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Putschversuch in Ecuador gescheitert

Polizisten rebellierten. Internationale Solidarität mit Präsident Rafael Correa. Kritik an Bundesregierung

Von André Scheer *

In Ecuador sind am Donnerstag (30. Sep.) Auseinandersetzungen um Bonuszahlungen für Polizeibeamte zu einem Putschversuch gegen Staatspräsident Rafael Correa eskaliert. Meuternde Polizisten besetzten den internationalen Flughafen der Hauptstadt Quito und stürmten einen Fernsehsender und das Parlamentsgebäude. Als Correa versuchte, mit den Beamten ins Gespräch zu kommen, wurde er von diesen tätlich angegriffen und mit einer Tränengasgranate beworfen. Verletzt wurde er in ein Krankenhaus gebracht, das von den Aufständischen daraufhin belagert wurde. In einem Telefongespräch mit dem staatlichen Rundfunk erklärte der Staatschef, er fürchte um sein Leben. Erst nach zwölf Stunden konnten regierungstreue Militärs das Gebäude stürmen und Correa befreien. Bei Gefechten wurden Informationen des Roten Kreuzes zufolge mindestens drei Menschen getötet. Die Regierung verhängte für fünf Tage den Ausnahmezustand über das Land.

Ursprünglicher Hintergrund der Proteste war eine Gesetzesänderung, die das Parlament am Mittwoch (29. Sep.) beschlossen hatte. Die meuternden Polizisten sahen darin eine Gehaltskürzung. Correa wies dies zurück. Tatsächlich seien finanzielle Prämien gestrichen worden, die bei Beförderungen ausgezahlt wurden. Die dafür bislang aufgewendeten 15 Millionen US-Dollar im Jahr sollten statt dessen in eine Verbesserung der Lebensbedingungen aller Polizisten investiert werden. Ecuadors Polizeichef Freddy Martínez erklärte am Freitag (1. Okt.) seinen Rücktritt, nachdem es ihm am Donnerstag (30. Sep.) nicht gelungen war, die Polizisten zu beruhigen.

Noch während Correa um sein Leben fürchten mußte, gingen in Quito und anderen Städten des Landes Tausende Menschen gegen die Putschisten auf die Straße. Angeführt von Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño, zogen sie zu dem belagerten Krankenhaus. Dort versperrten ihnen die rebellierenden Beamten den Weg und setzten Tränengas gegen die Menge ein. Augenzeugen berichteten auch von Schüssen.

International wurden die Ereignisse mit Bestürzung aufgenommen. Noch in der Nacht zum Freitag (1. Okt.) versammelten sich sieben südamerikanische Staats- und Regierungschefs in Buenos Aires zu einem außerordentlichen Gipfeltreffen der Union Süd­amerikanischer Nationen (UNASUR). Noch am Freitag reisten außerdem die Außenminister der Mitgliedsstaaten zu einem Solidaritätsbesuch nach Quito. Bundesaußenminister Guido Westerwelle reagierte hingegen erst am Freitag nachmittag auf die Ereignisse und rief zu einem Gewaltverzicht auf. Für die Außenpolitikerin Sevim Dagdelen (Die Linke) wirft diese »nicht eindeutige Verurteilung« des versuchten Staatsstreichs »nach der FDP-Unterstützung für den Putsch in Honduras erneut ein trübes Licht auf die deutsche Außenpolitik hinsichtlich Lateinamerika«. Es sei schon bemerkenswert, daß sich die Bundesregierung im Gegensatz zu Spanien und Frankreich erst nach dem Scheitern des Putsches erklärt habe, so die Abgeordnete gegenüber jW. Auch Linke-Fraktionschef Gregor Gysi solidarisierte sich mit Correa und forderte die Bundesregierung auf, den Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung zu verurteilen.

* Aus: junge Welt, 2. Okt. 2010


"Hier ist nicht Honduras"

Ecuadors Präsident Correa kündigt Maßnahmen gegen Putschisten in Polizei an. Breite Solidarität in Lateinamerika

Von Harald Neuber **


Der gewählte Präsident von Ecuador, Rafael Correa, hat nach einem gescheiterten Putschversuch in dem südamerikanischen Land personelle Konsequenzen für die aufständischen Polizei- und Armeeeinheiten angekündigt. In einer Rede vor tausenden Anhängern auf der Plaza Grande de Quito führte der Staatschef den Putschversuch auf eine gezielte politische Manipulation der Polizei und Armee zurück. Zugleich nahm er diese Institutionen in Schutz. An der Rebellion seien nur einzelne Einheiten beteiligt gewesen, diese müssten sich nun verantworten.

