Spatz in der Hand statt Taube auf dem Dach?
Bei der Präsidentenwahl in Ecuador stehen die Bewohner des Intag-Tals vor einer schwierigen Entscheidung
Von Bettina Hoyer, Quito *
Am Sonntag (17. Februar) wählt Ecuador einen
neuen Präsidenten. Sehr wahrscheinlich
wird Amtsinhaber Rafael Correa
wiedergewählt. Den Bewohnern der
Bergregion Intag steht daher womöglich
ein neuer Bergbaukonflikt bevor.
Trotzdem werden viele Einwohner für
Correa stimmen. Eine Entscheidung
für den Bergbau?
Der Fluss Rio Intag tobt wie ein
wild gewordener Derwisch durch
das nach ihm benannte Tal im
Nordwesten Ecuadors. Er hat
mehr als 20 Zuflüsse, die ihn in den
vergangenen Tagen reichlich mit
Wasser gespeist haben. Die Wege
sind aufgeweicht. Es ist nur noch
eine Frage der Zeit, bis in der rund
1700 Quadratkilometer großen
Region wieder eine der unbefestigten
Straßen durch einen Erdrutsch
unpassierbar wird.
Von 2400 bis auf rund 500 Meter
über dem Meeresspiegel fallen
die Berge hier ab. Die »Rockzipfel
der Anden« sind immergrün, tropisch
mild und feucht, voller
Schluchten und Steilhänge – und
schwer zugänglich. Doch das soll
sich jetzt ändern. »Die Revolution
macht man mit Bauten«, heißt es
auf einer der riesigen Werbetafeln,
die auf Maßnahmen der von der
Regierung unter Präsident Correa
ausgerufenen »Bürgerrevolution«
(Revolución Ciudadana) hinweisen.
Die Intag-Region, deren Bewohner
in den vergangenen 18
Jahren die Realisierung von 23
Bergbaulizenzen abgewehrt haben,
wird eine asphaltierte Straße
erhalten.
Die rund 17 000 Einwohner der
Region haben schon lange eine
solche Asphaltverbindung gefordert.
Sie werde »tausenden Touristen
den Zugang zu dieser Region
voller Landschaften und Naturressourcen
ermöglichen«, schwärmte
der Leiter der Provinzregierung
von Imbabura, Diego García Pozo,
in einer Presseerklärung vom November
vergangenen Jahres. Die
Lebensqualität werde sich verbessern,
er erwarte eine »Dynamisierung
der Produktion«. Die Regierung
hat viele Straßen ausgebaut –
sichtbare und für alle nützliche
Bauten. Diese Straße wird das
Handels- und Tourismuszentrum
Otavalo mit der Intag-Region verbinden:
Knapp 62 Kilometer Asphaltband
sollen 14 Millionen USDollar
kosten. Ende Dezember
2013 soll es laut Plan fertig sein.
Für die Inteños, wie die Bewohner
des Intag genannt werden, beginnt
damit eine neue Zeit.
Die junge Generation der Inteños verlässt das Tal
»85 Prozent der Böden im Intag
liegen an Hängen, die einen Neigungswinkel
von mehr als 35 Grad
haben«, erklärt der Agronom José
Cueva. Er zog 1997 ins Intag-Tal
und bewirtschaftet heute eine fünf
Hektar große Finca im ökologischen
Agroforstanbau: Zuckerrohr,
Bananen, Kaffee. Die ersten
Siedler waren vor rund 100 Jahren
ins Intag gekommen, weiß der
Vorsitzende des NGO-Dachverbandes
der Region »Konsortium
Toisan«. Über zwei Generationen
wurde Primärwald in Agrarland
umgewandelt. Aufgrund der zunächst
hohen Bodenfruchtbarkeit
waren die Erträge gut. Inzwischen
seien die Ernten jedoch mager, so
wie eben auch die Böden. Und die
dritte Generation der Inteños
wandere seit den 90er Jahren in
die Städte und ins Ausland ab.
»Eine Intervention des Staates
hätte erfolgen müssen, um dieses
Land angemessen zu bewirtschaften,
aber die hat es hier nie gegeben
«, kritisiert José Cueva.
Agroforstanbau bedeute, »mit
dem Wald zu arbeiten, statt ihn zu
roden«, erläutert der Agronom.
Diese Art der Landwirtschaft erfordere
auch einen kulturellen
Wandel, der »theoretisch mit der
Jugend leichter zu bewerkstelligen
wäre«. Doch die Bildungsinstitutionen,
meint Cueva, vermittelten
dem Nachwuchs, dass man das
Land nach Kriterien der Agrarindustrie
bewerten und behandeln
müsse. Zudem seien die Löhne
niedrig. Wer rackert sich schon für
15 US-Dollar am Tag am Steilhang
ab, wenn er in der Hauptstadt Quito
25 verdienen kann?
