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Gute Chancen für neue Verfassung in Ecuador

Gut 9,7 Millionen Menschen werden Ende September über neue Konstitution und "Sozialismus" entscheiden

Von Harald Neuber *

Nach Bolivien und Venezuela orientiert nun auch die Staatsführung in Ecuador auf eine neue Verfassung. Die linksgerichtete Regierung von Präsident Rafael Correa wird am 28. September über 444 Artikel einer neuen Konstitution abstimmen lassen. Das Oberste Wahlgericht bestätigte am Montag (25. August) in der Hauptstadt Quito den planmäßigen Ablauf der Vorbereitungen. Gut 9,7 Millionen Wahlberichtigte werden demnach in gut vier Wochen über einen Verfassungstext entscheiden, der auch in Ecuador den »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« verankern soll. Konkret heißt das: Entgegen dem bisher geltenden Grundgesetz wird die demokratische Beteiligung ebenso gestärkt wie die Rolle des Staates. Sozialismus ist das zwar nicht, wohl aber eine Umkehr der neoliberalen Reformen, die Südamerika seit den achtziger Jahren auf Druck der Bretton-Woods-Institutionen IWF und Weltbank aufgezwungen wurden.

Die Opposition läuft gegen einen solchen politischen Wandel Sturm. Während alle bedeutenden Gewerkschaften Ecuadors die Reform unterstützen, kommt von der Handelskammer Ecuador-USA scharfe Kritik. Konzernen würde »bei Investitionen die Rechtssicherheit genommen«, beklagte unlängst der geschäftsführende Direktor des Unternehmerverbandes, Bernardo Traversari, ohne den Vorwurf zu begründen. »Die Regierung schenkt dem internationalen Markt keine Beachtung«, wird Traversari von ecuadorianischen Medien zitiert, dabei garantiere dieser Markt Arbeitsplätze. Bei knapp 40 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze ist das jedoch ein schwaches Argument.

Die regierende Partei Alianza País kann dem Tag der Abstimmung deswegen zuversichtlich entgegensehen. Nach übereinstimmenden Angaben mehrerer Meinungsforschungsinstitute wird der vor einem Monat von der verfassunggebenden Versammlung vorgelegt Entwurf einer neuen Konstitution mit deutlicher Mehrheit angenommen werden. Nach Angaben des Unternehmens Cedatos-Gallup hat der Zuspruch für die Initiative der Regierung zuletzt um drei Punkt auf 44 Prozent zugenommen. Die Meinungsforscher von SP Investigación y Estudios gehen sogar von 50 Prozent Zustimmung aus. Angesichts solcher Zahlen zeigte sich Präsident Correa zuversichtlich, daß seine Regierung am 28. September einen »überwältigenden Sieg« einfahren wird. Bei einer Massenveranstaltung zum offiziellen Auftakt der Wahlkampagne am Samstag rief er seine Anhänger auf, möglichen Provokationen der Opposition mit Bedacht zu begegnen. »Auch in Venezuela und Bolivien hat die Rechte versucht, Zwischenfälle zu provozieren«, sagte er.

Die US-amerikanischen Truppen bereiten sich indes auf den Abzug aus Ecuador vor. Die neue Verfassung sieht ein generelles Verbot ausländischer Militärpräsenz im Land vor. Betroffen davon ist vor allem die US-Basis im Ort Manta an der Pazifikküste. Der US-Konsul im nahen Guayaquil kündigte vergangene Woche einen Rückzug der US-Truppen »deutlich vor diesem Datum« an. Wenigstens das zeugt von politischem Realitätssinn.

* Aus: junge Welt, 27. August 2008


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