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Klares Ja für Ecuadors Verfassung

Bevölkerung unterstützt Präsident Correas Projekt der "Bürgerrevolution"

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *

Die Ecuadorianer haben ihre neue Verfassung mit großer Mehrheit angenommen. Nach der Auszählung von 80 Prozent der Wahlurnen betrug der Anteil der Ja-Stimmen 64 Prozent. 27 Prozent votierten mit »Nein«. Die Wahlbeteiligung lag bei 76 Prozent.

Bereits am Sonntagabend (28. Sept.) ließen Hochrechnungen am klaren Sieg des Regierungslagers keine Zweifel aufkommen. »Heute hat sich Ecuador dafür entschieden, dass es ein neues Land sein will«, sagte der linke Präsident Rafael Correa (45) in der Küstenstadt Guayaquil. Selbst dort, in der Hochburg der konservativen Opposition, stimmten mehr Menschen für als gegen die Verfassung.

»Die große schweigende Mehrheit« habe die alten Strukturen besiegt, sagte der strahlende Staatschef. »Das ist es, wofür wir so lange gekämpft und geträumt haben, und auf demokratischem Weg haben wir es geschafft.« Das Referendum bezeichnete er als »Ausgangspunkt« für den Aufbau eines neuen Landes und forderte jene Teile der Opposition, die aus Überzeugung, und »nicht aus perversen Eigeninteressen« heraus gegen die Verfassung gestimmt hätten, zur Zusammenarbeit auf. »Die Opposition suchte Vorwände, um zu destabilisieren«, meinte Correa und nannte katholische Kirchenkreise um das Opus Dei, evangelikale Fundamentalisten und Teile der Medien: »Aber das Volk ist gereift und lässt sicht nicht mehr durch solche Lügen in die Irre führen«.

Führende Bischöfe hatten behauptet, der Abtreibung werde Tür und Tor geöffnet. »Eine surreale Position«, meinte der spanische Verfassungsrechtler Francisco Palacios, der als Berater im Verfassungskonvent tätig war.

Am Wahlmorgen stattete Correa seinem rot-grünen Gegenspieler Alberto Acosta einen zehnminütigen Überraschungsbesuch ab. Der Staatschef und sein langjähriger Mentor hatten sich im Juni bei der Fertigstellung der Verfassung überworfen, worauf Acosta als Präsident des Verfassungskonvents zurücktrat. Nach monatelanger Funkstille sei die Versöhnung eingeleitet, sagte Acosta. »Natürlich müssen wir uns zusammensetzen und über jene Punkte diskutieren, bei denen wir einige Differenzen hatten.« Ebenso wie die indigenen Bewegungen kritisiert Acosta vor allem den traditionellen Wachstumskurs Correas. Damit scheint eine mögliche Spaltung des Regierungslagers vor den Neuwahlen Anfang 2009 abgewendet, doch die Debatte um die Umsetzung der Verfassung mit ihren 444 Artikeln steht noch ganz am Anfang.

Verfassungsrechtliches Neuland wird gleich an mehreren Stellen betreten: Als »vierte Gewalt« sollen Bürgerräte für Transparenz und Kontrolle des Staates sorgen. Durch das Verbot der Tätigkeit von Subunternehmern werden die Arbeiterrechte gestärkt. Die Souveränität über die »strategischen« Ressourcen schließt die Kontrolle über die Nutzung von Sendefrequenzen für die Medien ein. Die Natur ist Rechtssubjekt. Schließlich weist das Indígena-Konzept vom »guten Leben« (sumak kawsay) über die Profitmaximierung als oberste Maxime des Wirtschaftens hinaus.

Der im Juli verabschiedete Verfassungstext setzt zudem auf ein »soziales und solidarisches« Gesellschaftsmodell. Ausländische Militärstützpunkte sind nun tabu. Auch eine kostenlose Bildungs- und Gesundheitsversorgung für alle ist geplant. Correas Befugnisse werden vor allem in der Wirtschaftspolitik erheblich erweitert, die Opposition spricht von »Hyperpräsidentialismus«. Sein Sieg in wenigen Monaten gilt als ausgemachte Sache, nach einer weiteren erlaubten Wiederwahl könnte er nun bis 2017 amtieren.

Nach Venezuela und Bolivien ist Ecuador das dritte Land Südamerikas, dessen Präsident einen Systemwandel durch Verfassungsreformen befördern will. Vorreiter war der Venezolaner Hugo Chávez 1999. Zu jenem Zeitpunkt hatten die indigenen Bewegungen in Bolivien und Ecuador die Forderung nach einer »Neugründung« ihrer Länder über einen Verfassungskonvent bereits auf die Tagesordnung gesetzt. Ohne ihren jahrelangen Druck wären die Wahlsiege von Evo Morales Ende 2005 und Rafael Correa ein Jahr darauf undenkbar gewesen.

