Ecuador: Proteste haben sich gelohnt
Multinationale Unternehmen erhöhen ihre Abgaben an die Amazonas-Provinzen und fördern Straßenbau
Die anhaltenden Proteste und Streiks in Ecuador sind offenbar zu einem vorläufigen guten Ende gekommen. Zwei Artikel informieren über die letzte Entwicklung Ende August.
Ölstreik in Ecuador aufgehoben
Von Gerhard Dilger, Porto Alegre*
Der Streik in Ecuadors Öl-Region ist
nach zehn Tagen vorbei. Vertreter der
Arbeiter, der Regierung und der multinationalen
Konzerne einigten sich
auf die verstärkte Berücksichtigung
lokaler Arbeiter und Firmen bei der
Vergabe von Jobs und Aufträgen sowie
auf Investitionen in den Straßenbau.
Der Streik in Ecuadors Öl-Region
hat sich gelohnt. In der Hauptstadt
Quito einigten sich Vertreter der
Protestbewegung und der Regierung
vorgestern auf Maßnahmen zu
Gunsten der einheimischen Bevölkerung.
Künftig werden 16 Prozent
der Ölsteuern direkt an die Provinzen
abgeführt. Die ausländischen
Konzerne verpflichteten sich zudem,
immer mehr lokale Arbeitskräfte
einzustellen. Schließlich wollen
sie ihre Sozialprogramme ausweiten
und die Asphaltierung von
Straßen in einer Gesamtlänge von
260 Kilometern finanzieren.
Der Sprecher der Multis hatte
sich vorzeitig aus den Verhandlungen
zurückgezogen. Seine Forderung,
die Verantwortlichen für die
Beschädigung der Förderanlagen
müssten bestraft werden, wiesen
die Lokalpolitiker aus der Region
empört zurück. »Nicht wir sind für
die Proteste verantwortlich, sondern
die Konzerne«, bekräftigte
Anita Rivas, die Bügermeisterin von
Francisco de Orellana. Eine Kündigung
des Vertrags mit dem USAMulti
Oxy und den pauschalen Verzicht
auf eine strafrechtliche Verfolgung
von Demonstranten lehnte die
Regierung ab. Die Staatsanwaltschaft
werde entscheiden, wie
gegen etwaige Saboteure vorzugehen
sei, sagte Innenminister Mauricio
Gándara. Zudem behauptete er,
die Protestbewegung werde durch
Kolumbianer unterwandert. Dies
sei ein »äußerst ernsthaftes Problem
«.
Stunden vor der Einigung hob
das Parlament den Ausnahmezustand
auf und forderte den Rücktritt
Gándaras, der die Protestierenden
tagelang hingehalten hatte. Die
Staatseinnahmen aus der Ölförderung
beliefen sich auf weniger als
20 Prozent der Gesamtgewinne,
kritisierte der Sozialdemokrat Carlo
González. Mehrere Abgeordnete
verlangten, die Verträge mit den Ölmultis
müssten neu verhandelt
werden. Den geschätzten Einnahmeausfall
durch entgangene Ölexporte
korrigierte das Wirtschaftsministerium
vorgestern nach unten
– auf nunmehr 100 bis 150 Millionen
Dollar. Venezuela werde Ecuador
Diesel und 660000 Barrel Rohöl
zu Vorzugsbedingungen liefern,
kündigte Wirtschaftsministerin
Magdalena Barreiro an. Nicht praktikabel
sei ein Tauschgeschäft, wie
man es zunächst anvisiert hatte,
denn beide Länder hätten unterschiedliche
Rohöl-Typen, sagte Barreiro.
Bei ihren Gesprächen in Caracas
habe sie aber um einen Zahlungsaufschub
gebeten.
Letzte Woche hatten Demonstranten
rund 200 Bohrlöcher besetzt
sowie zwei Flughäfen und
mehrere Straßen blockiert. Die
Wiederaufnahme der Ölförderung
hatte die Armee ermöglicht, Dutzende
Protestierer wurden dabei
festgenommen. Noch vorgestern
lösten Polizisten eine Demonstration
mit Tränengas auf. Während
des Ausnahmezustands waren zudem
die lokalen Radiosender zensiert
worden. Ecuador ist nach Venezuela
der zweitgrößte südamerikanische
Öllieferant für die USA.
Die Erdölproduktion macht ein
Viertel des ecuadorianischen Bruttoinlandsprodukts
aus.
