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Votum für die Zukunft

Ecuador: Abstimmung über neue Verfassung am Sonntag. Sieg für Präsident Correa erwartet. Neue Konstitution setzt auf "Sozialismus des 21. Jahrhunderts"

Von Harald Neuber *

Am Sonntag (28. Sept.) wird in Ecuador über eine neue Verfassung abgestimmt, doch für den Präsidenten des südamerikanischen Landes steht mehr zur Disposition. »Am kommenden Sonntag entscheidet sich die Zukunft Ecuadors«, sagte Rafael Correa bei seiner wöchentlichen Radiosendung sieben Tage vor dem Urnengang. Allen Umfragen zufolge kann sein Reformvorschlag mit 60 bis 75 Prozent der Stimmen rechnen. Um die 444 Artikel der neuen Konstitution in Kraft zu setzen, reichen 50 Prozent plus eine Stimme aus.

Mit dem zu erwartenden Sieg erreicht der 45jährige Correa den vorläufigen Höhepunkt seiner Macht. Mitte Januar 2007 hatte er sein Amt ohne jeden Rückhalt im Parlament angetreten. Mit dem Versprechen, den Staat mit seinen korrupten Institutionen und Parteien von Grund auf zu erneuern, setzte er Ende vergangenen Jahres die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung durch. Trotz des erbitterten Widerstandes des oppositionell dominierten Parlaments errang die bis dahin im Nationalkongreß nicht vertretene Alianza País 78 der insgesamt 130 Sitze des Verfassungskonvents – die absolute Mehrheit.

Das Correa-Lager arbeitete ein Grundgesetz aus, das radikal mit der bisherigen Politik bricht. Die Rolle des Staates und die Position des Präsidenten sollen gestärkt werden. Correa könnte damit theoretisch bis 2017 an der Regierung bleiben. Vor allem aber wird die neue Verfassung dem Ausverkauf der natürlichen Ressourcen des Landes einen Riegel vorschieben. Nach Venezuela und Bolivien macht damit auch Ecuador den »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« – die Ablehnung des Neoliberalismus ist der kleinste gemeinsame Nenner – zur Staatsdoktrin. Konkrete Auswirkungen hat schon jetzt das in der reformierten Verfassung verankerte Verbot der Stationierung ausländischer Truppen auf ecuadorianischem Territorium: Die US-Luftwaffenbasis an der Pazifikküste des Landes wird in das für Washington verläßlichere Kolumbien verlegt.

Die Parteien der ecuadorianischen Oligarchie laufen gegen den politischen Wandel Sturm. Vor allem Jaime Nebot, der Bürgermeister der Metropole Guayaquil und Anführer der oppositionellen Christsozialen Partei (PSC), will die Verfassungsreform mit allen Mitteln verhindern. Weil die Regierungsgegner aber eine Abstimmung nach der anderen verlieren, könnten sie mit Gewalt reagieren. Besonders in Guayaquil drohe »die Rechte ebenso zum Mittel der Destabilisierung zu greifen wie in Santa Cruz in Bolivien«, warnte Correa mit Blick auf die jüngsten blutigen Ausschreitungen von Gegnern der dortigen sozialistischen Regierung. Auch in Ecuador könnte es zu solchen separatistischen Bestrebungen kommen, fügte er an.

In den vergangenen Wochen und Monaten war angesichts der Schwäche der alten Parteien aber vor allem der katholische Klerus als Gegner von Correas Reformpolitik in Erscheinung getreten. Die vatikantreuen Bischöfe wandten sich offen gegen die Verfassungsnovelle, weil mit ihr eine modernere Familienpolitik etabliert werden soll. Eine »Legalisierung des Aborts« sei das, wetterten die Priester von den Kanzeln, um in dem katholischen Land gegen die Regierung Stimmung zu machen. Correa hielt dagegen: Seiner Regierung gehe es lediglich um gesetzliche Bestimmungen, die eine »verantwortungsvolle Familienplanung« ermöglichen. Im übrigen seien diese Regelungen schon einmal in einer älteren Verfassung aus dem Jahr 1978 verankert gewesen. Eine Legalisierung von Abtreibungen werde es nicht geben.

Trotz dieser Debatten werden die 9,7 Millionen Wahlberechtigten am Sonntag nicht vorrangig über die Verfassung abstimmen – sie werden über den Präsidenten Rafael Correa entscheiden. Die alten politischen Parteien der Oligarchie, aus deren Reihen in den vergangenen zehn Jahren drei Präsidenten gestürzt wurden, spielen kaum mehr eine Rolle. Bei einem Votum für die Reform wird bis zur Wahl einer neuen Legislative die verfassunggebende Versammlung das Parlament ersetzen. Nach dem Ende dieses Prozesses wird Correa dann vielleicht sein wichtigstes Versprechen eingelöst haben: politische Stabilität.