Es scheint sich alles um Geld zu
drehen. Und wie steht es um die
aus der indigenen Kosmovision
hergeleitete Maxime des »Buen
Vivir«, des »Erfüllten Lebens«,
wonach Entwicklung auf weit
mehr als auf rein konsumorientierte
Werte oder auf Mehrwert gerichtet sein sollte? Das »Buen
Vivir« wurde 2008 nach einer verfassunggebenden
Versammlung sogar in Ecuadors Verfassung verankert.
Wenn man im Intag nicht
gerade Umweltaktivisten nach der
Bedeutung des »Buen Vivir« fragt,
ist die Antwort allerdings ein ratloses
Schulterzucken.
Auch José Cueva winkt ab:
»Das ist ein Slogan, den die Regierung
zur Zeit der verfassunggebenden
Versammlung aufgriff, als
die sozialen Bewegungen erklärten:
Wir wollen keine Kopie von
Entwicklung, wir wollen dieses
Modell nicht, das die Weltbank, die
Europäische Union oder China uns
vorschreiben, das sich am Wachstum
von Infrastruktur und Bruttoinlandsprodukt
orientiert. Wir
wollen eine von innen und nach
innen gerichtete, eine endogene
Entwicklung.«
»Buen Vivir« sei ein Ideal aus
der andinen Welt, eine nicht realisierbare
Utopie. Das Entwicklungsmodell
der Regierung, sagt Cueva, sei aber klassisch extraktivistisch,
beruhe auf dem Rohstoffexport.
Das fuchst viele Aktivisten
im Intag, die Correa bei der verfassunggebenden
Versammlung und bei der Wiederwahl 2009 unterstützt
hatten. Danach habe er
seine Politik geändert, zugunsten
des Mega-Bergbaus.
An der Landstraße vor Cuevas
Finca steht eine große Werbetafel
für einen anderen Präsidentschaftskandidaten
– Alberto Acosta. Der Ökonom war einst Minister
für Energie und Bergbau unter
Correa, er war auch Vorsitzender
der verfassunggebenden Versammlung
– doch bei der Ausarbeitung
der Verfassung kam es
zum Bruch. Im jetzigen Wahlkampf
mit acht Kandidaten hat
sich Acosta eindeutig gegen den
Mega-Bergbau ausgesprochen.
An den Kämpfen gegen den
Bergbau im Tal war Cueva selbst
beteiligt. Zuletzt waren im Jahre
2007 Paramilitärs in der Nähe des
Dorfes Junín aufgetaucht, die helfen
sollten, der kanadischen Firma
Ascendent Copper den Kupferabbau
zu ermöglichen.
Gegen Bergbau, aber für Rafael Correa
Mitte der 90er Jahr begannen
Umweltaktivisten, unterstützt aus
dem Ausland, von der Kirche und
von Freiwilligen, den Inteños alternative
Einkommensquellen zu
erschließen, denn dass der Bergbau
Arbeitsplätze schaffen würde,
war das Hauptargument der Befürworter
des Kupferabbaus. Seither
gibt es im Intag unter anderem
eine Kaffeekooperative und gemeindebasierten
Ökotourismus. Kosmetika werden hergestellt,
Wälder durch Kauf vor der Abholzung
geschützt. Noch vor elf Jahren
gab es keinen Strom, kein fließend
Wasser, kein Internet und
kein Telefon im Intag. Strom und
Wasser fließen inzwischen, die
Jugend sitzt in den Infozentren und
chattet via Facebook. Die bunte
Welt ist im Intag angekommen und
weckt Begehrlichkeiten.
Doch so beeindruckend die Alternativen
sind – ohne Geld der internationalen
Entwicklungszusammenarbeit
oder die Unterstützung
durch Freiwillige läuft es
noch nicht. Und nicht alle Bewohner
profitieren von den Projekten
der Umweltschützer. Wenn jedoch
weder die Landwirtschaft noch die
alternativen Projekte Geld in die
Haushaltskasse spülen, sind Sozialleistungen
der Regierung – die
sogenannten »Bonos« – besonders
wichtig. Alte, Behinderte oder alleinerziehende
Mütter erhalten die
monatliche Unterstützung, es gibt
Stipendien für Kinder aus armen
Familien und Hilfen für den Hausbau.
Das alles zahlt eine Regierung
Correa, die den Kupferabbau im
Intag vorantreiben möchte. Ob die
Bevölkerung jetzt noch einmal eine
Bergbaulizenz abschmettern wird?
An den Häusern im Intag flattern
vor allem die grellgrünen
Fähnchen von Correas Bündnis
Alianza País. »Lieber ein bekanntes
Übel als das unbekannte Gute«,
erklärt die Hausfrau Doña Elena
im Brustton der Überzeugung. »Ich
bin auch gegen den Bergbau. Aber
ich werde Correa wählen«, sagt
sie. Alberto Acosta kenne sie doch
gar nicht.
* Aus: neues deutschland, Samstag, 16. Februar 2013
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