* Aus: Neues Deutschland, 27. August 2005
Kompromiß im Erdölkonflikt
Von Dana Cufré*
Ecuador: Multinationale Unternehmen erhöhen ihre Abgaben an die Amazonas-Provinzen und fördern Straßenbau
Im Dialog zwischen Beauftragten von Protestgruppen, multinationalen Erdölunternehmen und Regierungsvertretern ist es am Dienstag in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito zu einer vorläufigen Einigung gekommen. Sie sieht vor, daß die Regierung den vor einer Woche über die Amazonas-Provinzen Sucumbíos und Orellanaverhängten Ausnahmezustand am heutigen Donnerstag aufhebt. Die Konzerne verpflichten sich ihrerseits, die Finanzierung für 260 Kilometern Straßenasphaltierung zu übernehmen sowie ihre Abgaben an die zwei Provinzen auf 16 Prozent zu erhöhen.
Insgesamt sind die privaten Unternehmen gegenüber dem ecuadorianischem Staat zur Abgabe von jährlich 25 Prozent Steuern auf ihre Erträge verpflichtet. Obwohl bislang nur die Vertreter von Protestgruppen und Regierung ihre Zustimmung zu dem Vorschlag signalisiert haben, gilt die Einwilligung der multinationalen Erdölunternehmen Oxy (USA) und Encana (Kanada) als wahrscheinlich. Sie bestanden zunächst darauf, lediglich die Asphaltierung von 200 Kilometern Straße zu finanzieren und die Abgaben an die Provinzen nur auf 15 Prozent zu erhöhen. »Obwohl noch einige Einzelheiten geklärt werden müssen, bin ich sicher, daß der Kompromiß von allen Seiten angenommen wird«, resümierte der Bürgermeister der Stadt Sucumbíos Altos, Luis Naranjo, optimistisch gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters im Anschluß an die Verhandlungen.
Trotz dieser wahrscheinlichen Lösung des Konflikts und der bereits am Sonntag vereinbarten Waffenruhe ist es am Dienstag in der Provinz Orellana erneut zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen. In der Gemeinde Dayuma de Cantán wurden sechs Menschen ohne Begründung in der Kirche vom Militär festgenommen. Sie waren auf dem Weg in die 40 Kilometer entfernte Stadt Franscisco de Orellana. Nach Aussage des zuständigen Heeresoffiziers sollen sie erst wieder freigelassen werden, wenn seine Vorgesetzten ihm den Befehl dazu erteilen. Die Sprecherin der Protestgruppen von Orellana, die Anwältin Susana Silva, machte daraufhin den Präsidenten Alfredo Palacios und den Innenminister Mauricio Gándara »für jedes Leid, daß die Verhafteten erdulden müssen« verantwortlich.
Außerdem sorgt der Ausnahmezustand weiterhin für Unmut bei der Bevölkerung und der Presse in den Provinzen. Das Sekretariat des weltweiten katholischen Bündnisses für Kommunikation beklagte, daß das Provinzradio von Sucumbíos seine Nachrichtenprogramme einstellen mußte und jeder Reporter stets von einem Militär überwacht werde. Unabhängige Berichterstattung sei daher kaum möglich. Angesichts des bestehenden Demonstrationsverbots hieß es in einem zu Wochenbeginn veröffentlichten Manifest des Bündnisses »Frauen von Sucumbíos für die Bürgerrechte«: »Wir halten weiterhin unsere Protestschilder hoch, da man es uns nicht erlaubt, unsere Stimme zu erheben. Wir fordern von Präsident Alfredo Palacio und seiner Regierung, daß sie die wirkliche Situation in Sucumbíos und Orellana anerkennen und entsprechend handeln.«
Unterdessen hat sich die Erdölproduktion Ecuadors nach dem Abflauen der Proteste leicht erholt. Am Dienstag seien bereits 417025 Barrel (je 159 Liter) gefördert worden, die durchschnittliche tägliche Fördermenge vor den Protesten lag bei 530000 Barrel. Am Dienstag unterstrich der venezolanische Präsident Hugo Chávez bei seinem Staatsbesuch in Kuba seine Bereitschaft, dem Nachbarland mit Erdöl auszuhelfen, damit Ecuador seinen Exportverpflichtungen nachkommen könne: »Wir stellen noch Berechnungen an, aber sicher ist, daß wir Ecuador Öl zur Verfügung stellen können«, so Chávez in Havanna.
* Aus: junge Welt, 25. August 2005
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