* Aus: Neues Deutschland, 30. September 2008


Ecuador wählt Kapital ab

Von Harald Neuber **

Vor Zehntausenden Anhängern hat Ecuadors Präsident Rafael Correa am Sonntag abend (28. Sept.) die Annahme der neuen linksgerichteten Verfassung gefeiert. Das Plebiszit für die 444 Artikel des neuen Grundgesetzes sei ein »überwältigender Triumph für das ecuadorianische Volk«, rief der 45jähige Staatschef seinen Anhängern in der Hafenstadt Guayaquil zu. Vor allem aber bedeute das Ergebnis für Ecuador »das Ende dieser unheilvollen neoliberalen Zeit«. Auch in der Hauptstadt Quito versammelten sich nach Bekanntgabe der ersten Teilergebnisse durch das Oberste Wahlgericht Zehntausende Menschen vor dem Sitz der Regierungspartei Alianza País.

Kurz vor 23 Uhr (Ortszeit) waren die ersten Ergebnisse veröffentlicht worden. Gut 65 Prozent der 9,7 Millionen Wahlberechtigten hatten sich demnach für die neue Konstitution entschieden. Sie war von einem gewählten Verfassungskonvent in acht Monaten ausgearbeitet worden. Zu den erklärten Zielen zählen ein Ende des Neoliberalismus und die Einführung eines »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«. Zwar basierte die erste Hochrechnung am Sonntag nur auf einem Bruchteil der abgegebenen Stimmen, doch alle privaten Prognosen stützten dieses Ergebnis. Das Institut Cedatos-Gallup ging sogar von einer 70prozentigen Zustimmung aus. Das vorläufige Endergebnis wurde für Montag abend (29. Sept.) erwartet.

Rafael Correa steht damit auf dem Höhepunkt seiner Macht. Der einstige freiwillige Missionar des katholischen Salesianerordens, Ökonom und Exwirtschaftsminister (2005) hatte Anfang 2007 das Präsidentenamt ohne Unterstützung im Parlament übernommen. Zuvor hatte er einen aggressiven Wahlkampf gegen die »korrupten Parteien der Oberschicht« geführt. Sein Hauptversprechen, die Abschaffung der neoliberalen Mißwirtschaft, hat er nun eingelöst. Widerstand dagegen gibt es kaum. Die alten Parteien verfügen nur noch über einen verschwindend geringen Rückhalt in der Bevölkerung. Allein in Guayaquil kann sich der christsoziale Politiker Jaime Nebot als Bürgermeister noch halten.

Die neue Verfassung verfolgt hehre Ziele. Sie setzt auf soziale Gerechtigkeit, die Anerkennung der indigenen Kultur und ihrer Gesellschaftsprinzipien. Die Stellung des Präsidenten wird zwar gestärkt, zugleich aber soll ein »Rat für Bürgerbeteiligung und soziale Kontrolle« als vierte Gewalt verankert werden. Gesundheitsversorgung und Bildung werden kostenfrei, jegliche dauerhafte Präsenz ausländischer Truppen im Land ist verboten. Der Staat erhält mehr Kompetenzen in der Wirtschaftsführung. Schon vor dem Referendum sprach Correa von drei Formen des produzierenden Eigentums: privatem, sozial-solidarischem und staatlichem. Auch der Zugang zu Agrarland wird in Ecuador künftig staatlich reglementiert -- eine klare Position gegen Großgrundbesitz. Weil die Währungspolitik dem Präsidenten und nicht mehr der Zentralbank untersteht, ist davon auszugehen, daß der US-Dollar in Ecuador abgeschafft wird. Im Rahmen der neoliberalen Politik war er erst im Jahr 2000 als einziges offizielles Zahlungsmittel eingeführt worden.

Zunächst aber zählt nach dem Wahlsonntag in Ecuador die politische Botschaft: Nach Venezuela und Bolivien hat sich Ecuador für das Primat der Politik über die ungezügelte Macht der Wirtschaft ausgesprochen. Die weitergehende Lehre daraus hatte am Sonnabend der venezolanische Staatschef Hugo Chávez formuliert. »Wenn ich an der Stelle der US-Regierung wäre«, sagte er während eines Kurzbesuchs in Lissabon, »würde ich das gleiche wie in Ecuador machen -- ich würde eine Verfassungsreform und ein neues demokratisches Modell durchsetzen.«

** Aus: junge Welt, 30. September 2008


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