsidenten, der einen großartigen sozialen und ökonomischen Veränderungsprozeß in Ecuador angestoßen hat, eine Hauptrolle bei der Integration Lateinamerikas spielt, sein Land in die Bolivarische Allianz ALBA geführt hat, die US-Präsenz auf der Basis Manta beendet hat, der eine beispielhafte Überprüfung der Auslandsschuld durchgeführt und eine bedeutende Verringerung ihres Umfangs erreicht hat, der Julian Assange Asyl gewährt und Ecuador aus dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten herausholt, ist etwas, das man nicht alle Tage sieht.«

Kubas Präsident Raúl Castro gehörte zu den ersten internationalen Gratulanten. Verbunden mit einer »Umarmung« schrieb er in einem kurzen Brief an den »lieben Rafael Correa«: »Empfange unseren Glückwunsch zu diesem umfassenden Sieg, einen Ausdruck der unerschütterlichen Unterstützung für die Bürgerrevolution, die, da bin ich mir sicher, weiter zur Stärkung der Einheit Lateinamerikas und der Karibik beitragen wird. Ich bekräftige den Willen der Regierung und des Volkes von Kuba, die herzlichen Verbindungen, die uns einen, noch weiter zu verstärken.«

Für die Linksfraktion im Bundestag gratulierte deren entwicklungspolitische Sprecherin Heike Hänsel. Correas Erfolg sei »auch ein Sieg für all jene, die für mehr soziale Gerechtigkeit in Lateinamerika kämpfen«. Das überzeugende Ergebnis zeige »daß der Prozeß des sozialen Wandels in dem lateinamerikanischen Land starken Rückhalt in der Bevölkerung hat und von einer breiten Mehrheit unterstützt wird. Der Wahlsieg ist auch ein Ausdruck für eine selbstbestimmte soziale und demokratische Entwicklung in ganz Lateinamerika und eine wichtige Bestätigung für einen alternativen Entwicklungsweg. Die Linksfraktion unterstützt diesen Weg, der auf regionale Integration, staatliche Sozialprogramme und den Aufbau gerechter Handelsbeziehungen ausgerichtet ist.« Gerade in der Euro-Krise habe Europa allen Anlaß, von den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritten in Lateinamerika zu lernen. »Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, ihre Blockade-Haltung gegen linke Regierungen in Lateinamerika aufzugeben und eine kooperative Haltung einzunehmen.« (scha)




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