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Indigene gegen Regierung

Ekuador: Amazonasgemeinde geht gegen Erdölförderung vor Gericht

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *

»Gutes Leben« kontra fossiler Wachstumswahn, Amazonas-Indígenas gegen Ekuadors Linksregierung: Dieser exemplarische Konflikt wird nun international ausgetragen.

In Costa Ricas Hauptstadt San José fand letzte Woche eine zweitägige Anhörung des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs statt. Sprecher der besonders kämpferischen und gut organisierten Urwaldgemeinde Sarayaku in Ekuadors südlicher, noch weitgehend intakter Amazonasregion standen Regierungsvertretern gegenüber. In Quito verfolgten Umweltaktivisten die Liveübertragung per Internet.

»Wir bitten das Gericht um Schutz, damit wir in Frieden leben können«, sagte die Kichwa-Indianerin Patricia Gualinga. Der Staat habe die Aktivitäten ausländischer Erdölfirmen durch die Armee abgesichert und wolle auch künftig Öl fördern. »Wir wollen konsultiert werden, und wenn wir Nein sagen, muss unsere Entscheidung respektiert werden.«

In den letzten 30 Jahren wurden mehreren Ölfirmen Konzessionen im Kichwa-Gebiet um Sarayaku erteilt, 1996 der argentinischen Firma CGC. 2002 und 2003 kam es zu jener Aggression, die der 90-jährige Schamane Sabino Gualinga in San José beklagte: Ölarbeiter und Soldaten drangen auf das Gemeindegebiet vor, zerstörten 260 Hektar Urwald und vergruben 1,5 Tonnen Sprengstoff für seismografische Messungen im Boden.

2005 kam der Konflikt vor das Menschenrechtsgericht. Unter Präsident Rafael Correa argumentieren Staatsvertreter nun ähnlich wie unter dessen geschassten Vorgänger Lúcio Guitérrez. So bestritt General Óscar Troya, dass die Armee auf das 137 000 Hektar große Territorium von Sarayaku vorgedrungen sei, zudem hätten sich die Aktivisten dem Dialog mit den Behörden verweigert.

Aus den Erdölerlösen finanziert Correa Sozialprojekte und Straßen, auch in Amazonien. Damit, sagt Patricia Gualinga, bringe die Regierung aber auch gezielt Nachbargemeinden gegeneinander auf. Zudem erhielt im November der italienische Konzern Agip eine neue Konzession in dem umkämpften Ölfeld 23, aus dem sich CGC endgültig zurückgezogen hat.

Als einer der Gutachter war der US-Amerikaner James Anaya geladen, UN-Sonderberichterstatter für die Rechte indigener Völker. Entwicklung und Mitbestimmung der Indígenas seien kein Widerspruch, sagte Anaya, bei der Planung von Großvorhaben sollten die betroffenen Gemeinschaften von Beginn an mit einbezogen werden.

Die Sprecher von Sarayaku fordern Entschädigungszahlungen und die Beseitigung aller Sprengstoffkörper – bisher wurden gerade 14 Kilo geborgen. Der Prozess, in dem noch in diesem Jahr ein Urteil erwartet wird, gilt als wegweisend für die internationale Rechtsprechung über das »Recht auf vorherige Konsultation« von Urvölkern bei Großprojekten. Über dieses Recht müssten nun »klarere und engere Regeln« aufgestellt werden, forderte Luz Patricia Mejía von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission.

Auch innenpolitisch ist der Konflikt brisant: Gegen Correa und seine fossile Entwicklungsstrategie hat sich nun ein linkes Oppositionsbündnis formiert, dem sein früherer Mitstreiter Alberto Acosta, mehrere Linksparteien und die Indígena-Partei Pachakutik angehören. Sie stehen einhellig hinter den Kämpfern von Sarayaku.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Juli 2011


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