* Aus: junge Welt, 26. September 2008


"1001 Gründe für das Ja in Ecuador"

Bevölkerung stimmt am Sonntag über die neue Verfassung und die "Bürgerrevolution" ab

> Von Gerhard Dilger, Porto Alegre **

Am Sonntag stimmen die Ecuadorianer über eine neue Verfassung ab – und zugleich über Präsident Rafael Correa. Die traditionelle Oligarchie ist dagegen, unabhängige Linke und Indígenas werben für Zustimmung Ecuadors »Bürgerrevolution« stellt sich erneut dem Wahlvolk. Am Sonntag sollen 9,7 Millionen Ecuadorianer über die im Juli verabschiedete Verfassung entscheiden. »Wir stimmen über die Zukunft des Landes ab, über den Wandel des politischen Systems«, betonte der linke Präsident Rafael Correa immer wieder. Zugleich stilisierte er das Referendum zu einem Vertrauensvotum: »Das ist die wichtigste Wahl der letzten 40 oder 50 Jahre«, behauptete der 45-jährige Ökonom, der seit 2007 im Amt ist.

In seiner Heimatstadt Guayaquil beschloss Correa am Donnerstag (25. Sept.) den Wahlkampf. Die Metropole am Pazifik ist die Hochburg der rechten Opposition, Bürgermeister Jaime Nebot hat sich zum prominentesten Gegenspieler des Staatschefs gemausert. »Correa will den Sozialismus verankern, der in Venezuela gescheitert ist«, sagte Nebot. Rückendeckung bekam er aus konservativen Kirchenkreisen, die vor allem eine mögliche Liberalisierung der Abtreibung oder die angebliche Bedrohung der Familie durch gleichgeschlechtliche Partnerschaften stört.

Für Correa & Co. liegt die Latte hoch. Die bewussten Enthaltungen (»weiße Stimmen«) kommen nämlich ebenso wie die ungültigen Stimmen einer Ablehnung gleich: Die Verfassung tritt nur in Kraft, wenn sich die absolute Mehrheit für das »Ja« entscheidet. Zugute kommt dem progressiven Lager jedoch, dass es seine Differenzen erst nach dem Referendum offen austragen will. Die sozialen Bewegungen und Correas früherer Weggefährte Alberto Acosta stellten ihre Kritik am autoritären Auftreten des Präsidenten zurück und warben in unzähligen Diskussionsveranstaltungen für den »innovativen« Verfassungstext.

»In den Städten ging es vor allem um den kostenlosen Zugang zu Gesundheit, Bildung, der Sozialversicherung, die Anerkennung der Hausarbeit, die Ausbeutung durch Subunternehmer«, berichtet der Indígena-Aktivist Floresmilo Simbaña. »Auf dem Land waren die großen Themen die Ernährungssouveränität, die natürlichen Ressourcen, Wasser- und Landfragen oder die kollektiven Rechte für die indigenen Völker«. Den Indígena-Organisationen war es gelungen, während der acht Monate langen Beratungen des Verfassungskonvents das andine Konzept des »sumak kawsay« als Richtlinie im Grundgesetz zu verankern. Der Ausdruck aus der Indianersprache Kichwa bedeutet »gutes Leben«. Oberstes Ziel des Wirtschaftens soll demnach nicht mehr der Profit sein, sondern das Wohlergehen der Bevölkerung. Statt »marktwirtschaftlich« heißt es im Verfassungstext nun »solidarisch«.

Dazu passt, dass die »Rechte der Natur« festgeschrieben wurden, ein weltweites Novum: »So, wie die soziale Gerechtigkeit im 20. Jahrhundert die Achse der sozialen Kämpfe war, so wird dies im 21. Jahrhundert immer mehr die Umweltgerechtigkeit sein«, sagt der Ökosozialist Acosta, der sieben Monate lang Präsident des Verfassungskonvents war und trotz seines Bruchs mit Correa »1001 Gründe für das Ja« sieht.

Rechte, aber auch unabhängige Linke sehen nach dem wahrscheinlichen Sieg des »Ja« die Gefahr einer übermäßigen Machtkonzentration bei Correa. Dem Staatschef war es im Juli gelungen, eine beträchtliche Stärkung der Exekutive festzuschreiben. Nach zwei weiteren Wahlen könnte er zudem bis 2017 amtieren. Ein autoritäres Regime sieht Michael Langer von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Quito dennoch nicht heraufziehen. Der Sozialdemokrat verweist darauf, dass das Präsidialsystem in Ecuador Tradition habe und betont: »Auch dem Parlament und der Zivilgesellschaft sind weitere Kompetenzen zugesprochen worden.«

** Aus: Neues Deutshcland, 27. September 2008


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