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"Ecuador wird bald Opfer von Spekulantenangriffen"

Putsch gegen Präsident Correa war keine spontane Entscheidung. Seine Gegenspieler wollen das Land destabilisieren. Ein Gespräch mit Pedro Paez


Pedro Paez ist Professor für Ökonomie. Von Oktober 2007 bis Dezember 2008 war er Wirtschaftsminister Ecuadors. Heute ist er Repräsentant der Banco del Sur.

Der Putschversuch gegen Ecuadors Präsident Rafael Correa hat zehn Tote und fast 300 Verletzte gekostet. Wie ist die Lage in Ihrem Land im Augenblick?

Hier in der Hauptstadt Quito ist wieder Normalität eingekehrt. Die Polizisten sind in ihre Kasernen zurückgekehrt und nehmen wieder den Dienst auf. Wir haben ein sehr gravierendes Problem der inneren und äußeren Sicherheit erlebt, das heißt die Rebellion Tausender bewaffneter Polizisten, die den Präsidenten etliche Stunden in ihre Gewalt gebracht hatten. Der Putsch wurde letztlich vom ecuadorianischen Volk vereitelt, das auf die Straße gegangen ist.

Die Senkung der Polizistengehälter war offensichtlich nur ein gesuchter Anlaß: Das Gesetz über den Öffentlichen Dienst war in der Nacht zum Donnerstag verabschiedet worden - und bereits im Morgengrauen waren die Polizisten unter Beihilfe von Heer und Luftwaffe zum Aufstand bereit. Das zeigt, daß der Aufstand schon vor der Abstimmung vorbereitet worden war.

Gut organisiert war er aber wohl nicht ...

Die Putschisten merkten gleich, daß die Leute nicht auf ihrer Seite standen. Das Volk hat schnell und aktiv reagiert und das Krankenhaus umzingelt, in dem Correa gefangengehalten wurde.

Die Justiz hat zwar ein Ermittlungsverfahren eingeleitet - Correa aber kennt bereits einen Schuldigen: seinen politischen Gegenspieler Lucio Gutierrez. Gibt es Beweise dafür?

Die in den Staatsstreich verwickelten Militärs hatten offenbar auf Gutierrez gesetzt. Ziel war die Destabilisierung des demokratischen Prozesses in unserem Land - so wie es auch in Venezuela, Paraguay und Honduras der Fall war. Genau wie diese Länder leidet auch Ecuador unter Spekulationsattacken und betrügerischen Machenschaften, für die ausländische Investoren und die vom Internationalen Währungsfonds angeordnete Finanzpolitik verantwortlich sind. Ich will nur den Fall der US-Ölgesellschaft Texaco erwähnen, die 25 Jahre lang den östlichen Regenwald verschmutzt hat und gegen die seit Jahren eine Millionenklage anhängig ist.

Die Präsidenten Venezuelas und Boliviens, Hugo Chávez und Evo Morales, sind überzeugt, daß die USA hinter dem Putsch gegen Correa stehen. Sehen Sie das auch so?

Das kann man nicht ausschließen. Wir wissen, welch' großes Interesse die USA daran haben zu verhindern, daß sich Ecuador zu einer nichtkapitalistischen Gesellschaft entwickelt.

Sind weitere Aktionen dieser Art zu erwarten?

Die Gefahr ist nicht vorüber. Die politisch-militärischen Machenschaften sind ja nur ein Teil des Problems. Wirtschaftlich gesehen befinden wir uns in einem Belagerungszustand. Unsere Gegner wollen Ecuador, ebenso wie die anderen Länder Lateinamerikas einem harten Finanzstreß aussetzen. Das haben sie auch mit Europa gemacht, das viel solider und - sozial gesehen - gerechter ist als unser Land. Dort haben sie eine Politik der Einsparungen durchgesetzt, die nicht nur die Demokratie aushöhlt, sondern den Unterprivilegierten auch noch die Würde raubt. Ich bin davon überzeugt, daß wir demnächst zu Opfern einer Welle von Spekulantenangriffen werden.

Correa sagte kürzlich, nicht reiche Kapitalisten seien die Gefahr, sondern jene, die sich »unsere Fahnen schnappen« und sich in »fundamentalistischer und infantiler Weise« nötigen Veränderungen entgegenstellen. War das an die Adresse der Indios gerichtet, die ihr Territorium nicht an Bergwerksgesellschaften abtreten wollen?

Wir sind noch immer ein Land, das extrem von der internationalen Währungspolitik abhängt - wir können also nicht all das tun, was wir möchten. Für die Entwicklung Ecuadors ist es wichtig, daß wir weiterhin die unterschiedlichen Wirtschaftsformen miteinander verbinden. Dazu gehört auch die indigene, die einer anderen Logik gehorcht als die staatliche und die kapitalistische. Ich verstehe gut, daß der eine oder andere mit einer solchen Politik unzufrieden ist.

Interview: Laura Eduati

Übersetzung: Andreas Schuchardt

Dieses Interview erschien zuerst am 3. Oktober 2010 in der linken italienischen Tageszeitung Liberazione

* Aus: junge Welt, 6. Oktober 2010

Quito veröffentlicht Putschdokumente

Ecuador: Funkverkehr belegt geplanten Mord an Correa

Die staatliche ecuadorianische Nachrichtenagentur ANDES hat am Dienstag Aufnahmen des Funkverkehrs zwischen den Polizisten veröffentlicht, die in der vergangenen Woche an dem gescheiterten Putschversuch gegen Präsident Rafael Correa beteiligt waren. In der Aufnahme, die auf der Homepage der Agentur eingestellt wurde, ist zu hören, wie ein Beamter versucht, seine Kollegen zu beruhigen: »Wir sind Polizisten, keine Revolutionäre«. Daraufhin heizen andere Beamte jedoch die Stimmung an: »Tötet den Präsidenten!«, »Bringt den Hurensohn Correa um!« Die Aufzeichnung soll gemacht worden sein, während regierungstreue Einheiten des Militärs den Staatschef aus dem Polizeikrankenhaus in Quito befreiten, in dem er von den Putschisten zwölf Stunden lang belagert worden war. Auf einem von der Agentur ebenfalls veröffentlichten Video sind weitere Polizisten zu sehen, die versuchen, öffentliche Gebäude zu stürmen. Zu hören ist dabei der Slogan »Correa raus oder Krieg«.

In diesem Zusammenhang wies Ecuadors Sicherheitsminister Miguel Carvajal Versuche der Opposition zurück, die Ereignisse vom vergangenen Donnerstag kleinzureden. Das sei »der Gipfel von Dogmatismus und Blindheit«. (PL/jW)




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