Die Proteste hatten sich zunächst gegen ein Gesetz zur Neuordnung des öffentlichen Dienstes gerichtet, das am Mittwoch (29. Sep.) im Parlament verabschiedet worden war. Nach der Gesetzesnovelle werden Angehörige von Polizei und Armee nicht mehr mit jeder Beförderung Auszeichnungen und Sonderlöhne erhalten. Der Zeitraum zwischen zwei Beförderungen soll zugleich von fünf auf sieben Jahre erhöht werden.

Nach Darstellung von Regierungsvertretern wurde die legitime Protestbewegung von Putschisten genutzt. Dies habe zur Eskalation geführt. Nachdem er bei der Explosion einer Tränengasgranate verletzt wurde, die meuternde Polizisten auf ihn abgefeuert hatten, wurde Correa dabei in einem Krankenhaus festgehalten. Loyale Truppenteile befreiten ihn nach mehreren Stunden gewaltsam. Nach unterschiedlichen Angaben des Roten Kreuzes gab es bei den schweren Gefechten bis zu zwei Tote.

Kurz nachdem Correa von einem Spezialkommando der Armee befreit wurde, trat er auf dem Balkon des Präsidentenpalastes auf. "Unsere Bürgerrevolution wird niemand aufhalten", sagte er in Bezug auf den sozialen Reformprozess in dem südamerikanischen Land: "Hier wird sich nicht wiederholen was in Honduras geschehen ist."

Bei einer Dringlichkeitssitzung in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires solidarisierten sich indes die Präsidenten der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) mit Correa. Zu dem Treffen reisten die Staatschefs von Uruguay, Chile, Bolivien, Peru Kolumbien und Venezuela an. Noch während der Beratungen erreichte sie die Nachricht von der Befreiung Correas. Mehrere Präsidenten der UNASUR-Mitgliedsstaaten kündigten an, nach Ecuador zu reisen.

In einer Erklärung verurteilte der Dachverband der Indigenenorganisationen Ecuadors (CONAIE) den Putschversuch. Zugleich warf der linksgerichtete Verband der Regierung vor, die Situation mit provoziert zu haben. Während sie gegen die Bewegungen der indigenen und Gewerkschaften vorgegangen ist, habe sie die Strukturen der Rechten unangetastet gelassen, heißt es in der Erklärung. Die CONAIE fordert nun ein engeres Bündnis zwischen der Staatsführung und sozialen Bewegungen.

** Aus: Portal Amerika21, 1. Oktober 2010; http://amerika21.de


Correas zweite Chance

Von Martin Ling ***

Wenn ihr mich töten wollt, tötet mich!« Der Satz, der ihn um ein Haar das Leben gekostet hätte, zeigt, dass Ecuadors Präsident Rafael Correa kein Mann der Kompromisse ist. Die Polizisten, denen er diesen Satz entgegenschleuderte, illustrierten mit ihrem landesweiten Aufstand, wie zerbrechlich Ecuadors politische und gesellschaftliche Stabilität nach wie vor ist. Und das, obwohl Correa bei seiner Wiederwahl 2009 ein Novum in Ecuador schaffte: absolute Mehrheit im ersten Wahlgang.

Ob die Polizisten auf eigene Rechnung gegen die vom Parlament verfügten Streichungen von Sondervergütungen Sturm liefen oder im Auftrag der Rechten um Ex-Präsident Lucio Gutiérrez, denen die »Bürgerrevolution« à la Correa schon immer ein Dorn im Auge war, ist noch ungeklärt. Klar ist, dass dieser Aufstand ein Warnschuss für Correa ist. So sicher im Sattel, wie ihm die klare Mehrheit für die neue Verfassung 2008 und bei seiner Wiederwahl suggerierte, sitzt er nicht. Das von Correa nach der Freilassung beschworene vereinte Volk, das niemals besiegt werden kann, ist so einig nicht.

Umso wichtiger ist es für Correa, einstige Bündnispartner wie die indigene Bewegung wieder hinter sich versammeln zu können. Dass der indigene Dachverband CONAIE Correa vorwarf, die Situation mit provoziert zu haben, zeigt, wie uneinig die Linke teilweise ist. Dass die CONAIE ein engeres Bündnis zwischen der Staatsführung und sozialen Bewegungen fordert, belegt freilich auch, dass die Bürgerrevolution weiter eine Chance hat. Dafür muss Correa mehr Kompromissbereitschaft zeigen – nicht gegenüber der Rechten, aber gegenüber den sozialen Bewegungen.

*** Aus: Neues Deutschland, 2. Oktober 2010 (Kommentar)


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