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Referendum mit Sprengkraft

Rücktrittswelle in Ecuadors Regierung

Von Ponzalo Ortíz, Quito (IPS) *

Im Streit um ein Referendum, das Ecuadors Präsident Rafael Correa derzeit vorantreibt, hat sich ein Bündnispartner aus der Regierungsallianz verabschiedet und damit einen Dominoeffekt ausgelöst.

Der Absprung der Linkspartei Ruptura de los 25 (R-25) zog jetzt den Rücktritt von zwei Ministern und Dutzenden von hochrangigen Regierungsvertretern in Ecuador nach sich. Folgenschwer wog die R-25-Entscheidung auch, was die Sitzverteilung im Parlament angeht. So wird die Correa-Administration künftig auf die Unterstützung der Abgeordneten María Paula Romo verzichten müssen, die bei den Parlamentswahlen 2009 die meisten Stimmen erzielte. Das Gleiche gilt für zwei weitere Abgeordnete der Regierungspartei Movimiento Alianza País. Da die Regierung mit 57 der 125 Sitze künftig nur noch über eine knappe Mehrheit verfügt, wird es für sie schwierig werden, künftig Gesetze zu verabschieden. Diese Situation könnte sich weiter verschärfen, sollte sich der Aderlass fortsetzen.

Entsprechend heftig fiel die Kritik des linksgerichteten Präsidenten an seinen ehemaligen Weggefährten aus. Correa beschimpfte die R-25-Mitglieder als »Opportunisten« und »Verräter«. Der Streit hatte sich vor allem an Fragen über eine Reorganisation des Rechtssystems und der Einrichtung einer Medienregulierungsstelle entzündet, über die die Bevölkerung in einem Referendum im zweiten Halbjahr abstimmen soll. Voraussetzung ist ein bis März erwartetes Urteil des Verfassungsgerichts. Die Gegner sehen in dem Referendum einen Versuch Correas, sich mehr Macht anzueignen und die Pressefreiheit einzuschränken. »Wie stellen nicht sein Recht in Abrede, Volksbefragungen durchzuführen«, so Sebastián Roldán, der von seinem Amt als Transparenzminister zurücktrat. »Wir stören uns an den Inhalten.«

Die R-25 war von jungen Akademikern und Städtern 2004 – 25 Jahre nach der Rückkehr zur Demokratie in Ecuador – gegründet worden. Im April 2005 nahm sie aktiv an den Volksaufständen teil, die zur Absetzung des damaligen Staatspräsidenten Lucio Gutiérrez führten. Später wurde sie Teil der Allianz aus sozialen und politischen Bewegungen im Umfeld von Correa und brachte nach dessen Amtsantritt im Januar 2007 die Verfassunggebende Versammlung voran. Nun will Correa mit Hilfe der Volksbefragung die unverzügliche Auflösung des durch die Verfassung 2008 geschaffenen Judikativrats erreichen. An seine Stelle soll eine dreiköpfige Kommission treten, deren Mitglieder von der Exekutive, der Legislative und dem Rat für bürgerliche Teilhabe ernannt werden. Sie sollen über das Mandat verfügen, binnen 18 Monaten die Justiz komplett umzukrempeln.

Später soll dann ein neuer Rat gebildet werden, dem nicht – wie in der Verfassung vorgesehen – Juristen angehören, die aufgrund ihrer besonderen Leistungen ausgewählt wurden. Vielmehr sollen der Vorsitzende des Nationalen Gerichtshofs, der Generalstaatsanwalt, der staatliche Pflichtverteidiger und Vertreter der Regierung und des Parlaments Einzug in das Gremium halten. »Sowohl die temporäre Kommission als auch die neue Zusammensetzung des Rates erlauben Correa die vollständige Kontrolle des Rechtssystems«, warnte der Menschenrechtsanwalt Raúl Moscoso. Das von Correa angeführte Argument, mit der rechtlichen Umstrukturierung die Sicherheit der Bürger zu vergrößern, wies er als haltlos zurück.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Februar 2011


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